# taz.de -- TAZ-SERIE "SO WIRD 2012" (TEIL 2): "Wir haben jeden Schreibtisch gezählt"
       
       > Vom 2. auf den 3. Juni ziehen die Flughäfen Tegel und Schönefeld zum BER.
       > Der Umzugsprofi Larisch vom Flughafen München sorgt für den reibungslosen
       > Ablauf.
       
 (IMG) Bild: Abflug mit dem neuen Tower am Horizont: Ein Flugzeug hebt in Schönefeld ab.
       
       taz: Herr Larisch, wenn ein Flughafen umzieht - ist das wie ein normaler
       Umzug in Groß? 
       
       Alexander Larisch: Im Prinzip schon. Bei einem Flughafen hat man aber viel
       mehr Menschen, die es betrifft - 17.800 Mitarbeiter an beiden Standorten
       sollen umziehen. Also muss man ganz anders planen.
       
       Wann haben Sie mit den Vorbereitungen angefangen? 
       
       Im Januar 2010, also vor fast zwei Jahren. Wir haben erst einmal eine
       Bestandsanalyse der Standorte Tegel und Schönefeld gemacht, uns die
       Flughäfen genau angeschaut, Gespräche mit den mehr als 190 Flughafennutzern
       geführt. Darauf basierend haben wir ein Umzugskonzept erstellt.
       
       Wie muss man sich Ihre Vorbereitungen vorstellen? Sind Sie wochenlang durch
       die Büros gegangen und haben Radiergummis gezählt? 
       
       Es geht ja um mehr: 80 Gebäude stehen auf den zwei alten und dem neuen
       Flughafen. Bei denen haben wir uns die Zuwege und die Lage genau
       angeschaut. Wie sind die Gebäude beschaffen? Wie sieht die Einrichtung aus?
       Daneben haben wir in der Tat das komplette Inventar aufgenommen, sechs
       Monate lang. Wir haben jeden Schreibtisch, jedes Regal gezählt und mit
       einer Nummer versehen. Das Ergebnis ist eine riesige Datei, die wir mit
       allen Abteilungen durchgehen: Was wird versteigert, was kommt mit?
       
       Das nennt man Ausmisten. Ist es nicht billiger, einen Kugelschreiber
       einfach wegzuwerfen und für BER neu zu kaufen? 
       
       Man kann ja nicht alles neu kaufen. Ein Kugelschreiber ist sicher billiger,
       aber wenn man sich ganze Büro- oder Werkstatteinrichtungen anschaut, die
       auch noch in gutem Zustand sind - das wird natürlich umgezogen.
       
       Sie erwähnten eine Versteigerung. Da freuen sich Flug-Freaks sicher darauf.
       Wann findet die statt? 
       
       Wir prüfen derzeit, inwieweit wir zu einer Versteigerung einladen. Das
       hängt davon ab, wie viele Dinge tatsächlich zur Disposition stehen.
       
       Wie viele Umzugskartons brauchen Sie? 
       
       Oh, das weiß ich nicht. Wir rechnen jedenfalls mit 2.800 Lastwagenfahrten.
       Sie fahren in einem Zeitraum von acht Wochen vor und zwei Wochen nach
       Inbetriebnahme hin und her. Wir reden im Übrigen nicht nur über Tegel, es
       geht auch um den derzeitigen Flughafen Schönefeld - zwischen ihm und BER
       liegen gut zwei Kilometer. Nur die Verwaltung in Schönefeld zieht nicht um.
       
       Was kostet eigentlich der gesamte Umzug? 
       
       Das kann ich Ihnen so genau nicht sagen. Schließlich finanziert jede der
       190 beteiligten Firmen und Gesellschaften ihren eigenen Umzug. Unser Job
       ist es, den organisatorischen Rahmen dafür zu schaffen.
       
       Sie sind seit Jahren professioneller Flughafen-Umzieher. Was ist die
       besondere Herausforderung in Berlin? 
       
       Aus zwei Flughäfen wird einer - das gab es noch nie. Es sind so viele
       verschiedene Partner und Verwaltungen und Behörden beteiligt, die Logistik
       ist ein Kraftakt. Dazu kommt der zeitliche Ablauf. Wir haben am Samstag in
       Schönefeld und Tegel Flugbetrieb bis in die späten Abendstunden, am
       Sonntagfrüh soll der Betrieb regulär in BER weitergehen. Das heißt, wir
       haben ein sehr enges Zeitfenster, um Material und Geräte umzuziehen, die
       unmittelbar für den Flugbetrieb gebraucht werden.
       
       Sie reden von der Nacht der Nächte, vom 2. auf den 3. Juni. 
       
       Im Prinzip beginnt die Nacht schon am Freitag, also am 1. Juni. Wir können
       Gerät immer nur so weit abtransportieren, als es der Flugbetrieb zulässt.
       Das heißt, dass wir in der Nacht auf Samstag etwa ab 22 Uhr erste
       Gerätschaften abziehen, knapp 60 Transporte. Im Laufe des Samstags fahren
       dann noch einmal etwa 60 Transporte - im Wochenendverkehr. Das sind weniger
       Siebeneinhalbtonner, sondern vielmehr große Lastwagen bis hin zu
       Tiefbett-Ladern, auf die schweres Gerät verladen wird. Wir haben
       Flugzeugschlepper, die bis zu 60 Tonnen wiegen.
       
       Und die fahren tagsüber durch die Stadt? 
       
       Die speziell nicht. Andere schon, über die Stadtautobahn. Samstag ab 18 Uhr
       bis Sonntag um sechs Uhr früh ist für uns die Stoßzeit. In der Nacht wird
       die Stadtautobahn einseitig fünf Stunden lang gesperrt. Entlang der Strecke
       werden die ganze Zeit Bergungs- und Rettungsfahrzeuge positioniert, falls
       es zu einem Unfall kommt. Damit müssen wir rechnen.
       
       Wenn jemand am Samstag um 21 Uhr in Tegel landet, muss der dann seinen
       Koffer selber aus dem Flieger holen und zum Taxistand laufen? 
       
       Nein, es gibt keine Einschränkung beim Flugbetrieb. Das ist ja die
       Herausforderung. Es kann aber auch sein, dass man gar nicht mehr in Tegel
       landet, sondern schon in BER. Da wir Nachtflüge vermeiden wollen, werden
       die Flugzeuge, die in Tegel oder Schönefeld übernachten würden, vorzeitig
       am BER ankommen. Es geht um etwa 40 Flugzeuge, 33 aus Tegel und ein paar
       aus Schönefeld.
       
       Obwohl BER noch gar nicht in Betrieb ist. 
       
       Obwohl der Flughafen noch nicht offiziell in Betrieb ist.
       
       Das sind ja Pioniere! 
       
       In der Tat. Diese Flugzeuge werden über die nördliche Start- und Landebahn
       abgefertigt, an BER heranrollen, und die Fluggäste werden mit Bussen nach
       Schönefeld-Nord gebracht oder nach Tegel oder in die Stadt. Bei
       Luftverkehrsenthusiasten werden diese Flüge hoch gehandelt.
       
       Wo sind Sie in dieser Nacht? 
       
       In der Umzugsleitstelle am BER. Dort laufen die Fäden zusammen. Auch
       Behördenvertreter und Mitarbeiter der Berliner Flughäfen werden wohl in der
       Leitstelle sein, damit wir schnell reagieren können, falls etwas anders als
       geplant läuft.
       
       Mit dem Transport allein ist es ja nicht getan. Wie kommen denn die
       Umzugsgüter zeitnah an ihren neuen Platz am BER? 
       
       Wir sperren ein Gelände auf dem BER ab, dort werden Lastkräne stehen. Die
       Wagen fahren drunter und werden abgeladen. Mitarbeiter der Bodenabfertigung
       verteilen die Dinge.
       
       Schon seit November läuft ein Testbetrieb in BER. Lohnt sich der Aufwand?
       Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schiefläuft, ist doch wohl relativ
       gering. 
       
       Sagen Sie das nicht. In London ist es schon passiert, dass ein Flughafen in
       Betrieb ging, und die Mitarbeiter haben am ersten Arbeitstag ihre
       Parkplätze nicht gefunden. Das hat zu einer Kette von Verspätungen und
       Missgeschicken geführt, die im Chaos endeten. Im Testbetrieb werden alle
       Abläufe und denkbaren Szenarien durchgespielt. Sechs Monate lang üben
       Komparsen und Mitarbeiter des Flughafens, die Systeme werden getestet.
       
       Haben Sie schon alle 10.000 Komparsen? 
       
       Das ging ganz schnell. Wir haben sogar 18.000, die Warteliste ist lang.
       Ende Januar kommen die ersten, jeder konnte sich für zwei Termine
       eintragen.
       
       Hat Sie das öffentliche Interesse überrascht? 
       
       Na ja, Berlin ist schon ein Sonderfall, wegen der zwei bestehenden
       Flughäfen, und weil es die Hauptstadt ist. Solche Großereignisse locken
       aber auch grundsätzlich Menschen an, das war in München vor 20 Jahren auch
       so. Ich habe eigentlich nur in Moskau erlebt, dass wir weitgehend unbemerkt
       gearbeitet haben, dieses Desinteresse war bemerkenswert. Dafür war in
       Moskau die Kommunikation mit den Behörden ungleich schwieriger als hier.
       
       Im Moment ist BER eine riesige Baustelle. Wird bis Januar alles so weit
       fertig, dass man da etwas testen kann? 
       
       Natürlich ist das eine Baustelle, aber trotzdem funktioniert schon einiges.
       Check-in-Schalter und Gates stehen zur Verfügung, Anzeigetafeln sind
       einsatzbereit. Wichtig ist uns ja aber vor allem, mit den Menschen zu üben
       - Mitarbeiter von Fluggesellschaften, Bodenpersonal, Zoll, potenzielle
       Fluggäste. Das Gebäude ist sehr groß, mit viel Technik drin. Es geht darum,
       das neue Gebäude zu übernehmen.
       
       Was, wenn der Flughafen nicht rechtzeitig fertig wird? 
       
       Es ist alles auf diesen Termin ausgelegt. Der Flughafen muss fertig werden.
       Irgendwann kann man das Rad ja nicht mehr zurückdrehen.
       
       Aus Ihrer Erfahrung heraus: Wird BER rechtzeitig fertig? 
       
       Ich glaube das, ja.
       
       Hat Sie die Verschiebung damals kalt erwischt? 
       
       Das war schon eine Überraschung. Zum Glück waren unsere Planungen noch
       nicht so weit, dass der verschobene Zeitpunkt zum Problem wurde.
       
       Sie sind als Vertreter des Münchner Flughafens angeheuert worden, weil der
       Umzug von Riem ins Erdinger Moos vor 20 Jahren als beispielhaft galt. Was
       haben die Münchner so gut gemacht damals? 
       
       Sie waren vor allem Pioniere. Es war der erste Flughafenumzug über Nacht,
       quasi bei laufendem Betrieb. Die Entfernung war noch größer als zwischen
       Tegel und BER, fast 50 Kilometer. Der Flughafen hatte ein großes
       Projektteam, um den technischen und geografischen Sprung zu schaffen. Es
       lief alles wie am Schnürchen. Kurz darauf meldete sich der Flughafen in
       Kuala Lumpur mit der Bitte um Unterstützung. So hat sich aus der Situation
       heraus ein Beratungsgeschäft entwickelt. Wir haben fast 30 Projekte
       weltweit gemeistert - Moskau, Bangkok, einige Flughäfen in Indien. Jedes
       Mal muss man sich auf eine neue Mentalität, eine neue Kultur, neue
       Voraussetzungen einstellen.
       
       Was ist denn der Schlüssel zum Erfolg? 
       
       Die Beteiligten müssen genau über den Flughafen Bescheid wissen, ihn bis
       ins Detail kennen. Ich beispielsweise lebe seit zweieinhalb Jahren in
       Berlin, um den Umzug vorzubereiten.
       
       Und was machen Sie am 3. Juni? 
       
       Irgendwann schlafen gehen. Das Projekt wird für mich Ende Juni
       abgeschlossen sein, dann kommt eine neue Herausforderung, anderswo.
       
       27 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristina Pezzei
       
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