# taz.de -- 100 Jahre African National Congress: Regieren, bis Jesus kommt
       
       > Trotz aller Begeisterung trägt das 100. Jubiläum des ANC bitter-süße
       > Züge: Die Partei Mandelas hat die Apartheid besiegt – aber
       > Schwierigkeiten mit der Demokratie.
       
 (IMG) Bild: Feiern den ANC in Bloemfontein – in den Farben der Partei.
       
       JOHANNESBURG taz | In der kleinen Kirche Wesleyan in Waaihoek,
       Bloemfontein, werden Hymnen gesungen. Expräsident Nelson Mandelas
       Weggefährte, Ahmed Kathrada, blickt zurück und ehrt seine Partei, den
       African National Congress (ANC): "Großes ist in harten Kämpfen errungen
       worden", sagt er. "Das Wichtigste ist Würde. Ganz Südafrika ist frei."
       
       Als hier 1912 die Geschichte des ANC begann, ahnte niemand, dass die Partei
       100 Jahre später in dem Gotteshaus ihren Geburtstag glamourös feiern
       könnte. Sicherlich glaubte damals auch keiner der Geschäftsleute,
       Kirchenvertreter, Anwälte und Lehrer bei der Gründungsversammlung daran,
       wirklich die Apartheid überwinden zu können. Und einer Partei anzugehören,
       die jetzt unter Präsident Jacob Zuma regieren will, "bis Jesus kommt".
       
       Die Hauptstadt der Provinz Freistaat steht ganz im Zeichen der
       Jahrhundertfeier. 47 Staatsgäste aus aller Welt, die einst den
       Widerstandskampf des ANC gegen soziale Ungleichheit und Rassismus
       unterstützten, gratulierten. Präsident Jacob Zuma schlachtete einen Bullen
       nach afrikanischer Tradition. Gesang, Tanz und Lobgesang für die Ikonen des
       Kampfes wie Nelson Mandela, Oliver Tambo und Walter Sisulu unterhalten mehr
       als 100.000 Gäste. Das ganze Jahr über soll gefeiert werden - für rund 10
       Millionen Euro.
       
       Im Glanz der ältesten Befreiungsbewegung des Kontinents sonnt sich mancher
       der anwesenden ANCler. Aber die Partei hat Probleme, sich in eine
       Organisation umzuwandeln, die auch Kritik auf breiter Ebene begrüßt und
       nicht nur von Verehrungskultur und Machtdünkel lebt. Kein Zweifel, die
       ANC-Errungenschaften sind zu feiern. Nach dem beharrlichen Kampf der
       Kaderbewegung begann mit dem ersten schwarzen Präsidenten Mandela 1994 die
       freie Wahl. 17 Jahre später schaut der ANC auf eine demokratische
       Gesellschaft. Das Feindbild ist verschwunden - aber eigene Schwächen
       korrumpieren die Partei.
       
       ## Unterschiedliche Stimmen Segen & Fluch
       
       Während des Kampfes waren die unterschiedlichen Stimmen innerhalb des ANC
       ein Segen. Am Hebel der Macht scheinen sie oft ein Fluch zu sein. Die
       sozialen Herausforderungen in Südafrika spitzen sich nicht nur zu und
       explodieren in Protesten der Armen und in Ausländerhass. Die Machtelite
       steckt zunehmend zu viel in die eigenen Taschen. Korruptionsskandale
       durchziehen den ANC und legen die mangelnde Fähigkeit zur soliden Partei-
       und Regierungsführung offen.
       
       Enttäuscht sind viele, Schwarze wie Weiße. Ist der Lack ab? "100 Jahre
       sollte die größte Feier des ANC sein, so lange zu existieren und an der
       Macht zu sein. Aber die Partei steckt in der Krise", sagt der Kommentator
       William Gumede. Es sei ein bitter-süßer Sieg - und vielleicht die Krönung
       der ANC-Geschichte. Von jetzt an gehe es bergab. In der zweiten Hälfte des
       21. Jahrhunderts könnte sich der ANC selbst zerreißen.
       
       Die Tausenden schwarz-grün-goldenen Fahnen mit der Aufschrift "100 Jahre
       selbstloser Kampf" erinnern an eine andere Zeit. Längst ist die einst
       breite politische ANC-Debattenkultur Eigensucht und persönlicher Interessen
       gewichen. Charismatische Helden wie Mandela und Sisulu, die ihr Leben für
       die Partei und deren Ideale hergaben, gibt es nicht mehr.
       
       Die ANC-Linke bekämpft die ANC-Rechte. Oft überwiegt der Zwist der
       "Afrikanisten" gegen prowestliche Liberale. Politiker streiten mehr vor
       Gericht als an der Basis. Die wachsende schwarze Mittelschicht verliert
       sich in der eigenen Welt des Luxus.
       
       ## Mehrheit aus Melancholie
       
       Bei Wahlen erhält der ANC nach wie vor eine Zweidrittelmehrheit. Aus
       Melancholie. Doch die ANC-Regierung beantwortet Kritik aus der
       Zivilgesellschaft mit Angriffen auf die Presse, die sie mit einem neuen
       Mediengesetz mundtot machen will.
       
       "Das Zögern der Bewegung, das Ergebnis des Friedens ernsthaft zu studieren,
       hat sie weniger fähig gemacht, die potenziellen Spannungspunkte und
       Konflikte vorauszusehen", kritisierte ANC-Minister Pallo Jordan. "Die
       Fähigkeit der ANC-Führung hängt davon ab, wie die Partei die
       gesellschaftlichen Veränderungen adressiert, die von der eigenen Politik
       produziert wurden."
       
       Den Jungen die Ideale der Vergangenheit vorzuführen, das lässt sich der ANC
       was kosten. Die alte Wesleyan-Kirche kaufte die Partei mit einer Million
       Euro öffentlicher Gelder für die Jahrhundertfeier von einem Privatmann
       zurück. Die dort entzündete Jahrhundertflamme reist als Symbol für den
       Widerstand gegen Apartheid durch das Land. Sie wird noch länger brennen.
       
       9 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martina Schwikowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Nelson Mandela
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
       
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