# taz.de -- Zum Tode von Christa Wolf: Auf der Parkbank
       
       > Bescheiden, uneitel, redlich - und verletzlich: Wer Christa Wolf privat
       > erleben durfte, wurde von der klugen Frau reich beschenkt.
       
 (IMG) Bild: Auf der Leipziger Buchmesse: Christa Wolf.
       
       Dass es ihr nicht gut ging, wussten ihre Freunde. Christa Wolf lag im
       Krankenhaus, es bestand Anlass zu großer Sorge. Und trotzdem mochte man
       nicht daran glauben, dass es ans Sterben gehen könnte. So zugewandt, so
       interessiert an anderen, so warmherzig, so einfühlsam war sie: Wie sollte
       man sich vorstellen können, dass ein solcher Mensch plötzlich einfach nicht
       mehr erreichbar ist? Jetzt muss man es sich nicht mehr vorstellen. Jetzt
       ist es so.
       
       Das Ehepaar Wolf gehörte viele Jahre lang zum engsten Freundeskreis meiner
       Eltern, und fast niemand hat sich nach dem Tod meines Vaters so regelmäßig
       und liebevoll um meine Mutter gekümmert wie Christa Wolf: "Das werde ich
       ihr nie vergessen", sagte meine Mutter erst vor ein paar Tagen. "Niemals
       hat sie den Eindruck erweckt, eine lästige Pflicht erfüllen zu müssen. Man
       kann sich mit ihr so wunderbar unterhalten, auch über so viele leichte,
       ganz banale Dinge. Das hat mich an ihr immer fasziniert, und es hat mich
       besonders berührt, dass eine so bedeutende Frau nie den Kontakt zum
       normalen Alltag verloren hat. Sie ist der unprätentiöseste Mensch, den ich
       kenne."
       
       Ja, sie war auch der unprätentiöseste Mensch, dem ich je begegnet bin.
       Bescheiden, uneitel, redlich. Und verletzlich: Dumme, selbstgerechte
       Anwürfe westlicher Feuilletonisten, die ihr zum Vorwurf machten, von 1959
       bis 1962 - von 1959 bis 1962!! - mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben,
       kränkten sie tief. Wer nahm in dem hysterischen Klima, in dem ein billiger
       Enthüllungsjournalismus gedieh, zur Kenntnis, dass sie nur drei Berichte
       verfasst hatte, in denen sie ein positives Bild der Bespitzelten zeichnete?
       Und wer nahm zur Kenntnis, dass sie danach und deshalb selbst überwacht
       wurde, bis zum Zusammenbruch der DDR? Das nahm kaum jemand zur Kenntnis.
       
       Christa Wolf zog sich vor den Angriffen in die USA zurück. Dort hat mein
       Vater, der Publizist Günter Gaus, sie für seine Fernsehreihe "Zur Person"
       interviewt. Was für beide wohl wichtiger war: die Gespräche auf einer
       Parkbank. Mein Vater hat sie damals angeschrien, wie er erzählte. Die Szene
       kann ich mir gut vorstellen. Sie dürfe sich jetzt nicht zurückziehen,
       brüllte mein Vater, Sie müsse sich wehren. Ihr Buch "Stadt der Engel", in
       dem es um diese Lebensphase ging, erschien Jahre nach seinem Tod. Leider.
       Ich hätte so gerne einem Gespräch zwischen Christa Wolf und meinem Vater
       über dieses Buch zugehört.
       
       Uneitel, unprätentiös: Christa Wolf moderierte einen Literaturkreis in
       Pankow, zu dem sie mich nach der Veröffentlichung meines ersten Buches
       einlud. Moment. Wie war das? Christa Wolf, von der ich fand (und finde),
       dass sie den Literaturnobelpreis verdient hätte, möchte mich - mich? -
       moderieren? Das geht gar nicht. Doch, das geht, sagte sie. Und moderierte.
       Professionell, sachlich, klug. Sie war einfach nur: Moderatorin. Nicht: die
       bedeutende Schriftstellerin. Ich konnte es nicht fassen.
       
       Dürfen wir jetzt wenigstens dankbar sein für das, was ihr erspart geblieben
       ist? "Das ist meine größte Angst: dass Gerd vor mir stirbt", sagte sie
       einmal zu mir in einem Telefongespräch, als es ihrem Mann gesundheitlich
       nicht gut ging. Das - zumindest das - hat sie nicht erleben müssen. Ihr
       Mann Gerhard Wolf, mit dem sie 60 Jahre lang verheiratet war, wird jetzt
       ohne sie leben müssen.
       
       2 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
       ## TAGS
       
 (DIR) DDR
 (DIR) Nachruf
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Christa Wolfs Briefwechsel mit Reimann: Analog ist besser
       
       Der Briefwechsel der Autorin mit Brigitte Reimann ist ein Dokument
       intensiver Zugewandtheit in vollendeter sprachlicher und gedanklicher Form.
       
 (DIR) Lyrikerin Sarah Kirsch gestorben: Seelenzustände im Schnodderton
       
       Im Alter von 78 Jahren ist die Büchner-Preisträgerin Sarah Kirsch
       gestorben. Ihre Naturgedichte waren alles andere als naive
       Landschaftslyrik.
       
 (DIR) Trauerfeier für Christa Wolf: Quälende Wahrhaftigkeit
       
       Der Pfarrer aus Brandenburg, die Lehrerin aus Köln: Trotz eisigen Regens
       kamen hunderte Verehrer zur Beerdigung von Christa Wolf nach Berlin. Ein
       Ortstermin.
       
 (DIR) Danke, Christa Wolf!: Vergiss das nicht
       
       Am 4. November 1989 überraschte Christa Wolf die Massen auf dem
       Alexanderplatz mit einem Witz: "Vorschlag für den Ersten Mai: Die Führung
       zieht am Volk vorbei".
       
 (DIR) Nachruf auf Schriftstellerin Christa Wolf: Aus der Geschichte lernen
       
       Darum war es immer gegangen in der Literatur Christa Wolfs wie auch in
       ihrem Leben: bestehende Verhältnisse zu verändern - und sie zu bessern.
       
 (DIR) Im Alter von 82 Jahren: Schriftstellerin Christa Wolf gestorben
       
       Christa Wolf, die bedeutendste deutsche Schriftstellerin, ist im Alter von
       82 Jahren in Berlin gestorben. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen
       ausgezeichnet.