# taz.de -- Direkte Demokratie: Das Wählen soll nicht zu einfach sein
       
       > In Brandenburg wird das Mitregieren ein bisschen leichter: 16-Jährige
       > dürfen bei Volksbegehren abstimmen, die Sammelzeit für Unterschriften
       > wird verlängert. Doch das Grundproblem bleibt, klagen Kritiker: Zum
       > Unterschreiben muss man weiter aufs Amt.
       
 (IMG) Bild: Brandenburger sehen Wahllokale nur bei Wahlen von innen - Volksentscheide von unten gab es bislang nicht.
       
       Der einzige erfolgreiche Volksentscheid in Brandenburg liegt eine halbe
       Ewigkeit zurück. Und er war sozusagen von oben verordnet. 1992 sollten die
       BrandenburgerInnen über ihre erste demokratische Verfassung abstimmen. Sie
       wurde angenommen und wurde anschließend als besonders bürgerfreundlich
       gefeiert. Nun hat das Land, 20 Jahre später, seine Verfassung geändert mit
       "deutlichen Erleichterungen für die Bürger", wie es aus der SPD-geführten
       Regierung heißt. So richtig feiern will das außer der SPD aber niemand.
       Denn Brandenburg bleibt auch nach den Neuerungen Schlusslicht unter den
       ostdeutschen Ländern in Sachen direkte Demokratie.
       
       Seit 1992 gab es keinen weiteren Volksentscheid. Bereits alle sieben
       Volksbegehren - als Vorstufe zu einem Entscheid - scheiterten. Und das
       liege nicht etwa an einer Politikmüdigkeit und dem mangelnden Willen zur
       Mitbestimmung, die man den Menschen rundum Berlin gern zuschreibt, sagt
       Michael Efler vom Verein Mehr Demokratie e. V. In keinem Bundesland liefen
       mehr Volksinitiativen. Es gebe auch kaum eine Phase, in der in Brandenburg
       nicht aufgerufen wird, für oder gegen etwas abzustimmen. Insgesamt mehr als
       20 Volksinitiativen waren seit 1993 erfolgreich, den Weg zum Volksbegehren
       sind die wenigsten Interessengruppen gegangen.
       
       Derzeit sind gerade wieder zwei Initiativen erfolgreich abgeschlossen.
       Weitaus mehr als die nötigen 20.000 Unterschriften haben die Initiatoren
       jeweils sammeln können: für ein Nachtflugverbot und gegen die Kürzungen der
       rot-roten Regierung bei den Freien Schulen. Im brandenburgischen Landtag
       wurden die beiden Anliegen im Dezember vorgebracht, diskutiert und wie
       erwartet abgeschmettert. Nun steht der nächste Schritt an: Im Januar wird
       aller Voraussicht nach zu Volksbegehren aufgerufen.
       
       Doch die Hürde für ein Volksbegehren ist in Brandenburg hoch: Anders als in
       Berlin und anderen ostdeutschen Ländern, wo für ein Anliegen Bürger auf der
       Straße, in der sogenannten freien Sammlung, ihre Stimme abgeben dürfen,
       müssen die Märker bei einem Volksbegehren zum Amt. Sie müssen zu ihrer
       Einwohnermeldestelle anreisen - in einem weitläufigen Flächenland oft
       kilometerweit vom Wohnort entfernt und selten geöffnet - und sich eintragen
       lassen. Nicht eins der sieben Volksbegehren - vom Kampf gegen neue Tagebaue
       bis zu dem gegen den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin - konnte diese
       Hürde nehmen und die erforderlichen 80.000 gültigen Stimmen für sich
       verbuchen. "Der größte Volksbegehrenskiller ist die Amtseintragung", sagt
       Efler.
       
       Trotzdem könnten sich künftig ein paar mehr BürgerInnen in die Listen
       eintragen. Mitte Dezember hat der Landtag in Potsdam für eine
       Verfassungsänderung votiert: Künftig dürfen sich schon 16-Jährige an Wahlen
       auf Landesebene beteiligen. In Berlin scheiterte ein diesbezüglicher Antrag
       im Frühjahr. "Wir sind das erste Flächenland, das dies auf Landesebene
       einführt", freut sich Ralf Holzschuher, Fraktionsvorsitzender der
       Brandenburger SPD. "Damit zeigen wir, dass wir die Interessen junger
       Menschen ernst nehmen, und setzen uns für mehr Bürgerbeteiligung ein."
       
       Doch Efler ist unzufrieden mit den Reformen. Denn schließlich vertusche die
       SPD damit, dass die direkte Demokratie hierzulande kaum einen Schritt
       weiter vorangekommen ist. Seit drei Jahren kämpft der Verein gegen die
       Amtseintragung in Brandenburg. Erfolglos. "Es ist ärgerlich, dass
       Brandenburg als einziges ostdeutsches Land immer noch nicht die freie Wahl
       einführt", sagt Efler. Denn der Vergleich zu etwa Thüringen oder Sachsen
       zeige, dass vor allem dies den Erfolg von Volksbegehren verhindere - und
       nicht etwa ein höheres Quorum, also eine Mindestbeteiligung der
       Wählerschaft.
       
       Zwar können Stimmen künftig innerhalb von sechs statt bisher vier Monaten
       gesammelt werden. Und immerhin dürfen die BürgerInnen künftig auch per
       Briefwahl abstimmen. Aber in Zeiten, wo die Piratenpartei Abstimmungen per
       Internet fordert, wirkt diese Erleichterung wie aus dem letzten Jahrhundert
       stammend. "Der Fortschritt kommt als Schnecke daher", sagt daher Ursula
       Nonnemacher von den Grünen. Die Innenpolitikerin und Wahlkreisabgeordnete
       von Falkensee spricht von Zentimeterverbesserung in Sachen direkte
       Demokratie.
       
       Der Koalitionspartner der SPD, die Linke, hatte für die Einführung der
       freien Sammlung plädiert, auch innerhalb der SPD wurde darum lange
       gerungen. Teile der SPD wollten dafür das Quorum heraufsetzen, doch das sei
       den Bürgern schwer zu vermitteln gewesen, heißt es. Bei der
       Mindeststimmzahl von nur 4 Prozent der Wahlberechtigten, den 80.000
       Stimmen, soll es bleiben. "Wir können aber nicht bundesweit das niedrigste
       Quorum haben und gleichzeitig die Zulassungsbeschränkungen abschaffen. Wir
       brauchen ein Mindestmaß an Legitimität", verteidigt der
       Fraktionsvorsitzende Ralf Holzschuher die Linie der SPD. Mit anderen
       Worten: Wenn auch noch die freie Sammlung eingeführt werden würde, dann
       könnte ja jeder mitregieren.
       
       Holzschuher sieht die Gefahr vor allem bei Lobbyverbänden mit großen
       logistischen Möglichkeiten, wie etwa im Fall des Berliner Volksentscheids,
       als es um den Erhalt des Flughafens in Tempelhof ging. "Es kann nicht Sinn
       eines Volksbegehrens sein, dass einzelne, finanziell gut ausgestattete
       Interessengruppen bevorteilt werden", sagt er. Was er nicht sagt: dass der
       Tempelhof-Volksentscheid damals am Quorum scheiterte.
       
       "Die Bürger wünschen, sich in Einzelfragen artikulieren zu können und zu
       entscheiden", hält Nonnemacher dagegen. Sie spüre ein grundsätzliches
       Misstrauen der SPD gegen die Bürger und eine Skepsis, ob das Volk denn
       überhaupt zu politischen Entscheidungen fähig sei. Dies führt sie darauf
       zurück, dass die SPD ununterbrochen seit mehr als 20 Jahren an der Macht
       ist, ob allein regierend oder in Koalition mit CDU oder Linke. Seit 1990
       stellen die Sozialdemokraten den Ministerpräsidenten und vereinen stets
       mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen auf sich. "Die SPD ist immer dabei",
       sagt die Grünen-Politikerin Nonnemacher in Anlehnung an alte DDR-Gesänge
       bissig. "Paternalistisches Denken" wirft sie der Partei vor. Es herrsche
       bei der SPD die Vorstellung, dass es direkte Demokratie in Brandenburg
       nicht brauche, schließlich werde ja gut regiert. Auch Demokratieexperte
       Efler bescheinigt der SPD, dass sie nur wenig darin geübt sei, Macht
       abzugeben - daher käme "dieses Herummogeln um die direkte Demokratie".
       
       Holzschuher versteht die Aufregung um die freie Sammlung gar nicht: "Es ist
       auch ein Erfolg vieler Volksinitiativen, dass ihre Anliegen im Parlament
       diskutiert werden", sagt er. Und schließlich sei gar nicht alles abgelehnt
       worden. Das Anliegen etwa nach Förderung der Musikschulen sei im
       Musikschulgesetz vom Land aufgenommen und bei einer weiteren Initiative,
       der Forderung nach einem Sozialticket für ganz Brandenburg, sei sogar eine
       bessere Lösung gefunden worden, als die Initiatoren formuliert hatten. Und
       überhaupt: "Wenn ein Volksbegehren an den nötigen 80.000 Stimmen scheitert,
       sagt er, "dann liegt es vielleicht auch daran, dass das Thema nicht
       interessiert oder das Anliegen nicht mehrheitsfähig ist."
       
       In den nächsten Monaten wird sich zeigen, was die Verfassungsänderungen
       bringen und ob es wirklich bisher am Thema lag. Für die beiden anstehenden
       Volksbegehren in Brandenburg sollen die neuen Regelungen bereits gelten.
       
       3 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Grit Weirauch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stuttgart 21
       
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