# taz.de -- Debatte um Schultrojaner: Schnüffeln aus Fürsorge
       
       > Der Schultrojaner bleibt fragwürdig. Für das Lernen ist wichtig: Kann die
       > Plagiatssoftware den Leitmedienwechsel weg vom Schulbuch stoppen? Drei
       > Lehrer diskutieren.
       
 (IMG) Bild: Will den Lehrern ins digitale Kämmerlein schauen: Vater Staat.
       
       Leitmedienwechsel 
       
       Die von Schulbuchverlagen und Kultusministern gewollte Kontrollsoftware ist
       der Digitalisierung des Schulalltags geschuldet. Der Trojaner soll den
       Verlagen helfen, ihre Pfründen zu sichern. 
       
       Wir leben aber in einer Zeit des Wandels, in dem für alle spürbar wird,
       dass durch den Computer und das Internet unzählige Veränderungsprozesse
       angestoßen werden, die unsere kulturellen Errungenschaften infrage stellen
       und unsere Kreativität herausfordern. Von diesem Wandel sind die Verlage
       ebenso betroffen wie auch Schulen und die Vorstellung von Lernen.
       
       Auf diese Entwicklung jedoch ist eine Schnüffelsoftware die falsche
       Antwort. Wenn sich die Verlage in einer verändernden Medien- und
       Kulturlandschaft als Anbieter behaupten wollen, müssen sie mit den
       Lehrenden arbeiten, und Zusammenarbeit bedeutet in erster Linie:
       gegenseitiges Vertrauen. Aber schon heute gilt, dass die Verlage dringend
       "digital" denken müssen. Ich bin Lehrer, und die Schülerinnen fragen mich
       immer wieder, ob sie die Schulbücher auch digital bekommen, sodass sie
       diese auf dem Laptop lesen können. Dann müssen sie die Bücher nicht immer
       hin und her schleppen, obwohl sie die Bücher nur für eine Stunde am Tag
       brauchen. Verständlich, oder? Das Lernmaterial soll da sein, wo ich bin und
       lernen möchte. Nicht zu Hause oder in der Schule.
       
       Ich denke daher darüber nach, das Material für den Unterricht nur noch
       digital über eine Internetseite (Wiki oder Blog) anzubieten. Dort finden
       sich alle Autorentexte und Informationen, die wir - Lehrende wie Lernende -
       im Unterricht brauchen. Auf diese Weise haben wir unser selbst erstelltes,
       digitales Schulbuch, das alle Beteiligten verändern und anpassen können.
       
       Was wäre, wenn diesen Schritt mehr und mehr Lehrende einschlagen? Sich von
       den Schulbuchverlagen abwenden und ihr eigenes passendes "Werk" für den
       Unterricht erstellen? Durch die digitalen Technologien ist eine
       Zusammenarbeit zwischen Lehrenden denkbar einfach geworden, auch über weite
       Entfernungen. Wer braucht da noch die Schulbuchverlage?
       
       Im heutigen Leitmedienwechsel wird das Buch als dominantes Leitmedium durch
       ein digitales Medium abgelöst. Der Computer - auch in seiner Form als
       Smartphone - ersetzt heute nicht nur bestehende Werkzeuge, sondern schafft
       neue, bisher undenkbare Möglichkeiten. Dies hat Auswirkungen auf das
       Lernen, das sich ebenfalls verändert. Lernen wird in erster Linie ein
       kommunikativer, vernetzter Prozess sein. Und gerade die Möglichkeiten der
       Kommunikation haben sich in den letzten Jahren radikal verändert.
       
       Den Computer als bloße Weiterentwicklung zu sehen, wird daher nicht
       ausreichen. Auf die Schulbuchverlage bezogen: Die Digitalisierung des
       Buches als ausreichende Antwort auf den Leitmedienwechsel zu sehen, wäre
       ignorant und damit töricht. Ob es überhaupt eine Antwort gibt, nach der das
       heutige Verlagswesen in der digitalen Kultur überlebensfähig ist? Ich
       bezweifle es. FELIX SCHAUMBURG 
       
       *******
       
       Künstliche Beatmung 
       
       Der Kontrollfetisch ist eine Abwehrreaktion auf die Herausforderungen durch
       die technologische Entwicklung. Die Schulbuchverlage wollen das eigene
       "Artensterben" abwenden. 
       
       In den Schulgeschichtsbüchern für die 8. Klasse kann man über die Erfindung
       der englischen "Spinning Jenny" lesen. Diese moderne Baumwollspinnmaschine
       war der Anfang vom Ende der schlesischen Leinentextilfabrikanten, deren
       Technologie neben der "Jenny" (und den nachfolgenden mechanischen
       Webstühlen) mit einem Schlag hoffnungslos veraltet war. Das Sterben zog
       sich über ein ganzes Jahrhundert hin. Trotz oder gerade wegen dieser langen
       Zeit haben die Fabrikanten bis zuletzt nicht verstanden, dass bei Strafe
       des Untergangs auf die neue Technologie hätte gesetzt werden müssen. So war
       ab einem bestimmten Zeitpunkt nichts mehr zu retten. Auch durch krassen
       Lohnabbau unter das Existenzminimum bei den Produzenten, den Handwebern,
       war das Ende der Branche nicht abzuwenden. Der Punkt, vor dem durch
       Anpassung an die neue Zeit etwas zu retten gewesen wäre, war längst
       überschritten.
       
       Damals war es die industrielle Revolution, heute ist es eine
       Medienrevolution. Lerne aus der Geschichte! So viel zur
       Problemorientierung.
       
       [1][Lernen-aus-der-geschichte.de] heißt auch eine der bekanntesten
       netzbasierten, projektorientierten und frei zugänglichen
       Lernmaterialsammlungen für Geschichte. Und damit zur Lösungsorientierung.
       Es geht dort nicht um die Rettung der Schulbuchverlage. Es geht um das
       Lernen im digitalen Zeitalter. Ebenso wie wir Textilien brauchen, brauchen
       wir Lernmaterial. Aber wie unsere Kleidung nicht vom schlesischen
       Textilfabrikanten stammen muss, so muss das Lernmaterial nicht vom
       Schulbuchverleger stammen.
       
       Schon vor 25 Jahren während meines Referendariats war klar, dass man die
       SchülerInnen nicht mehr anhand eines Lehrgangslehrbuches durch einen
       vorgegebenen Lernpfad wie am Nasenring führt, sondern die Schulbücher
       verschiedener Verlage als Materialsammlungen ("Steinbruch") zur Herstellung
       eigener Unterrichtsmaterialien nutzt. Alle Lehrer tun es, und täten sie es
       nicht, wäre ihr Unterricht grottenschlecht und den Lernbedürfnissen ihrer
       SchülerInnen unangemessen. Die Erlaubnis, für den geschlossenen Klassenraum
       (gegen Pauschalabgeltung) aus Schulbüchern kopieren zu dürfen, hat den
       traditionellen Unterricht damals noch einmal gerettet, indem er ihn ein
       bisschen "schülerorientierter" ermöglichte. Heute, unter den Bedingungen
       der Digitalität, ist auch das nicht mehr ausreichend für einen
       individualisierten Unterricht, der die Kompetenzen entwickeln hilft, die
       heute gebraucht werden.
       
       Wir brauchen nicht nur digitale multimediale Materialien mit allen
       Möglichkeiten der interaktiven Bearbeitung, wie man sie schon an vielen
       Orten im Netz als Open Educational Resources kostenfrei längst bekommen
       kann. Wir brauchen auch neue Lernkonzepte, in denen die Social Media eine
       prominente Rolle spielen. Was soll da ein schweres offlinernes Schulbuch im
       Klassensatz? LISA ROSA 
       
       ******
       
       Schnüffeln aus Fürsorge 
       
       Lehrer arbeiten auf dem schmalen Grat zwischen Über- und Unterforderung.
       Das zeigt die Kontrollsoftware von Kultusministern und Schulbuchverlagen.
       Sie soll LehrerInnen helfen, Disziplinarmaßnahmen zu vermeiden. 
       
       Lieben Sie das Risiko? Arbeiten Sie gern selbständig? Gehen Sie gern über
       Grenzen? Möchten Sie nachhaltig die Welt verändern und in Bildung
       investieren? Wollen Sie einen sicheren Arbeitsplatz? Genießen Sie das
       Gefühl von Überforderung mit gleichzeitiger Unterforderung?
       
       Dann ist der Lehrerberuf genau das Richtige für Sie. Hier können Sie Ihre
       widersprüchlichsten Träume verwirklichen. Der Pirat im Trockendock!
       
       1. In erster Linie müssen Sie sich mit Qualitätssicherung Ihres Unterrichts
       beschäftigen. Kein Problem, denn sicher ist sicher. Schließlich dürfen Sie
       Ihren privaten PC für Unterrichts- und Schulzwecke nutzen - natürlich nur,
       nachdem Sie dem Datenschutzbeauftragten freigestellt haben, ihren PC zu
       überprüfen. Das tun Sie gern, denn Sie sind ja keine Privatperson, sondern
       Diener des Staates. Und so wie Mutter am Samstag guckt, ob das Zimmer
       aufgeräumt ist, wird Vater Staat wohl bei Ihnen im digitalen Kämmerlein
       auch einmal schauen dürfen, ob alles in Ordnung ist. Schließlich gibts ja
       auch ein kleines Taschengeld.
       
       2. Davon bezahlen Sie als engagierter Lehrer sicherlich auch gern Ihre
       eigenen Kopiervorlagen, die Sie in zehn Regalmetern in Ihrem Arbeitszimmer
       fein nach Fächern und Klassenstufen sortiert haben. Die Lehrerbücherei
       Ihrer Schule besteht gern aus zwei bis drei Regalen fragwürdiger
       Ordnersammlungen, denen Beuysscher Kunstcharakter anmutet, Fettflecken
       inklusive. Doch das Gefühl, in die deutsche Bildung investiert zu haben,
       trägt Sie in den Kopierraum und multipliziert sich von dort in die
       Lernhäuser der Zukunft.
       
       3. Wer von Ihnen ressourcenorientierter vorgeht, Punkt 1 und 2 umgeht und
       Schule neu als Lern- und Lebensort denkt, der wird sicherlich die dort
       vorhandenen PC-Arbeitsplätze nutzen. Sie lernen jetzt, dass Ihre obersten
       Vorgesetzten in der Kultusministerkonferenz (KMK) Ihnen auch hier maximale
       Sicherheit bieten - bei maximalem Risiko.
       
       Ja, sicher, eigentlich steht die Inklusion vor der Tür. Damit stehen neue
       Lernmethoden an. Sie bilden sich fort in Lernbuffets, offenem Unterricht,
       möchten jedes Kind nach seiner Zone der nächsten Entwicklung fördern, ihm
       Angebote zur Potenzialentwicklung und Kompetenzerweiterung machen. Dafür
       benötigen Sie Material. Viel Material. Unendlich viel Material!
       
       So arbeiten Sie selbständig und hingebungsvoll an der Herstellung von
       Unterrichtsmaterial zur Binnendifferenzierung und erproben sich dabei in
       der Handhabung neuer Medien durch Veränderung von Vorlagen der
       Schulbuchverlage. Dabei denken Sie mit ungutem Gefühl an die
       20-Prozent-Klausel! In Ihrem Herzen keimt der Verdacht, dass die KMK es in
       ihrer hidden agenda womöglich gar nicht möchte, dass Sie individuell
       fördern können. Sie möchte Sie durch einen Schultrojaner darauf hinweisen,
       wie Sie urheberrechtlich auf der sicheren Seite stehen und sich kein
       Disziplinarverfahren anbahnt. Wie freundlich, wahre Fürsorgepflicht! SYLVA
       BRIT JÜRGENSEN
       
       9 Nov 2011
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) F. Schaumburg
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 (DIR) S. B. Jürgensen
       
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