# taz.de -- Skandal um Silikonimplantate: Schönheit ohne Qualitätssiegel
       
       > Die nationalen Kontrollinstanzen haben bei der französischen Firma PIP
       > versagt. Nun soll die EU ein neues Zertifizierungssystem für
       > Silikonimplantate erfinden.
       
 (IMG) Bild: Irritierende Implantate: Im Silikonskandal soll nun die EU helfen.
       
       PARIS taz | Im Nachhinein sind alle gescheiter - und alle weisen jede
       Verantwortung von sich. Und den Frauen, die sich unter dem Schönheitsdiktat
       von Topmodelmaßen Silikonkissen einbauen ließen, wird zwischen den Zeilen
       und in hämischen Onlinekommentaren vorgehalten, sie seien selber schuld.
       
       Rund 400.000 Frauen weltweit wurden in den letzten Jahren von
       Schönheitschirurgen Brustprothesen der französischen Firma PIP (Poly
       Implant Prothèse) implantiert, die sich nun als Zeitbomben erweisen.
       Trotzdem zögern bis heute die Behörden von 65 Staaten wie Frankreich und
       auch Deutschland, in die PIP exportiert hatte, allen betroffene Frauen eine
       umfassende Entfernung der als zu riskant eingeschätzten Implantate
       nahezulegen.
       
       Den Aufsichtsorganen, die sich zum Teil mit einer unklaren Reglementierung
       auf diesem Markt der "Ästhetikmedizin" herausreden wollen, fällt es nun wie
       Schuppen von den Augen. Hinter der Affäre der französischen Brustprothesen
       gähnt ein wahrer Abgrund der Ungewissheit: Die bisherigen
       Qualitätskontrollen von Implantaten und diversen Produkten zur
       Verschönerung der Linie, der Haut oder der Haarpracht waren wohl völlig
       ungenügend. Da es sich um ein bis dahin respektables Geschäft mit
       Milliardenumsätzen handelte, wurden mehr als einmal beide Augen zugedrückt.
       
       Nach den Silikonkissen für die Oberweite stehen jetzt auch andere
       Implantate sowie künstliche Gelenke unter Verdacht. Man kann sich kaum
       vorstellen, welche Verunsicherung das für die Betroffenen bedeutet.
       
       ## Zahlreiche Allergien und andere Nebenwirkungen
       
       Allein in Frankreich sollen rund hundert Produkte im Umlauf sein, die zur
       Beseitigung von Fältchen ohne klinische Tests und mit unkontrolliertem
       Nutzen der Eitelkeit zuliebe unter die Haut gespritzt werden. Dermatologen
       sagen, ihnen seien zahlreiche Fälle von Allergien und andere Nebenwirkungen
       bekannt.
       
       Radikale Lehren will der französische Gesundheitsminister Xavier Bertrand
       aus der PIP-Affäre ziehen: Er fordert eine analoge Kontrolle aller
       implantierten oder injizierten Schönheitsmittel und Medikamente auf
       EU-Ebene. Bisher wurde der Vorschlag nirgends aufgegriffen. Zuerst muss
       wohl der Fall PIP aufgearbeitet werden. Ein erster Prozess steht für Herbst
       an.
       
       Im Nachhinein will selbstverständlich niemand die Schuld tragen. Schon gar
       nicht Jean-Claude Mas, der Gründer des südfranzösischen Unternehmens PIP,
       das im April 2010 aufgelöst wurde. Auszüge aus einer ersten Befragung durch
       die Polizei, die in französischen Zeitungen publizierte wurden, geben einen
       ersten Eindruck davon, wie diesem Mann jegliche Einsicht und jedes
       Verantwortungsbewusstsein zu fehlen scheinen.
       
       ## Hausmischung aus Industrieprodukten
       
       Mas gesteht freimütig, dass das für die Implantate verwendete Gel eine
       Hausmischung aus Industrieprodukten war und den Normen in keiner Weise
       entsprach. Doch er hält auch daran fest, dass mit diesem Betrug die
       Prothesen nicht nur billiger, sondern auch "besser" gewesen seien.
       
       Wenn jeweils eine Inspektion in seinen Produktionsanlagen in La
       Seyne-sur-Mer angekündigt wurde, habe er einfach für diese Visite die
       Kulisse ausgewechselt und alles kompromittierende Material verstecken
       lassen.
       
       Für Mas war das höchstens ein Trick, um sich gegen die Konkurrenz zu
       behaupten. Ausgerechnet dieser skrupellose Geschäftsmann glaubt sich nun
       berechtigt, den Frauen, die Klage wegen Betrugs und Körperverletzung
       eingereicht haben, vorhalten zu dürfen, sie seien "fragil" oder handelten
       "pour le fric" - aus reiner Geldgier.
       
       ## Auch der TÜV merkte nichts
       
       Dabei muss man heute davon ausgehen, dass bei PIP von Beginn an, das heißt
       womöglich ab 1993, gemogelt wurde. Nicht nur bei Brustprothesen, sondern
       eventuell auch bei Hodenimplantaten, mit denen der Firmeninhaber einen
       neuen Markt erobern wollte.
       
       Natürlich wussten nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die mit der
       Herstellung Beschäftigten vom systematischen Schwindel bei der Qualität.
       Dieser wurde aber wegen des vorsätzlichen Betrugs vom TÜV Rheinland, der
       die "CE"-Zertifikate lieferte, nie entdeckt.
       
       Wie nun französische Medien herausgefunden haben, wählen und bezahlen
       Unternehmen wie PIP, die medizinische Produkte herstellen, selbst ihre
       privaten Qualitätsprüfer. Darum kündigte nun die öffentliche französische
       Heilmittelkontrollstelle AFSSAPS gerichtliche Schritte gegen den TÜV an.
       
       ## Schon 2008 gab es erste Warnungen
       
       Aber auch die AFSSAPS selbst muss sich rechtfertigen. Denn wie andere
       Schönheitschirurgen erklärte Christian Marinetti, der Chef der Klinik
       Phénicia, die in Marseille rund 800 Brustprothesen pro Jahr implantiert,
       dass er schon 2008 die AFSSAPS eindringlich und detailliert vor der
       unzureichenden Qualität von PIP gewarnt habe. Eine unangemeldete Inspektion
       vor Ort fand aber erst im März 2010 statt, weil ein ehemaliger PIP-Arbeiter
       den Schwindel verraten hatte.
       
       Wer aber kann im Interesse der Verbraucher und ihrer Gesundheit die
       Einhaltung von Normen garantieren, wenn nicht eine öffentliche, von
       privaten Wirtschaftsinteressen unabhängige Instanz? Nach dem PIP-Skandal
       muss die EU für eine florierende Industrie ein neues Zertifizierungssystem
       erfinden.
       
       Der Schwindel von PIP hat bewiesen, dass in diesem Markt das Label "CE" in
       eine trügerische Sicherheit wiegen kann. In den USA, wo die Food and Drug
       Administration medizinisch verwendete Produkte wie Medikamente behandelt,
       sind laut Le Figaro bezeichnenderweise statt über hundert bloß sechs
       injizierbare Produkte gegen Falten zugelassen.
       
       8 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Implantate
       
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