# taz.de -- Skandal um Neonazi-Terrorbande: Der "Adolf" vom Verfassungsschutz
       
       > Welche Rolle spielt bei dem Neonazi-Mord von Kassel 2006 ein Mitarbeiter
       > des Verfassungsschutzes? Fest steht: Der Beamte hat eine starke rechte
       > Gesinnung.
       
 (IMG) Bild: Was machte der Verfassungsschützer während des Mordes im Internetcafe?
       
       Am 6. April 2006 gegen 17 Uhr betritt ein Mann mit einer Plastiktüte in der
       Hand das Internetcafé in der Holländischen Straße in Kassel und schießt dem
       Inhaber Halit Yozgat, einem 21-jährigen in der Türkei geborenen deutschen
       Staatsbürger, mit einer schallgedämpften Waffe durch die Tüte zweimal in
       den Kopf. Danach verlässt der Mörder unaufgeregt den Tatort.
       
       Vier Personen surften dort zum Tatzeitpunkt im Internet. Drei von ihnen
       melden sich umgehend bei der Polizei. Der vierte mutmaßliche Zeuge aber zog
       es trotz Aufrufen in Radio und Fernsehen vor, im Verborgenen zu bleiben.
       Die Polizei hielt ihn dann auch für den Attentäter.
       
       Yozgat war das neunte und letzte bisher bekannte Opfer der mit einer
       Pistole der Marke "Ceska" mordend durchs Land ziehenden Rechtsradikalen,
       wie nun bewiesen ist. Nach seiner Ermordung hörte das Töten auf, auch wenn
       wohl noch nicht alle Anschläge der letzten Jahre mit einem rassistischen
       Hintergrund aufgeklärt werden konnten. Die Behörden jedenfalls suchten
       damals fieberhaft nach dem vierten Zeugen.
       
       Eine DNA-Spur an einem der Computer brachte den Durchbruch. Drei Wochen
       nach der Bluttat wurde er von der Polizei aufgespürt: Es war ein Beamter
       des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, der bei seiner ersten
       Vernehmung zwar einräumte, als Surfer im Internetcafé von Halit Yozgat
       gewesen zu sein, das Lokal aber eine Minute vor dem Mord wieder verlassen
       zu haben. Die exakte Tatzeit war zuvor Gegenstand von
       Presseveröffentlichungen gewesen. Eine entsprechende Information erhielt
       seinerzeit, wenn auch mit erheblicher Zeitverzögerung, der
       Geheimdienstausschuss (Kontrollausschuss) des Hessischen Landtags.
       
       Inzwischen scheint allerdings festzustehen, dass der
       Verfassungsschutzbeamte zum Tatzeitpunkt noch im Café war. Das jedenfalls
       ließ das hessische Innenministerium jetzt die Vorsitzenden der im Landtag
       vertretenen Parteien wissen. Und es kündigte weiter an, dass es an die "nie
       eingestellten" Ermittlungen gegen den Mann anknüpfen werde. Das bestätigt
       auch ein Sprecher des inzwischen in der Causa allein ermittelnden
       Generalbundesanwalts.
       
       ## Anwesend aber den Mord nicht mitbekommen?
       
       Wie bislang kolportiert wurde, war der Verfassungsschützer auch nie vom
       Dienst suspendiert worden. Er war in eine Einrichtung der Bezirksregierung
       versetzt worden, weil er als "Zeuge einer Gewalttat", wie es immer noch bei
       der damals ermittelnden Staatsanwaltschaft in Kassel heißt, nicht mehr in
       sicherheitsrelevanten Bereichen tätig sein dürfe.
       
       "Alles muss jetzt auf den Prüfstand und neu bewertet werden", fordert der
       Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzende der Grünen Hessen, Tarek Al-Wazir,
       der seinerzeit dem parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste
       angehörte. Dass der in Mordverdacht geratene Verfassungsschützer sich
       entgegen seinen damaligen Aussagen zur Tatzeit doch noch im Café befand,
       sei "unfassbar" und werfe viele neue Fragen auf.
       
       Nach taz-Informationen behauptet der inkriminierte Verfassungsschützer
       jetzt, dass er zum Tatzeitpunkt zwar anwesend gewesen sei, aber von dem
       Mord nichts mitbekommen und wohl wegen des benutzen Schalldämpfers auch
       nichts gehört habe. Bei seiner neuerlichen Vernehmung am Montag habe er
       zudem angegeben, das Internetcafé nur deshalb aufgesucht zu haben, um
       unbemerkt von seiner Ehefrau mit seiner Geliebten zu kommunizieren.
       
       Warum aber stellte er sich als Beamter nicht umgehend der Polizei
       freiwillig als Zeuge zur Verfügung? Und war der Verfassungsschützer
       vielleicht auch noch an anderen Tatorten zugegen? Für drei andere Tatorte
       habe er ein Alibi, hieß es am Dienstag von Seiten der Ermittlungsbehörden.
       Und für die anderen sechs?
       
       Auch im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags (PKG) wurden die
       hessischen Vorgänge erörtert. PKG-Chef Thomas Oppermann kritisierte nach
       der Sitzung die Vorgänge im hessischen Verfassungsschutz 2006 als "sehr
       problematisch". So hätte es zweifelhafte Mitarbeiter und fragwürdige
       Zuständigkeiten gegeben.
       
       ## Waffennarr und "Mein Kampf"-Leser
       
       Oppermann sagte, dass es bisher noch keine Bestätigung gebe, dass der
       Verfassungsschützer auch an anderen Tatorten anwesend war. Selbst dafür,
       dass er bei der Tat in Kassel während des Mordes noch in dem Café war, habe
       er noch keine Belege. "Die Ermittlungen haben allerdings ergeben, dass die
       Person offenkundig eine starke rechte Gesinnung hat", sagte Oppermann.
       
       Der Verfassungsschützer soll ein Waffennarr sein, berichten überstimmend
       mehrere Quellen aus Sicherheitskreisen. In seinem Heimatort habe man ihn
       auch den "kleinen Adolf" genannt. In seiner Wohnung habe man Exzerpte aus
       Hitlers "Mein Kampf" gefunden. Zudem ein Buch über Serienkiller. "Es
       bleiben noch viele offenen Fragen im Fall von Kassel", sagte Michael
       Hartmann, der für die SPD im Kontrollgremium sitzt.
       
       Fest steht wohl schon jetzt, dass 2006 schlampig ermittelt wurde. Mit der
       damaligen Lüge vom Verlassen des Tatorts war der Verdächtige jedenfalls
       durchgekommen. Die Indizien hätten für einen Haftbefehl nicht ausgereicht,
       sagt der zuständige Kasseler Oberstaatsanwalt Hans-Manfred Jung.
       
       Auch sei man bei der Überprüfung der Laufwege des Verfassungsschützers auf
       keine Hinweise auf andere Tatorte gestoßen. Und jetzt? Nun verlangt das
       Parlamentarische Kontrollgremium im Hessischen Landtag vollständige
       Aufklärung - in geheimer Sitzung. Übrigens: Der Verfassungsschutz Hessen
       leistete nach der Wende in Thüringen umfassende Aufbauhilfe.
       
       16 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) K.-P. Klingelschmitt
 (DIR) W. Schmidt
 (DIR) P. Wrusch
       
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