# taz.de -- Streit um Urheberrecht: Argumente gegen Kettensägen
       
       > Ob in der Blogosphäre oder bei den Grünen: Die Debatte über Reformen des
       > Urheberrechts wird hart geführt - neuerdings aber auf hohem Niveau.
       
 (IMG) Bild: Künstler oder Musikindustrie: Wer profitiert eigentlich vom Urheberrecht?
       
       Dass Vorsitzende von Unternehmensverbänden sich über Journalisten
       echauffieren, kommt wahrscheinlich häufiger vor. Der 14-seitige Offene
       Brief, den Mark Chung, der Chef des Verbandes Unabhängiger Musikunternehmen
       (VUT), kürzlich auf der Website der Organisation zum Download bereit
       stellte, fällt aber aus dem Rahmen. So materialreich und quellengesättigt
       sind Entgegnungen auf journalistische Beiträge selten.
       
       Adressat des Briefs ist der Berliner Konzertveranstalter und Autor Berthold
       Seliger, der in der November-Ausgabe der Zeitschrift konkret eine
       Kettensägen-Polemik gegen das - nicht nur deutsche - Urheberrecht
       publiziert hat.
       
       Dieses nutze keineswegs den Künstlern, sondern der "Verwertungsindustrie",
       die einen plumpen [1][Lobbyismus] betreibe. Chung wiederum argumentiert,
       der Gegensatz zwischen Künstlern und "Verwertungsindustrie" sei ein
       Klischee, das mit der Realität längst nichts mehr zu tun habe.
       
       Nachdem der [2][Blog Spreeblick] Chungs Text republiziert hat, ist aus der
       Debatte mehr geworden als ein Streit zwischen zwei Musikbusinessleuten.
       Hier findet erstmals auf breiterer Ebene eine Debatte darüber statt, ob
       jene, die das bestehende Urheberrecht kritisieren, der PR-Strategie von
       Internet- und Telekommunikationsgiganten wie Google auf den Leim gehen.
       
       Denn dieser Konzern ist interessiert daran, dass sein bisheriges
       Geschäftsmodell so wenig wie möglich durch das Urheberrecht beeinträchtigt
       wird.
       
       ## 
       
       Chung fragt nun, ob gar einige "selbsternannte ,Internet-Evangelisten'",
       die sich als Urheberrechtskritiker einen Namen gemacht haben, zumindest
       teilweise von Google finanziert werden. Der VUT-Chef vermisst Transparenz:
       "Wovon leben die Akteure, wie finanzieren sich ihre Institutionen? Wir
       unterstellen nichts, wir stellen einfach fest, dass es für uns nicht
       erkennbar ist", sagte er.
       
       Einer der Kernsätze Seligers, die Mark Chung aufgreift, lautet: "Ein
       Ammenmärchen der Kulturindustrie besagt, illegale Downloads seien schuld
       daran, dass Künstler nicht mehr von ihrer Kunst leben können." Chung
       kontert diese Behauptung mit der Aufzählung von 20 wissenschaftlichen
       Studien, die beweisen, dass Filesharing eben doch einen negativen Effekt
       auf Musikverkäufe hat, an dem Ammenmärchen also doch etwas dran ist.
       
       Es existierten dagegen nur zwei Untersuchungen, aus denen hervorgehe, dass
       sich Filesharing positiv auf Tonträgerverkäufe auswirke, diese Studien
       seien aber methodisch dubios. Seliger darf somit für sich verbuchen, dass
       er eine Debatte ausgelöst hat, in der nun auch langsam wissenschaftliche
       Fakten eine Rolle zu spielen beginnen und nicht mehr bloß ein paar
       Taschenspielertricks und ganz viel Bauchgefühl.
       
       Gestützt wird Chungs Argumentation durch eine neue, möglicherweise Bahn
       brechende Studie von Stan J. Liebowitz von der School of Management an der
       University of Texas in Dallas. Dessen Ziel ist es, das quantitative Ausmaß
       der auf Filesharing basierenden Verluste zu benennen.
       
       ## Umsatzeinbruch durch Filesharing
       
       Unter dem Titel [3]["The Metric is the Message: How Much of the Decline in
       Sound Recording Sales is Due to File-Sharing?"] hat er, verkürzt gesagt,
       ein Verfahren entwickelt, um die Berechnungen aus sämtlichen Studien zum
       Thema zusammenfassen zu können.
       
       Sein Resultat: Filesharing hat nicht bloß einen negativen Einfluss auf
       Musikverkäufe, vielmehr ist der gesamte Umsatzrückgang der
       Tonträgerindustrie seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts auf Filesharing
       zurückzuführen - statistisch gesehen jedenfalls.
       
       Diskussionsbedarf gibt es auch auf parteipolitischer Ebene. Der VUT und
       zahlreiche Künstler befürchten, die etablierten Parteien könnten nach dem
       Wahlerfolg der Piraten in Berlin versuchen, sich bei deren Zielgruppe mit
       unausgegorenen urheberrechtspolitischen Vorschlägen zu profilieren.
       
       Umstritten ist derzeit etwa ein Antrag, den der Bundesvorstand von Bündnis
       90/Die Grünen unter dem Titel [4]["Offenheit, Freiheit, Teilhabe - die
       Chancen des Internets nutzen - den digitalen Wandel grün gestalten!"] für
       die Ende kommender Woche stattfindende Bundesdelegiertenkonferenz (BDK)
       eingereicht hat.
       
       ## Neues Thema der Grünen
       
       Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kultur der Grünen meint, der Antrag ihrer
       Partei gefährde die Existenzgrundlage von Kreativen, und debattiert nun
       darüber, ob sie sich vor dem Parteitag öffentlich gegen den Vorstand
       positionieren soll. Ein Treffen diese Woche, das eigentlich als
       Meinungsaustausch zwischen Musikwirtschaftsvertretern und Grünen geplant
       war, war vor allem von heftigen Wortwechseln zwischen den anwesenden
       Parteileuten geprägt.
       
       Zu den Kuriositäten des Vorstandsantrags gehört die Verkürzung der
       Urheberrechtsschutzfristen auf fünf Jahre - "mit anschließender,
       gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption". Anders gesagt:
       Musiker müssen alle fünf Jahre eine "Gebühr" bezahlen, damit die Rechte an
       einem von ihnen komponierten Song nicht futsch sind.
       
       Das sei "völlig unpraktikabel", sagt Matthias Arfmann, Musiker
       (Ex-Kastrierte Philosophen) und Produzent der HipHop-Band Absolute
       Beginner. Er hat sich bereits an die Bundesvorsitzende Claudia Roth
       gewandt. Der Ex-Managerin von Ton Steine Scherben traut man in der Szene
       offenbar zu, dass sie die Ängste von Musikern nachvollziehen kann und in
       ihrem Interesse handelt.
       
       18 Nov 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://bit.ly/tZDzdQ
 (DIR) [2] http://bit.ly/t4ordK
 (DIR) [3] http://bit.ly/tfZAM8
 (DIR) [4] http://bit.ly/nufvJo
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
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