# taz.de -- Protest in Ägypten: Tahrir-Platz bleibt besetzt
       
       > Die Aktivisten wollen bleiben, bis der Militärrat seine Macht abgibt. Sie
       > sind gut organisiert und sorgen für Nachschub – Strom, Medikamente,
       > Verpflegung.
       
 (IMG) Bild: Ein verletzter Demonstrant wird im Feldlazarett versorgt.
       
       KAIRO taz | "Heute Morgen hat mein zweijähriger Sohn mit einer Gasmaske
       gespielt, die hatte ich gestern auf dem Tahrir dabei und habe sie auf dem
       Küchentisch liegengelassen. Leben wir in einem verrückten Land?" fragt mein
       Nachbar und Freund, der ägyptische Menschenrechtsaktivist Gasser Abdel
       Raseq auf dem gemeinsamen Weg ins Büro in unmittelbarer Nähe des
       Tahrir-Platzes in Kairo.
       
       Bevor wir losfuhren, hatte er noch zwei leere Benzinkanister eingeladen.
       Das war ein Auftrag, den er vom "Tahrir-Nachschub-Team" per Email erhalten
       hatte. Eins der Feldkrankenhäuser auf dem Tahrir-Platz bräuchte Benzin für
       seinen Generator, in "sicheren Metallkanistern", damit sich das Benzin
       nicht durch die Tränengasgranaten entzünden könne.
       
       Gasser ist einer von hunderten Freiwilligen, deren Telefonnummern, Email
       und Facebook-Adressen im Moment kursieren, um den Nachschub für den
       Tahrir-Platz zu organisieren. Manche haben sich für technischen,
       medizinischen oder den Essensnachschub eingetragen, andere haben sich
       freiwillig als Fahrer von den entlegensten Außenbezirken Kairos gemeldet,
       um die Güter zu transportieren. Unterwegs kommt die nächste Nachricht vom
       Tahrir. Man bräuchte nicht nur Benzin, sondern jetzt auch noch einen
       Generator. Eine andere Lieferung sei ausgefallen.
       
       "Diesmal sind wir wesentlich besser organisiert als im Anfang des Jahres
       beim Aufstand gegen Mubarak. Dort richten sich jetzt alle auf einen langen
       Aufenthalt ein", erklärt Gasser. "Die Leute wollen solange auf dem Tahrir
       bleiben, bis das Militär seine Macht an eine zivile Autorität abgibt," fügt
       er hinzu. Denn keiner traue den Ankündigungen des Feldmarschalls Muhammad
       Tanatawi vom Dienstag abend. In einer Fernsehansprache hatte dieser
       angekündigt, dass der Militärrat bis Juli Präsidentschaftswahlen
       durchführen und dann seine Macht an einen zivilen Präsidenten abgeben will.
       Wenn das Volk eine frühere Übergabe wolle, hatte er vage ein Referendum in
       Aussicht gestellt.
       
       ## Tantawi hat gelogen
       
       "Der gleiche Tantawi hatte nach dem Sturz Mubaraks angekündigt, dass das
       Militär für eine Übergangszeit von nicht mehr als sechs Monaten an der
       Macht bleibt, eine aktenkundige Lüge", meint Gasser. Das Militär sei direkt
       für den Tod von Dutzenden Ägyptern verantwortlich, habe mindestens 12.000
       Menschen vor Militärgerichte gestellt und stehe jetzt hinter den
       Auseinandersetzungen gegen die Tahrir-Demonstranten. "Warum sollen die
       Menschen nach einer Rede mit vagen Ankündigungen nach Hause gehen?" fragt
       er.
       
       "Die Übergabe von einer militärischen zu einer zivilen Verwaltung ist
       entscheidend, damit sich die arabischen Länder in Zukunft normal entwickeln
       können", argumentiert der Kolumnist Rami Al-Khouri. "Das erneute Aufleben
       der Demonstrationen ist vielleicht wichtiger als die Massenproteste gegen
       Mubarak vor neun Monaten, weil sie ein Kernproblem der modernen arabischen
       Welt angehen: die übertriebene Rolle des Militärs", schreibt er und führt
       aus, dass der Prozess hin zur einer Demokratie in Tunesien wesentlich
       besser laufe, weil die tunesische Armee ihre begrenzte Rolle akzeptiert
       habe, während "die ägyptische Armee immer noch glaubt, die öffentliche
       Ordnung und Angelegenheiten fest im Griff halten zu müssen".
       
       ## Alles begann mit 50 Aktivisten
       
       Die Proteste in Ägypten hatten sich schnell verselbstständigt. Nach einer
       großen Freitagsdemonstration, organisiert von verschiedenen politischen
       Gruppierungen einschließlich der Muslimbrüder, hatte eine Gruppe von nur 50
       Aktivisten beschlossen, auf dem Platz zu übernachten, bis die Forderung der
       Machtübergabe des Militärs erfüllt wird. Am Morgen war die Gruppe auf 200
       angewachsen, als die Polizei den Platz stürmte und innerhalb kürzester Zeit
       Tausende auf dem Tahrirplatz zusammengeströmt waren, um die Aktivisten zu
       verteidigen. Fünf Tage später standen wieder Hunderttausend auf dem Tahrir.
       
       Viele Demonstranten hatten zunächst nichts mit den ursprünglichen Protesten
       gegen das Militär anfangen können, aber wegen des brutalen Vorgehens der
       Sicherheitskräfte solidarisierten sich viele wie im Januar mit dem Tahrir.
       Es ist eine politisch aktive Gruppe aus unterschiedlichsten politischen
       Strömungen, die nun die Tagesordnung setzt. Sie folgt auch nicht den
       Anweisungen ihre politischen Führungen.
       
       So hatte die Muslimbruderschaft beispielsweise ihren Mitgliedern untersagt,
       mit auf dem Tahrir gegen das Militär zu demonstrieren, trotzdem waren am
       Mittwoch zahlreiche junge Muslimbrüder auf dem Platz. "Ich bin nicht hier
       als Muslimbruder, sondern privat als politischer Aktivist", erklärte einer
       von ihnen. "Komm zur Verabredung, aber lass deine Frau zu Hause", wird auf
       dem Platz über die Muslimbrüder gewitzelt. Im Umkehrschluss heißt das aber
       auch, dass der Tahrir keine politische Führung hat und damit niemanden, der
       die Aktivisten nach hause schicken kann.
       
       ## Generator und Strom für das Feldlazarett
       
       So herrscht in Kairo Ratlosigkeit und Aufbruchsstimmung zugleich. Die
       Bedeutung der Parlamentswahlen ist in Frage gestellt, das Militär gibt vage
       Versprechungen, wann es die Macht übergibt. Und der Tahrir-Platz richtet
       sich auf eine lange Zeit als Wächter des Übergangs von einer militärischen
       auf eine zivile Verwaltung ein.
       
       Gasser sitzt jetzt im Büro und wartet auf die Lieferung des 5KW-Generators.
       Im Laden hat man ihm sofort einen Preisnachlass gegeben, als deutlich
       wurde, wohin das Gerät gebracht wird. Die Summe hat er in wenigen Stunden
       in seinem Freundeskreis gesammelt. Ein anderer Freund kommt gleich mit
       Kabeln und Glühbirnen vorbei. Dann geht es zum Platz. Läuft alles nach
       Plan, wird das Feldlazarett auf dem Tahrir noch vor Sonnenuntergang mit
       Strom versorgt sein.
       
       23 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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