# taz.de -- Wende im Fall Abu-Jamal: Die fast vergessene Ikone
       
       > Der Ex-Black-Panther entgeht der Hinrichtung, aus der Haft entlassen wird
       > er nie. Die Witwe des ermordeten Polizisten wünscht ihm "alles denkbar
       > Schlechte".
       
 (IMG) Bild: In den USA machte die Umwandlung der Strafe für Abu-Jamal keine Schlagzeilen - Protestbild aus dem Jahr 2000.
       
       WASHINGTON taz | In Europa macht die Entscheidung Schlagzeilen. In den
       großen US-Medien hingegen kommt sie allenfalls als kurze Nachricht. "Keine
       Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal", überschrieb die Hauptstadtzeitung
       Washington Post ihren von einer Agentur übernommenen Sechzigzeiler.
       
       Die großen Fernsehsender erwähnten gar nicht erst die radikale Wende im
       Schicksal des international bekanntesten Todeskandidaten. Sie
       konzentrierten sich auf den US-Wahlkampf, auf einen pädophilen
       Footballtrainer in Philadelphia und auf einen wegen Korruption verurteilten
       Exgouverneur von Illinois.
       
       Staatsanwalt Seth Williams hatte eine Pressekonferenz als Setting gewählt,
       um seine Entscheidung öffentlich zu machen. Am Mittwoch erklärte er, dass
       die Justiz auf die Todesstrafe für den 58-jährigen Abu-Jamal verzichtet,
       der wegen des Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner verurteilt worden
       ist. Stattdessen muss Abu-Jamal lebenslänglich und ohne Möglichkeit einer
       Haftentlassung im Gefängnis bleiben.
       
       ## Widerstrebende Witwe
       
       Witwe Maureen Faulkner, deren Hauptaufgabe seit 30 Jahren die Verfolgung
       des Mörders ihres Mannes ist, saß neben dem Staatsanwalt. Sie sagte, dass
       sie der Umwandlung der Strafe "widerstrebend" zustimme. Und dass sie dem
       Verurteilten alles denkbar Schlechte wünsche für seine künftige
       "Gesellschaft von Verbrechern, in die er gehört". Ehemalige Kollegen des
       Ermordeten und Polizeigewerkschafter nahmen ebenfalls an der
       Pressekonferenz teil und gaben der Entscheidung ihren "Segen".
       
       Vor zwei Monaten hatte das Oberste Gericht der USA entschieden, dass die
       Justiz in Philadelphia den Fall Abu-Jamal neu aufrollen muss. Es war wegen
       der auch 30 Jahre nach dem Mord anhaltenden Zweifel am Verlauf von
       Abu-Jamals Verfahren eingeschaltet worden. Sein ursprünglicher Richter war
       mit dem "N"-Wort ("N" für "Nigger") ertappt worden. Und die ursprünglichen
       Geschworenen, die das Todesurteil gesprochen haben, sollen vor ihrer
       Urteilsfindung beeinflusst worden sein. Hinzu kommt - aber das war nicht
       der Gegenstand der Befassung des Obersten Gerichtes -, dass der Verurteilte
       selbst weiterhin bestreitet, den Mord begangen zu haben.
       
       Seth Williams, der erste schwarze Staatsanwalt in Philadelphia, hatte die
       Alternative, entweder ein Verfahren einzuberufen, bei dem erneut über die
       Todesstrafe entschieden wird, oder sie einfach umzuwandeln. Er entschied
       sich für Letzteres. Und vermeidet damit, dem Verurteilten eine neue Bühne
       und neue Öffentlichkeit zu geben.
       
       Kurz vor dem Entscheid des Obersten Gerichtes hatte im September eine
       Hinrichtung in Georgia die Praxis der Todesstrafen in den USA erneut in die
       Schlagzeilen gebracht. Trotz zahlreicher Zweifel an seiner tatsächlichen
       Schuld an dem Mord wurde der 42-jährige Troy Davis hingerichtet. Auch er
       war ein Afroamerikaner. Auch er war wegen Mordes an einem weißen Polizisten
       verurteilt worden. Seit seinem Tod sind in den USA Leute mit dem T-Shirt zu
       sehen: "Ich bin Troy Davis".
       
       ## Afrikanischer Vorname
       
       Das Profil von Abu-Jamal ist anders. Der 58-Jährige kam als Wesley Cook zur
       Welt. Als Jugendlicher nahm er den afrikanischen Vornamen Mumia an. Ein
       Lehrer aus Kenia, der in der von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung
       geprägten Aufbruchstimmung in den USA unterrichtete, schlug dem jungen
       Wesley 1968 den neuen Namen vor.
       
       Als "Mumi" ein paar Jahre später seinen ersten Sohn bekam, änderte er auch
       seinen Nachnamen in: "Vater von Jamal". Von 1969 bis 1970 war Abu-Jamal als
       Aktivist der radikalen Black Panther Party aktiv. "Ein weißer Rassist hat
       mich dahin geprügelt", begründete er später sein Engagement. Ab Anfang der
       70er Jahre arbeitete Abu-Jamal vor allem als Journalist. Er war Präsident
       der schwarzen Journalistenvereinigung in Philadelphia. Und schrieb über
       Themen wie den Musiker Bob Marley und eine Anarchokommune in Philadelphia.
       Nebenbei verdiente er Geld als Taxifahrer.
       
       Am Tag des Polizistenmordes im Januar 1981 lag Abu-Jamal in der Nähe des
       erschossenen Toten. Er war durch einen Schuss des Polizisten verletzt.
       Mehrere verschossene Patronen aus seinem Revolver lagen am Ort des
       Geschehens. Vor der Schießerei hatte der Polizist einen Bruder von
       Abu-Jamal zu einer Verkehrskontrolle angehalten.
       
       Vor Gericht belasteten vier Zeugen - eine Prostituierte, ein Taxifahrer,
       ein Autofahrer und ein Fußgänger - Abu-Jamal. Er selbst bestritt stets,
       dass er den Polizisten erschossen hat. Er erklärte auch, das er einen
       anderen Mann - dessen Namen er nie genannt hat - am Tatort gesehen habe.
       
       ## Internationale Ikone
       
       Die Verurteilung des ehemaligen Black Panther löste internationale Proteste
       aus. In Europa wuchsen Generationen von Linken mit seiner Geschichte auf.
       Er gab der Praxis der Todesstrafe in den USA einen Namen und ein Gesicht.
       Sein Konterfei mit Rastalocken wurde weltweit zur Ikone. Seine Bücher,
       seine Zeitungsartikel und Radiobeiträge aus dem Todestrakt sind
       international bekannt. In Paris versammeln sich allwöchentlich Leute aus
       Protest vor der US-Botschaft. Die Vorstadt Saint-Denis hat 2006 sogar eine
       Straße nach ihm benannt.
       
       Doch in den USA fiel Abu-Jamal zwischendurch immer wieder beinahe in
       Vergessenheit. Er ist politisch radikaler, als die meisten radikalen Linken
       es sind. Und er spricht in seinen Beiträgen eine politische Sprache, die
       nach Vergangenheit klingt. Aber zu seinen Gerichtsterminen in Philadelphia
       versammelten sich jedes Mal Unterstützer mit dem Slogan "Free Mumia". Die
       Unterstützer von Abu-Jamal und die Bewegung gegen die Todesstrafe, die in
       den vergangenen Monaten dank Troy Davis einerseits, aber auch dank der
       Occupy-Bewegung alle möglichen verdrängten Themen in die Öffentlichkeit
       geholt hat, planten schon lange eine Versammlung für heute, den 9. Dezember
       in Philadelphia. Es ist der 30. Jahrestag von Abu-Jamals Verurteilung.
       
       Ursprünglich richtete sich die Versammlung gegen seine Hinrichtung. Jetzt
       wird sie sich mit der neuen Lage in dem weiterhin aktuellen Dossier
       befassen müssen.
       
       8 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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