# taz.de -- 10 Jahre Elektroniklabel Sonig: Hier schwitzen die Prozessorkerne
       
       > Das Kölner Elektroniklabel Sonig, Heimatbahnhof für Acts wie Mouse on
       > Mars, feiert sein Überleben in der Nische mit einem vorgezogenen
       > Firmenjubiläum.
       
 (IMG) Bild: Krawall als schöne Kunst: Kevin Blechdom komponiert eigentlich Musik.
       
       Nichts illustriert die Dauerkrise der Musikindustrie so schön wie der Trend
       zum Boxset. Weil alle Rechte schon vorhanden sind, ist es kostengünstig
       herzustellen; es wird von solventen Menschen reiferen Alters gekauft. Qua
       Form transportiert es den leicht selbstgefälligen Gestus einer Relevanz,
       die über das Jetzt hinausweisen soll.
       
       Ein wenig anders verhält es sich, wenn eine solche Zusammenstellung "Boxset
       Thing" heißt und mit einem Cover daherkommt, auf dem in
       Zahnbürsten-Spritztechnik viele Farben über einen krakeligen Schriftzug
       verteilt sind. Dann handelt es sich um das verfrühte Jubiläumsgeschenk des
       Kölner Elektroniklabels Sonig.
       
       "So nich" spricht man das im rheinischen Dialekt aus und ein wenig klingt
       es auch nach einem Programm für das, was da in den letzten 14 Jahren am
       Rande der Kölner Innenstadt in Plattenhüllen verpackt wurde: Das
       ungeschriebene Gesetz des Genres kennen die Musiker des Labels gut genug,
       um immer wieder kleine Schlupflöcher zu finden.
       
       Lust auf Dubstep, aber keinen Spaß an Aggrobässen? Freude am Scratchen,
       aber nicht an rammdösigen HipHop-Hooklines? Bei Sonig ist die
       Bastardisierung von Genres der nicht ganz so geheime Kern des Masterplans.
       "Spielerischer Umgang mit der Musik ist etwas, was uns alle verbindet",
       erzählt Labelbetreiber Frank Dommert. "Unsere Soundvorstellung ist
       experimentell, aber humorvoll - ohne Totenköpfe und Düsternis."
       
       ## Bass und Rhythmus erwünscht
       
       Mit dieser Einstellung hat man es nicht immer leicht. Sonig ist ein Label
       mit langem Atem, im besten Sinne anachronistisch. Gegründet wurde das Label
       1997, zu einer Zeit, als Rechenleistung und neue Software zusammen mit dem
       Wiederentdecken der Nachkriegsavantgarde und ihrer frei improvisierenden
       Nachfolger das Heimstudio zur Spielweise der experimentellen Musik machten.
       
       Parallel dazu erneuerte sich auf den Tanzflächen der Sound im Jahrestakt
       und ermöglichte selbst in seinen Nischen ein relativ sorgenfreies
       Überleben. Goldene Zeiten also, besonders im Vergleich zum sorgfältig
       kartografierten Musikspektrum von heute, wo "experimentelle Elektronik" die
       immergleiche Wiederholung von Soundscapes im hohen und mittleren
       Frequenzbereich meint.
       
       Bei Sonig sind Bass und Rhythmus ausdrücklich erwünscht. Was nicht zuletzt
       daran liegt, dass die Labelmacher nicht nur Avantgarde, sondern auch
       Breakbeat, Dub und Calypso in ihren Plattenregalen horten. Der Rhythmus von
       Sonig ist ein leicht verschobener - quantisiert, aber immer wieder
       ausfransend.
       
       Beim Laptop-Duo The Allophons überschlagen sich die modulierten Drumspuren,
       bis der Rhythmus selber eine Textur wird, die einen Track über mehrere
       Minuten tragen kann. Angeber sagen dazu "polyrhythmisch", Frank Dommert
       nennt es "ungeraden Beat": "Dieser ungerade Beat zieht sich ein wenig durch
       die Veröffentlichungen, auch weil er Jan, der vom Schlagzeug kommt, wichtig
       ist."
       
       ## Hören und spüren
       
       Jan, das ist Jan St. Werner, eine Hälfte des Elektronikduos Mouse on Mars,
       der Sonig zusammen mit seinem Bandkollegen Andi Toma und Dommert betreibt.
       St. Werners eigenes Projekt Lithops ist dabei typisch für die Entwicklung
       des Labels. Während seine ersten Veröffentlichungen aus dem
       Experimentiergeist der Neunziger pluckrige Loopcollagen formten, hat er die
       Intensitätsschraube in den letzten Jahren angedreht.
       
       St. Werner schichtet digital prozessierte Gitarrensamples über ein
       gesampletes Jazzschlagzeug zu Stücken, die in ihrer Körperlichkeit einem
       Free-Jazz-Konzert in nichts nachstehen. Nur die ultramaskuline Geste des
       existentiell um sein Leben spielenden Musikers fehlt - bei Lithops
       schwitzen höchstens die Prozessorkerne.
       
       "Genau dieses Zwischending zwischen dem Hören und Spüren der Musik ist es
       auch, was ich persönlich mag", bekennt Dommert. "Viele meiner Freunde sind
       Musiker, die ihre klassische Ausbildung erst wieder vergessen mussten, wenn
       ich mit einer Lärmplatte ankam, auf der einfach jemand eine Maschine
       anwirft."
       
       Was wiederum nicht bedeutet, dass Sonig sich in der Krachnische gemütlich
       eingerichtet hat. Immer wieder gab es Sonig-Alben voller Popminiaturen,
       egal ob der bildende Künstler, der in Berlin lebende US-Amerikaner Jason
       Forrest Disco-Samples zu breitwändigen Breakcore-Collagen mit
       Kindergeburtstagsatmosphäre auftürmt oder die US-Musikerin Kevin Blechdom
       ihre digital verfremdeten Countryballaden herzergreifend intoniert.
       
       ## Künstler im Plattenladen kennen gelernt
       
       Bis heute funktioniert Sonig unangestrengt kompromisslos nach dem
       persönlichen Geschmack seiner Macher. Die Künstler findet man beim Stöbern
       in Plattenkisten, im Internet oder über Freunde und wählt dann altmodisch
       nach Sympathie aus, mit wem man gerne ein Album machen möchte.
       
       "Scratch Pet Land haben wir über eine Maxi im A-Musik-Plattenladen
       kennengelernt und ihnen dann alle unsere Veröffentlichungen geschickt",
       erzählt Dommert. "Das war aber gar nicht nötig, denn gleichzeitig haben sie
       uns kontaktiert und uns ihre Veröffentlichungen gesendet." Der Brite Vert
       hat wiederum über die Musik die Liebe in der Domstadt gefunden. So ist es
       entstanden, das Geflecht von Sonig und dem A-Musik-Plattenladen, wo Dommert
       hinter der Ladentheke steht, und das man so gerne als eine der Säulen des
       "Sound of Cologne" bezeichnet hat.
       
       "Wenn man von außen auf Köln schaut, wirkt es so, als gäbe es hier die eine
       große Elektronik-Szene, auch wenn man vielleicht im Alltag eher
       nebeneinanderher existiert", erzählt Dommert. "Wir kriegen immer Demos von
       Minimal-Techno-Produzenten geschickt, obwohl wir noch nie reinen Techno
       veröffentlicht haben." Wobei man selbstverständlich auch die Kollegen des
       Kölner Minimal-Imperiums Kompakt in den vollgestellten Fächern des
       A-Musik-Plattenladens findet.
       
       Wie an keiner zweiten Adresse in Westdeutschland haben hier Lokalgewächse,
       die kölschen Raggacore machen, ebenso ein Zuhause wie Kleinstlabels, die
       vergriffene Aufnahmen von Frühwerken der elektronischen Musik in
       enzyklopädisch aufbereiteten Vinylboxen wiederveröffentlichen. Und all das
       geschieht auf einer soliden Basis aus vier Mitarbeitern und ungezählten
       Überstunden. "Wir haben eigentlich immer mehr Arbeit, als wir leisten
       können", beschreibt Dommert seinen Alltag. "Jedes Restaurant würde noch
       jemanden einstellen, aber wir arbeiten ein wenig gegen die Idee, dass man
       immer wachsen muss."
       
       Es ist ein typisches Sonig-Understatement, bei dem auch ein wenig Stolz
       mitschwingt. Denn was Mitte der Neunziger mit elektronischer Musik als
       musikalischer Freiraum begann, wurde schnell auch als sozialer Freiraum
       gedacht; Labels, Musiker und Plattenläden als rhizomatisches Netzwerk
       begriffen, das in immer schnelleren Deterritorialisierungen eine
       kapitalistische Betriebsordnung zumindest irritieren kann.
       
       ## Krise gemeistert
       
       Dass es dann ausgerechnet die Insolvenz einiger Vertriebe von
       elektronischer Musik in ganz Europa, wie etwa die Pleite von Efa, im
       Verbund mit der Digitalisierung von Musik war, die dieses Netzwerk zum
       Zusammenbruch brachte, ist eine der bitteren Ironien des Plattengeschäfts
       auf unabhängiger Basis: "Niemand konnte erahnen, dass der Markt ab 2005 so
       brutal einbricht, aber es wollte auch niemand offen drüber reden."
       Stattdessen gab es die üblichen Floskeln über den "neuen Trend zum Vinyl"
       und viele Rückkehrer in den alten Brotjob.
       
       Aber Sonig hat diese Krise gemeistert. Und mittlerweile ist es schon fast
       ein wenig Luxus, ein Label mit einer quer zu allen Trends stehenden
       Soundsignatur zu betreiben - ein Luxus, der nun ausnahmsweise mal
       subventioniert wird: "Edition Elektronik" steht auf der Rückseite des
       "Sonig Boxset Thing", das ohne die Förderung durch den Deutschen Musikrat
       nicht über die Planungsphase hinausgekommen wäre.
       
       Ein verfrühtes Geschenk zum 15-jährigen Label-Jubiläum im kommenden Jahr.
       Ein Datum, das selbst Dommert überrascht: "Es ist ja nicht normal, dass ein
       Label so lange durchhält. Die meisten Labels, die man gut findet, gibt es
       fünf bis zehn Jahre, und dann ist Schluss."
       
       Various Artists: "Sonig Boxset Thing" (Sonig/Rough Trade)
       
       2 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Werthschulte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Lo-Fi-Avantgarde Mouse on Mars: Selbstbild als Hipster aus Baku
       
       Das neue Album von Mouse on Mars führt den technologischen Skeptizismus des
       Duos konsequent weiter. Ihr Sound entsteht beim Scheitern.
       
 (DIR) Historikertagung zur Popgeschichte: Zeichen lesen lernen
       
       War Rock'n'Roll ein Gegengift zur Nazizeit? Ist Pop ein Schlüssel zur
       Zeitgeschichte? Solchen Fragen stellte sich eine Pophistory-Konferenz in
       Berlin.
       
 (DIR) Zombys "Dedication": Hingabe auf dem Dancefloor
       
       Hymnenhafte Akkorde, darüber ein verrauschter Dauerloop, der die Euphorie
       einer durchtanzten Nacht beschwört: So klingt Zombys zweites Album
       "Dedication".
       
 (DIR) Neues Album von Andreas Dorau: Noch mal von vorne anfangen
       
       Grandios: Der Hamburger Musiker Andreas Dorau schreitet in den Songs auf
       seinem neuen Album "Todesmelodien" auf dem schmalen Grat zwischen
       materieller Welt und Abgrund.