# taz.de -- Debatte Taktik der "Bild"-Zeitung: Diekmanns Anmaßung
       
       > Bundespräsident Christian Wulff hat fast alles falsch gemacht. Aber der
       > Feldzug der "Bild"-Zeitung ist auch ein Symptom für die Eitelkeit der
       > Medien insgesamt.
       
 (IMG) Bild: "Bild"-Eigenwerbung.
       
       Am Freitag hat der Bild-Chef zum ersten Mal in der Affäre des
       Bundespräsidenten selbst einen Kommentar verfasst. Wer den Fall Christian
       Wulff zu einem Machtkampf zwischen ihm und Bild aufpumpe, "der geht
       wahrhaft völlig in die Irre", schreibt Kai Diekmann. Medien stellten Fragen
       und decken Fehler auf. "Aber Sie entscheiden nicht."
       
       Mit diesem Satz tut Diekmann etwas sehr seltenes. Er macht sich ganz
       bewusst kleiner, als er ist. Und natürlich entscheidet Bild in der Äffare
       Wulff mit, natürlich macht das mächtigste deutsche Medium gerade Politik.
       
       Ein mächtiger Vorwurf steht im Raum: Wulff - immerhin nominal die höchste
       Staatsinstanz - will mit seiner lächerlichen Mailbox-Aktion lediglich um
       einen Aufschub gebeten haben. Die Bild-Zeitung behauptet, er wollte die
       Berichte stoppen, also Zensur ausüben.
       
       Nun kann man vieles über Bild behaupten, eines aber gewiss nicht: Dass sie
       besondere Skrupel bei Veröffentlichungen habe, die die Intimsphäre von
       Menschen betreffen. Ethische Überlegungen sind in der Bild-Logik
       vernachlässigbar, ebenso juristische Bedenken. Bild schreckt zurück, weil
       sie Wulffs Intimsphäre akzeptiert, oder weil der Presserat aufjaulen
       könnte? Ach was. Nein, wenn der Bild-Chef und seine Redaktion wirklich an
       schneller, transparenter Aufklärung interessiert wären, würden sie den Text
       einfach drucken.
       
       Diekmann tut es bewusst nicht. Weil es ihm um eine Machtdemonstration geht,
       weil er die Affäre des Präsidenten im Moment nach seinen Regeln inszeniert,
       weil er dem Reiz, selbst Politik zu machen, nicht widersteht.
       
       ## Scheinbare Demut
       
       Wie professionell und geschickt er dabei vorgeht, ließ sich am Donnerstag
       beobachten: Bild bittet den Bundespräsidenten scheinbar demütig, den
       Wortlaut seines Anrufs bekannt geben zu dürfen, an den er sich selbst nicht
       mehr erinnert. Und akzeptiert scheinbar generös seine Ablehnung.
       
       Wulff steht - natürlich völlig zu Recht - als Aufklärungsverhinderer dar.
       Und Bild als seriöses Blatt, das den Tabubruch scheut. Welche Perfidie -
       Bild stellt sich noch einmal über den eh schon demütigen Präsidenten.
       
       Das wird erst dann vollends zu einer Farce, wenn man weiß, dass Bild-Leute
       seit Tagen mit Wulffs Sätzen bei anderen Medien hausieren gehen. Gerne
       lesen die Kollegen aus der Abschrift am Telefon vor, ausschließlich "unter
       3" versteht sich. Diese Formel steht im journalistischen Sprachgebrauch
       dafür, dass die lancierte Information nicht in Berichten verwendet werden
       darf. Der Bild-Chef, der in seinem Haus ein strenges Regiment führt, weiß
       natürlich von diesem Durchstechen, ja er tut es sogar selbst.
       
       ## Wer einer Mailbox droht...
       
       Derweil wird dem Bundespräsidenten vorgeworfen, er betreibe eine
       Salamitaktik. Warum fragt niemand, warum Bild scheibchenweise informiert?
       Diekmanns Kalkül liegt dabei auf der Hand: Irgendwer wird Wulffs Sätze
       schon veröffentlichen. "Bild" stünde dann - quasi neutral - daneben, hätte
       andere Medien auf die eigene Seite gezogen und immer noch die letzte Hoheit
       über den Skandal. Denn die Bild-Leute stechen nur Passagen durch.
       
       So schüren sie eine für sie hochproduktive Ungewissheit in Politik und
       Medien: Was kann da noch kommen? Für Diekmann ist das die machtvollste
       Position überhaupt. Er strickt am Mythos, von dem das Blatt lebt: Die
       letzte Patrone liegt in der Schublade von "Bild". Daran ändert auch die
       neueste Wendung nichts: "Bild" hat dem Präsidenten die Abschrift zukommen
       lassen. Er weiß jetzt also, womit er erpresst werden kann.
       
       Auch der taz liegt Wulffs Botschaft in Teilen vor. Ob der Bundespräsident
       gelogen hat oder nicht, lässt sich aus den wenigen Sätzen nicht
       herauslesen. Was aber als bestürzende Erkenntnis bleibt, ist die wirre
       Hilflosigkeit, mit der das Staatsoberhaupt da einer Mailbox droht.
       
       Dies abzuhören muss ein Fest für den machtbewussten Bild-Chef gewesen sein.
       Und er tut alles, um dieses Gefälle aufrechtzuerhalten. Gegen die
       Professionalität, mit der das Blatt gerade seinen Spin der Geschichte
       durchsetzt, wirkt der Bundespräsident wie ein getriebener Dilettant.
       Entscheiden kann der, um noch einmal das Motiv von Diekmanns Kommentar
       aufzunehmen, der Macht hat.
       
       ## Das Ende der Beobachtung
       
       Damit kein falscher Eindruck entsteht: Mitleid mit Christian Wulff ist fehl
       am Platze. Er hat Bild und allen anderen Medien jede nur denkbare Vorlage
       gegeben, um harte Nachfragen und Recherchen zu rechtfertigen.
       Bild-Redakteure haben die Enthüllungen über Wulffs Vorleben mit ihren
       Recherchen angestoßen, die Zeitung hat in der Affäre viel aufgeklärt. Und
       auch das sei gesagt: Nicht nur Bild inszeniert. Auch andere Medien, die taz
       eingeschlossen, planen Berichterstattung dramaturgisch, um möglichst großen
       Effekt zu erzielen, oder spielen über Bande, wenn es ihren Interessen
       dient.
       
       Doch was Diekmann mit der Bild-Zeitung gerade macht, ist eine
       Grenzverletzung. Die Zeitung gibt ihre Beobachterfunktion weitgehend auf
       und verfolgt nur mehr das Ziel: Wulff soll zur Strecke gebracht werden.
       
       Dahinter steht die Anmaßung, ein Medium solle und könne über Wohl und Wehe
       eines Politikers entscheiden. Bild inthronisiert und entlässt - Parteien
       oder die Bürger sind nur noch Spielbälle. Auch diese Verletzung
       journalistischer Ethik ist kein Alleinstellungsmerkmal des Boulevardblatts.
       
       Wer den Hype um Peer Steinbrück verfolgt hat, hatte schnell den Eindruck,
       der Mann sei bereits SPD-Kanzlerkandidat. Dass ihm die demokratische
       Legitimation fehlte sowie das Einverständnis der Partei spielte für allzu
       viele Journalisten keine Rolle.
       
       Bild, immerhin, hat sich mit dieser Attitüde im vergangenen Jahr schon
       einmal verhoben. Sie gab Karl-Theodor zu Guttenberg unverhohlen
       Rückendeckung und scheiterte damit, einen ramponierten Minister aller
       Vernunft zum Trotz im Amt halten zu wollen. Jetzt wiederholt sie das
       Experiment, mit umgekehrtem Ziel - der Ausgang ist offen. Diekmann hat sich
       in den vergangenen Tagen im Schaukampf zweier Männer um das oberste
       Staatshaupt gefallen. Die Bürger stehen als Zaungäste daneben. Ihre
       Marginalisierung sollte beunruhigen.
       
       7 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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