# taz.de -- Occupy-Bewegung: Mikrokosmos mit Gasherd
       
       > Neben der Parochialkirche in der Klosterstraße haben AktivistInnen der
       > Occupy-Bewegung eine kleine Zeltstadt errichtet, wo sie Debattieren und
       > Leben verbinden wollen. Ihre Ziele müssen sie noch definieren. Trotz
       > Lagerfeuerromantik sind viele mit dem Ort unzufrieden.
       
 (IMG) Bild: Die Occupy-Bewegung sucht weiter nach dem idealen Ort für ein Camp.
       
       Übers Lagerfeuer hinweg sucht Sabine* den Blick ihrer Mitstreiter. Die
       studierte Sozialarbeiterin beteiligt sich an der abendlichen Runde im
       Protestcamp der Berliner Occupy-Bewegung auf dem Gelände der
       Parochialkirche in Mitte. Mit Campbewohnern und anderen Besuchern redet sie
       darüber, was das Zeltlager für die Aktivisten bedeuten kann. "Wenn wir
       inhaltlich vorankommen wollen, reicht es nicht, hier eine Lebenskunstform
       zu präsentieren. Es sollte eine Arbeitsatmosphäre entstehen", findet
       Sabine. "Ich kann nur sagen, dass das hier die beste und erkenntnisreichste
       Lebenskunstform ist, die ich kennengelernt habe", entgegnet ihr ein
       Aktivist.
       
       Was will die Occupy-Bewegung, und wie kann man diese Ziele erreichen? Damit
       die Bewegten diese Fragen diskutieren können, gewährt die evangelische
       Kirchengemeinde St. Petri - St. Marien ihnen und ihren 20 mit bunten
       Schirmen und Plakaten behängten Zelten vorläufig Asyl in der Klosterstraße.
       Auf 400 Quadratmetern Wiese hat sich in den vergangenen Tagen ein
       Mikrokosmos gebildet - mit Feuerstelle, Informations- und Küchenzelt,
       Gasherd inklusive.
       
       Die Informationsunterlagen im Eingangspavillon wirken freilich noch recht
       beliebig: ein Magazin-Special zum 11. September, Flyer des Münchner
       Umweltinstituts und der GLS-Bank, ein Experteninterview zu Stress und
       Fluglärm. "Damit wir inhaltliche Fragen beantworten können, muss es
       dauerhafte Ansprechpartner und Informationen zu den wichtigsten Themen wie
       Grundeinkommen geben", findet Sabine. Die berufstätige Mutter dreier Kinder
       kommt immer abends, wenn sie auf der "Asamblea" am Reichstag die tägliche
       Portion Idealismus getankt hat.
       
       Auch an diesem Samstagnachmittag hat Sabine auf ihrer Wärmedecke vor dem
       Parlament gesessen, trotz anbrechender Dunkelheit und Kälte. Sie findet
       das, was hier stattfindet, einfach zu faszinierend. In der Asamblea haben
       knapp 200 Menschen einen offenen Brief an den Senat verabschiedet, in dem
       sie einen zentralen Platz für ein Camp fordern. Die Debatte ist wieder über
       "Mic-Check" ausgetragen worden - das menschliche Mikrofon, bei dem die
       Zuhörer alles laut nachsprechen. Und nach drei Stunden haben die Anwesenden
       einen Konsens hergestellt. "Früher war ich ungeduldig und wollte immer
       alles mitteilen, was ich über ein Thema denke", sagt Sabine jetzt. In den
       vergangenen Wochen habe sie gelernt, wie man wirklich zu neuen
       Erkenntnissen komme: "Jeder denkt zweimal nach, ob ein Einwand wirklich
       sinnvoll ist. Dafür werden alle vorgebrachten Argumente von der Asamblea
       berücksichtigt." Während im Küchenzelt des Camps das Kürbis-Curry für die
       Volksspeisung brutzelt, geht es auch an der Feuerstelle des Camps heiß her.
       Rund 20 Menschen sitzen auf Campingstühlen um die Glut, noch mal so viele
       sitzen und stehen drum herum. Die meisten sind von der Reichstagswiese
       gekommen und mühen sich, die hehre Kommunikationskultur der Asamblea
       aufrechtzuerhalten: "Hier melden sich Leute, lasst uns bitte der Reihe nach
       reden, ihr kennt doch die Handzeichen", sagt Sabine. Vor allem die
       Aktivisten, die nicht im Camp übernachten, aber wie die Sozialarbeiterin
       seit Wochen viel Freizeit in die Bewegung investieren, wollen mehr Struktur
       und bessere Kommunikation.
       
       "Wirklich inhaltlich vorangehen kann es erst, wenn wir ein größeres Camp
       mit Infrastruktur haben", glaubt Daniel. Mit der AG Presse und der AG
       Zeitung will der 26-jährige Student dann eine gemeinschaftliche Zeitung
       erstellen, mit vielen Perspektiven und alternativen Themen. Heute gelingt
       der große Wurf nicht mehr, doch obwohl die Aussicht auf ein neues Camp
       alles andere als sicher ist, sind die meisten zuversichtlich. Nachdem sich
       alle eine dampfende Kelle Curry und Reis geholt haben, stimmt die Runde den
       Asamblea-Song an: "Asamblea weltweit, Asamblea mondial (…), wir brauchen
       keine Chefs."
       
       * Name geändert.
       
       6 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karen Grass
       
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