# taz.de -- Debatte Finanzkrise: Eine Frage der Gerechtigkeit
       
       > Aus der Schuldenkrise kann der Staat sich weder heraussparen noch einfach
       > herauswachsen. Aber es gibt eine dritte Lösung, die kaum diskutiert wird.
       
 (IMG) Bild: Wenn man bloß einen Haufen Geld hätte, dann wäre alles besser.
       
       Es ist gar nicht so einfach, die derzeitige Eurokrise angemessen zu
       kommentieren. Denn auf der einen Seite möchte man den europäischen
       Regierungen mal so richtig den Marsch blasen, weil ihnen als einzige
       Antwort auf das Schuldenproblem Sparen und noch mehr Sparen einfällt.
       
       Sparen ist in dieser Situation jedoch ein miserables Rezept. Es trifft
       nämlich nicht nur im Allgemeinen die Ärmsten der Gesellschaft am
       schlimmsten, sondern es würgt darüber hinaus die Konjunktur ab. Wenn die
       Wirtschaft aber nicht mehr wächst, können die Schulden erst recht nicht
       zurückgezahlt werden.
       
       Die gern geforderte Alternative ist, dass die Europäische Zentralbank
       endlich mehr Geld in die Wirtschaft pumpt, etwa durch die bislang verpönten
       Aufkäufe von Staatsanleihen. Die Regierungen könnten nach dem Rezept von
       John Maynard Keynes riesige Konjunkturprogramme auflegen, wenn's sein muss,
       auf Pump. Das würde Arbeitsplätze schaffen, die Wirtschaft würde quasi von
       selbst aus der Krise und damit auch aus den Schulden herauswachsen.
       
       ## Auf Wachstum folgt noch mehr Wachstum
       
       Damit wäre man bei der anderen Seite angelangt. Kann es denn sein, dass
       einem aus linker Sicht keine andere Antwort auf die Krise einfällt, als
       mehr Wachstum und zu diesem Zweck gegebenenfalls mehr Schulden zu fordern?
       Waren unsere Sorgen über die Grenzen des Wachstums und unsere Kritik am
       kapitalistischen Wachstumszwang also nur Schönwetterreden?
       
       Und ist auf einmal das Argument nichts mehr wert, dass Schulden ein ganz
       schlechtes Mittel zur Umverteilung sind, weil sie weniger den Armen als
       vielmehr den Reichen nützen - also denen, die dem Staat Geld leihen und
       dafür Zinsen einstreichen?
       
       Von wachstumskritischer Seite hört man jedenfalls zur aktuellen Krise
       ziemlich wenig. Fast scheint es, als wäre seit 1936, als Keynes seine
       Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes aufstellte,
       nichts mehr passiert. Dabei wusste selbst Keynes, dass es mit dem Wachstum
       irgendwann ein Ende haben müsste - auch wenn er dabei weniger an
       Umweltprobleme und Ressourcenknappheit dachte als vielmehr an "gesättigten
       Investitionsbedarf".
       
       Eine stagnierende Wirtschaft sah er jedoch keineswegs negativ: Wenn Mangel
       und Armut nach einer Zeit des Wachstums überwunden seien, könnte die
       Arbeitszeit stark reduziert werden, und die Menschen könnten sich endlich
       den schönen Seiten des Lebens widmen. Heute würde man von Qualität statt
       Quantität sprechen.
       
       Die Wirklichkeit sieht bekanntlich anders aus. Auf Wachstum folgte noch
       mehr Wachstum, doch Mangel und Armut sind bis heute nicht beseitigt. Und
       weil das so ist, erscheint jegliche wirtschaftliche Stagnation als
       Katastrophe, von einer Rezession oder Schrumpfung ganz zu schweigen. Wächst
       die Wirtschaft nicht mehr, kommt es zu Lohneinbußen, zu Arbeitslosigkeit,
       zu Einschnitten im sozialen Bereich, zum Verlust des Eigenheims - die
       Folgen der Wachstumskrise sind der Bevölkerung der Krisenländer sattsam
       bekannt.
       
       ## Der dritte Lösungsweg
       
       Um Mangel und Armut zu beseitigen und um die negativen Folgen eines
       Nicht-mehr-Wachstums in Grenzen zu halten, hätten die Früchte des Wachstums
       gerecht verteilt werden müssen. Die Verteilungsfrage, die auch die
       Occupy-Bewegung zu Recht hervorhebt, ist daher der Kern des Problems.
       
       Hatte einst Bill Clinton die US-Präsidentschaftswahlen unter dem Motto
       "It's the economy, stupid" - womit er die Konjunktur, also das
       Wirtschaftswachstum meinte - gewonnen, muss der logische Befund jetzt
       lauten: Es ist die Verteilungsfrage, Dummkopf! Diese Frage hängt auch eng
       mit einer anderen, derzeit stark debattierten Frage zusammen: der nach den
       Schulden.
       
       Das Wachstum kam in den vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich den Reichen
       und noch mehr den Superreichen zugute, während am unteren Ende der
       Einkommensskala bewusst ein Niedriglohnsektor geschaffen wurde, in dem ein
       menschenwürdiges Leben kaum noch möglich erscheint. In Deutschland verfügt
       das reichste eine Prozent der Bevölkerung, rund 650.000 Personen, allein
       schon über mehr als ein Drittel des gesamten Vermögens - Tendenz stark
       ansteigend.
       
       Solch eine Vermögenskonzentration widerspricht nicht nur jeglichem
       Gerechtigkeitsempfinden. Sie ist, weil die Vermögen gern mit hohen
       Renditeansprüchen und daher oft höchst spekulativ an den Finanzmärkten
       angelegt werden, auch eine nicht unwesentliche Ursache der Finanzkrise.
       
       Es gibt dabei ein bewährtes Mittel, für eine gerechtere Verteilung zu
       sorgen und gleichzeitig etwas zum Abbau der Schulden zu tun, ohne das
       Gemeinwesen kaputtzusparen. Es heißt: Steuern. Derzeit wird in der
       Finanzpolitik nur das Gegensatzpaar mehr Schulden versus mehr Sparen
       diskutiert.
       
       Dabei hat der Staat eine dritte Möglichkeit, nämlich für mehr
       Steuereinnahmen zu sorgen. Das Gegenargument, Steuererhöhungen würgten die
       Konjunktur ab, ist vorgeschoben. Einerseits gibt es dafür keine
       stichhaltigen empirischen Belege, und andererseits ist die
       Haushaltssanierung qua Einsparungen noch viel schlechter für die
       Konjunktur.
       
       ## Vermögen besteuern
       
       Ist die Einkommens- und Reichtumsverteilung schon derart aus dem
       Gleichgewicht geraten, wie wir es derzeit beobachten, bietet sich ergänzend
       zu wesentlich höheren Einkommensteuer-Spitzensätzen und höheren
       Körperschaftsteuern auch die Besteuerung von Vermögen an. Mit einem
       Steuersatz von nur einem Prozent und großzügigen Freibeträgen, die Oma ihr
       Häuschen unberührt ließen, käme der Fiskus auf jährliche Zusatzeinnahmen in
       der Größenordnung von 14 oder 15 Milliarden Euro.
       
       Vielleicht kein sehr hoher Betrag - würde dieses Geld allein für den
       Schuldenabbau verwendet, bräuchte man dafür immer noch rund 130 Jahre. Aber
       als Signal, dass die Regierung wirklich an mehr Gerechtigkeit interessiert
       ist, wäre das von unschätzbarem Wert.
       
       Der größte Fehler der Linken in der gegenwärtigen Krise ist es, gegen die
       Sparpolitik anzukämpfen, ohne zugleich für mehr und gerechtere Steuern zu
       kämpfen. Denn diese wären die Voraussetzung, zugleich dem Spar- und dem
       Wachstumszwang zu entrinnen.
       
       2 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nicola Liebert
       
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