# taz.de -- Expertenbericht zum Antisemitismus: Schulhof-Schimpfwort "Jude"
       
       > Deutschland fehlt eine Gesamtstrategie im Kampf gegen den alltäglichen
       > Antisemitismus. Zu diesem Schluss kommt der erste Bericht einer
       > Expertenkommission.
       
 (IMG) Bild: Hakenkreuze kann man entfernen – aus den Köpfen ist Antisemitismus nur schwer zu kriegen: Schmierereien am Berliner Marx-Engels-Forum 2006.
       
       BERLIN taz | Es ist der erste Bericht des noch unter dem damaligen
       Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) einberufenen "Unabhängigen
       Expertenkreises Antisemitismus". Und die Expertise hat es in sich, trotz
       ihres nüchternen Tons. Denn das Fazit des Gremiums lautet: "Eine umfassende
       Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland existiert
       nicht."
       
       Der bisher noch unveröffentlichte Bericht liegt der taz vor. Er soll an
       diesem Mittwoch, dem Jahrestag der Judenpogrome vom 9. November 1938, dem
       Bundestagspräsidenten übergeben werden.
       
       Nach einem Rückgang Mitte des vergangenen Jahrzehnts seien antisemitische
       Einstellungen in den letzten Jahren wieder angestiegen, heißt es in dem
       Bericht. Von einer "tiefen Verwurzelung von klischeehaften Judenbildern und
       antisemitischen Einstellungen in der deutschen Kultur und Gesellschaft" ist
       dort die Rede. Man beobachte eine "bis weit in die Mitte der Gesellschaft
       verbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und
       Praktiken". Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland seien
       zumindest latent antisemitisch, heißt es in der Expertise.
       
       Ähnliches haben zwar auch schon frühere Studien festgestellt. Doch das
       Verdienst des Expertengremiums liegt darin, auf 210 Seiten einen Überblick
       darüber zusammengetragen zu haben, wie und wo sich heute Antisemitismus
       auch jenseits offen judenhassender rechtsextremer Milieus beobachten lässt:
       in Schulen und Fußballvereinen, in der Freiwilligen Feuerwehr, in
       Leserbriefspalten der Zeitungen, am Stammtisch, in sozialen Netzwerken im
       Internet, aber auch in Kirchen oder unter manchen Linken und
       Globalisierungskritikern sowie unter Migranten. 
       
       So gehöre auf den Schulhöfen "Jude" als Schimpfwort "vielerorts fast schon
       zum Allgemeingut", und vor allem in den unteren Ligen seien Beleidigungen
       jüdischer Spieler und Angehöriger jüdischer Mannschaften Teil des deutschen
       Fußballalltags. "Sätze wie 'Juden gehören in die Gaskammer', 'Auschwitz ist
       wieder da' und 'Synagogen müssen brennen' sind bei Wettkämpfen in der
       Regionalliga keine Seltenheit", heißt es in dem Bericht.
       
       ## Scharfe Kritik an Schulen
       
       Dem "Expertenkreis Antisemitismus" unter Leitung des Londoner
       Zeithistorikers Peter Longerich gehören renommierte Wissenschaftler an,
       aber auch Praktiker von Initiativen gegen Antisemitismus sowie ein
       aktueller und ein ehemaliger Verfassungsschützer.
       
       Scharf kritisiert wird in ihrem nun vorgelegten ersten Bericht der Umgang
       der Schulen mit dem Antisemitismus. Dort werde das Thema fast nur mit Bezug
       auf den Holocaust behandelt. Damit erscheine der Antisemitismus als ein
       "ausschließlich den Nationalsozialisten zuzuordnendes Phänomen, das 1933
       quasi aus dem Nichts erschien und 1945 wieder verschwand".
       
       Viele Lehrer hätten zudem oft hohe moralische Erwartungen von ihren
       Schülern und verlangten von ihnen eine große Betroffenheit. Diese Haltung
       überfordere die Schüler und könne zu einer Abneigung nicht nur gegenüber
       dem Thema NS-Geschichte, sondern auch gegenüber Juden führen - also einen
       "Antisemitismus wegen Auschwitz" erzeugen.
       
       Nach Ansicht der Experten müssten Pädagogen jedoch viel stärker auf Themen
       eingehen, in deren Kontext sich heute antisemitische Einstellungen zeigen
       könnten, allen voran der Nahostkonflikt. Aber auch bei der Kritik am
       Kapitalismus von links gebe es mögliche "Anknüpfungspunkte für
       Antisemitismus" - etwa wenn gegen das Finanzkapital und gierige
       Wall-Street-Banker polemisiert wird. Einen genuin linken oder
       linksextremistischen Antisemitismus erkennen die Experten jedoch nicht.
       
       Nicht nur die Schulen, sondern auch die Politik kommt in dem Bericht des
       unabhängigen Expertenkreises nicht nur gut weg. So wird kritisiert, dass
       bei den oft sinnvollen Modellprojekte gegen Antisemitismus und
       Rechtsextremismus schon nach drei Jahren die Förderphase endet - mitunter
       genau dann, wenn die Initiativen gerade erst in Fahrt gekommen sind. Dies
       führe dazu, dass die Ergebnisse solcher vom Staat geförderter Modelle oft
       "nicht zur praktischen Umsetzung von Programmen führen, sondern in Mappen
       gepresst ungenutzt bleiben".
       
       9 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf Schmidt
       
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