# taz.de -- Energiewende selbst organisiert: Windräder bitte in meinem Garten
       
       > "Nur die eigenen Schweine stinken nicht", heißt es. In Nordbayern bauen
       > BürgerInnen vor der eigenen Haustür ihre eigenen Solar-, Biogas und
       > Windkraftanlagen.
       
 (IMG) Bild: Feldheim in Brandenburg bezeichnet sich als energieautark - Bürger machen hier ihre eigene Energiewende.
       
       BERLIN taz | Stellen Sie sich vor, auf der Wiese hinter Ihrem
       Einfamilienhaus werden zehn Windräder gebaut - und Sie regen sich nicht
       darüber auf. Was könnte der Grund für Ihre Gelassenheit sein?
       
       Michael Diestel, Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Bauernverbandes in
       der Rhön, kennt eine mögliche Antwort: "Wenn die Bürger selbst bestimmen,
       werden sie nicht protestieren." Er zitiert einen Spruch aus der
       Landwirtschaft: "Nur die eigenen Schweine stinken nicht."
       
       Rund um Bad Neustadt an der Saale, in der Nordwestecke Bayerns, arbeitet
       Diestel an einer kleinen ökonomischen Revolution. Unter anderem auf seine
       Initiative wurden in den vergangenen drei Jahren 23 Genossenschaften
       gegründet. Rund 2.300 Bürger der umliegenden Dörfer beschäftigen sich
       mittlerweile damit, selbst umweltfreundliche Energie herzustellen.
       Gemeinsam betreiben sie bereits Solar- und Biogaskraftwerke. Jetzt planen
       sie einen Windpark mit bis zu 16 Rotoren. Die Aufträge gehen demnächst
       raus.
       
       Wer in den Dörfern wohnt und mitmachen will, zahlt minimal 2.000 Euro als
       Darlehen in eine der neuen Energiegenossenschaften ein. Damit erhält man
       einen Anteil und eine Stimme - egal, wie hoch das Investment ist, jeder
       redet gleichberechtigt mit. In den nächsten Jahren werden die finanziellen
       Beiträge mit etwa 5,5 Prozent verzinst, dann folgt die Tilgung, und
       schließlich kommt, wenn alles gut läuft, eine Dividende hinzu, finanziert
       aus der garantierten Einspeisevergütung für Ökostrom.
       
       ## Das eigene Potenzial sichern
       
       "Die Menschen sichern ihr eigenes Potenzial", beschreibt Diestel, Jahrgang
       1964, die grundsätzliche Idee. Drei Motive lassen es den Genossen attraktiv
       erscheinen, ihr Geld in die lokale Firmen zu stecken. Zum einen wollen sie
       mit Klimaschutz Geld verdienen. Zum Zweiten tun sie das, indem sie in ihre
       eigene Region - und damit auch in ihre individuelle Lebensqualität -
       investieren.
       
       Der Plan ist, dass die Genossenschaften Überschüsse erwirtschaften, die sie
       beispielsweise an Sportvereine spenden oder an die Freiwillige Feuerwehr,
       die ein neues Fahrzeug braucht. Drittens ist dieses gemeinsame Wirtschaften
       relativ selbstbestimmt: Die Leute planen ihre Windräder selbst und müssen
       sich nicht über Projekte ärgern, die ihnen Investoren aus München,
       Frankfurt oder Schanghai vor die Nase setzen.
       
       Energiegenossenschaften erleben in Deutschland gerade einen kleinen Boom.
       In den vergangenen Jahren sind 273 derartige Firmen gegründet worden, hat
       Michael Stappel ermittelt. Er arbeitet als Ökonom bei der DZ Bank, dem
       Zentralinstitut der Genossenschaftsbanken. 2010 sind 289 Genossenschaften
       aller Art in Deutschland gegründet worden, zum Beispiel auch
       Ärztegenossenschaften und Dorfläden. Seit 2009 werden in Deutschland wieder
       mehr Genossenschaften gegründet als aufgelöst. Gut 7.600 Genossenschaften
       gibt es insgesamt hierzulande. Das ist eine scheinbar große Zahl, die sich
       allerdings im Vergleich zu den Millionen normaler, ausschließlich
       profitorientierter Unternehmen bescheiden ausnimmt.
       
       Wie es im Gesetz heißt, sollen die Genossenschaften "die Wirtschaft ihrer
       Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb fördern". Per
       Definition geht es also nicht nur ums Geld, sondern um zwei weitere Zwecke:
       die Förderung der Interessen der Genossen und die gemeinsame Verfolgung
       dieses Zieles. Das könnte eine Alternative zur globalen Marktwirtschaft
       sein, was auch den Vereinten Nationen aufgefallen ist: Für 2012 haben die
       UN das Internationale Jahr der Genossenschaften ausgerufen.
       
       ## "Jede Bank muss den Kirchturm sehen"
       
       Einen Beleg für die These, dass Genossenschaften insgesamt einen zunehmend
       größeren Teil der Wirtschaft ausmachen, kann das Statistische Bundesamt
       nicht liefern. Anders sieht es aus bei den rund 1.150 Volks-, Raiffeisen-
       und Sparda-Banken, die einen großen Teil der 20 Millionen deutschen
       Genossenschaftsmitglieder stellen. Einige der Zahlen, die DZ-Ökonom Stappel
       ermittelt, deuten darauf hin, dass die Gemeinschaftsinstitute in den
       vergangenen Jahren auf Kosten der Privatbanken profitierten.
       
       So ist der Marktanteil der genossenschaftlichen Finanzgruppe bis 2010
       insgesamt leicht auf 13,2 Prozent gestiegen. Die Privaten haben 30 Prozent,
       die Sparkassen 32 Prozent. Ein Grund für die relative Zunahme: Wegen ihrer
       oft sehr großen Verluste sind die privaten Institute vorsichtiger mit der
       Vergabe von Krediten. In diese Lücke stoßen die Volks- und
       Raiffeisenbanken.
       
       "Jede Bank muss den Kirchturm sehen", sagt Energie-Inspirator Michael
       Diestel in Anlehnung an Vordenker Raiffeisen. Genossenschaften müssten ihre
       regionalen und dezentralen Wurzeln pflegen, um erfolgreich zu sein. Nur
       dann würden sie die konkreten Interessen der Mitglieder in den Mittelpunkt
       stellen - was für die Energiewende bedeutet: Windkraft ohne Widerstand.
       
       1 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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