# taz.de -- Der echt wahre Skandal: Unter deutschen Krüppelwalmdächern
       
       > Christian Wulff hatte einen Traum: Es war der harmlose Retro-Wunsch nach
       > Familienglück im Eigenheim in Suburbia. Menschen, die sich Freunde
       > nannten, nutzten das schamlos aus. Und jetzt kriegt er dafür auch noch
       > Kloppe von der Presse. Gemein!
       
 (IMG) Bild: Hinter Gittern und Stein-Sockeln, die wie Mini-Wachttürme wirken, wohnen die Wulffs.
       
       Drei Sehenswürdigkeiten hatte Großburgwedel bislang: Da ist die
       Petri-Kirche aus dem frühen 13. Jahrhundert, dann die Rossmann-Zentrale und
       schließlich noch jener Platz, an dem seit 2009 ein Mahnmal an die
       gefallenen SS-Leute des Ortes erinnern sollte, und auch an ihre Opfer. Das
       erregte damals bundesweit Aufsehen.
       
       Nur, dann wurde 14 Tage nach der Enthüllung das erste echte Kriegerdenkmal
       der Bundesrepublik zerstört, und seither grübelt der Gemeinderat, wie er
       mit diesem Problem fertig werden soll. Der Berater von der Stiftung
       Niedersächsische Gedenkstätten scheint aufgegeben zu haben, jedenfalls
       fehlte er zuletzt unentschuldigt bei den Ratssitzungen. Und nun hat der Ort
       unverhofft doch noch ein spektakuläres Mahnmal gewonnen, nämlich das
       verklinkerte Einfamilienhaus Christian Wulffs.
       
       Auch hier verschwimmen in ortstypischer Manier die Grenzen zwischen Täter
       und Opfer, wenigstens in der Berichterstattung. Aber das liegt daran, dass
       die meisten JournalistInnen in ihrem Leben noch nicht in Großburgwedel
       waren. Und dass von viel Geld die Rede ist, also relativ, was sind schon
       500.000 Euro, noch dazu auf Pump.
       
       Aber es reicht, um Neid-Reflexe zu aktivieren, die blind machen fürs Reale.
       Laut Slavoj Zizek ist der Kern des Realen das Grauen. Und schon sind wir
       beim Haus, das der damalige Ministerpräsident geglaubt hat, erwerben und
       beziehen zu müssen. Wie kam er nur dazu? Und wieso hat er dafür eine halbe
       Million Kredit gebraucht? Und straft nicht ein Blick auf diese Immobilie
       die Annahme Lügen, Wulff könnte in dieser Affäre Täter sein - und nicht das
       Opfer?
       
       Großburgwedel ist zweigeteilt. Es gibt einen hübschen Ortskern. Rund um die
       alte Kirche mit ihrem Feldsteinturm ducken sich, rosenberankt und weiß
       gekälkt, prächtige historische Fachwerkhäuser unter kräftigen
       Kastanienbäumen. Der andere Teil, das ist nicht Großburgwedel. Das ist
       Hannovers Suburbia: Neubau-Gebiete, wo der Klinker herrscht. Der soll den
       weitestgehend standardisiert dahingeklobten Einfamilienbunkern mit
       Krüppelwalmdach den Anschein von Individualität verleihen, traditionell
       wirken und ganz sicher regional, auch wenn man bei der Ziegelfarbe zu
       Kompromissen bereit ist. Also Friesisch-Gelb mit leichtem Schmutzton.
       
       Territorien "für ein faksimiliertes Leben unter Ausschluss all dessen, was
       Wahrnehmung der Wirklichkeit ausmacht" hat der Architekturhistoriker Frank
       R. Werner diese Neureichen-Ghettos genannt. Städtebaulich stellen sie eine
       Vorstufe zu den Gated Communities der USA dar: Es fehlt noch der Zaun, und
       das Tor mit dem Wächter. Die meisten Hausbesitzer hegen sich dort deshalb
       mit Gusseisen ein, selbstredend mit rostschutzgrundiertem Dreifach-Anstrich
       in Anthrazit: Auch die Wulffs haben sich hinter Gitter und Pforte
       verschanzt, deren Rahmen bilden gemauerte Sockel, die aussehen wie
       Wachtturm-Modelle. Die einladend abgerundete Freitreppe wirkt dahinter wie
       ein verzweifelt artikulierter, aber massiv unterdrückter Wunsch, doch
       weltoffen sein zu dürfen.
       
       Hier kommen die Freunde ins Spiel. Denn gute Freunde sind für solche
       Botschaften sensibel. Ein guter Freund hätte Wulff gewarnt: Hör auf deine
       Freitreppe. Mach dich nicht unglücklich! Wer sich in eine solche Außenhülle
       zwängt, zieht ins Verderben! Nicht mal wenn dir jemand dafür 500.000 Euro
       bietet, darfst du da rein. Aber was ist dem Ministerpräsidenten Wulff
       widerfahren? Offenkundig das Gegenteil. Wulff hatte sich an seinen Kumpel
       Egon Geerkens gewandt, den Schrottmillionär aus Osnabrück, und dessen Frau.
       Und statt ihm abzuraten - haben die ihm 500.000 Euro gegeben, damit er und
       seine Familie sich in Großburgwedel einkerkern.
       
       Natürlich nicht geschenkt, sondern festverzinst. Anfang 2008 liegt der
       durchschnittliche Zinssatz für Immobilienkredite noch bei 3,9 Prozent. Die
       Geerkens bieten ihrem Kumpel 4,0 Prozent. Nett! Auch nimmt er volle 500.000
       Euro Schulden auf, obwohl er das Haus für - immer noch mehr als stolze -
       415.000 Euro erwirbt. Es ist ein Neubau, da ist der Sanierungsbedarf klein,
       und die Sicherheitssonderausstattung muss ja das Land zahlen. Und
       wahrscheinlich glaubt er immer noch, damals ein gutes Geschäft gemacht zu
       haben, als ihn das Osnabrücker Pärchen in die Scheiße ritt. Sonst hätt ers
       ja längst mal erzählen können.
       
       Manche haben sich in letzter Zeit gewundert, dass der Bundespräsident so
       wenig zu sagen hatte - zu Euro-Wahn und Bankenkrise. Die Affäre um sein
       Verließ in Großburgwedel legt eine Spur zum Verständnis: Vielleicht, dass
       Christian Wulff, in seinen Muße-Stunden dort im Kerker vor den Toren
       Hannovers manchmal sitzt, und es dämmert ihm: Diese ganze undurchsichtige
       Welt von Wirtschaft und Finanzen, sie ist feindlich und sie ist bös. Und
       ich versteh sie einfach nicht.
       
       16 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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