# taz.de -- Christian Wulff im Amt: Die Sitzenbleiber
       
       > Sie fragen sich, warum Christian Wulff einfach im Amt sitzen bleibt? Ganz
       > einfach: Er beherrscht das Einmaleins des Aussitzens - eine deutsche
       > Kunst und Tradition.
       
 (IMG) Bild: Die Aussitzmeister: Franz Josef Strauß & Helmut Kohl.
       
       aus|sit|zen (umgangssprachlich auch für: in der Hoffnung, dass sich etwas
       von allein erledigt, untätig bleiben)
       
       Der Duden beschreibt den Sachverhalt zu nüchtern. Denn das Aussitzen ist in
       Wahrheit eine Kunst. Und viele Politiker beherrschen sie. Deshalb wundern
       Sie sich bitte nicht über Christian Wulff, der einfach im Schloss Bellevue
       sitzen bleibt. Er kann nicht anders. Die Geschichte der Bundesrepublik
       strotzt vor Aussitzern, die mit aller Macht an ihrem Stuhl kleben blieben.
       
       Da wäre zum Beispiel Franz-Josef Strauß. Gegen den Metzgerssohn, dessen
       Wirken nicht nur Bayern, sondern die ganze Republik prägte, ist Wulff ein
       blutiger Anfänger. Strauß war etwa Verteidigungsminister, CSU-Chef und
       bayerischer Ministerpräsident, und Skandale gehörten zu seiner Karriere wie
       süßer Senf zur Weißwurst.
       
       Unvergessen zum Beispiel die Sache mit den Starfightern. Strauß hatte in
       den 50ern große Stückzahlen eines quasi schrottreifen, für die Piloten
       lebensgefährlichen Kampfjets bestellt, der Vorwurf der Korruption hing in
       der Luft - Strauß saß ihn aus. Ebenso diverse andere Skandale. Dagegen
       wirkt Wulffs Mailbox-Geplauder wie ein Kindergeburtstag. Strauß trat als
       Minister erst nach der Spiegel-Affäre zurück, bei der er den Magazingründer
       Rudolf Augstein in den Knast stecken ließ - und auch das nur widerwillig.
       Für Wulff bleibt also Spielraum nach oben.
       
       ## Kohl hat als Profiaussitzer Maßstäbe gesetzt
       
       Eines muss man neidlos anerkennen: Besonders die Konservativen haben das
       Aussitzen perfektioniert, Wulff sieht sich in einer großen Tradition.
       Denken wir nur an Helmut Kohl! Den massigen Exkanzler blies schon rein
       körperlich kein Skandallüftchen so leicht um, von ihm stammt das Bonmot:
       "Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter." Kohl hat als
       Profiaussitzer Maßstäbe gesetzt. Grandios ist zum Beispiel, wie sich Kohl
       in der CDU-Schwarzgeldaffäre weigerte (und weigert), Namen von Spendern zu
       nennen, denen er sein Ehrenwort gegeben hatte. Da war er nicht mehr
       Kanzler, brach aber locker das Parteiengesetz. Ob Wulff gegen das
       Ministergesetz verstoßen hat, ist offen, aber nach dem Kohlschen Gesetz
       irgendwie auch egal.
       
       Gute Nerven sind Bedingung fürs Aussitzen. Denn jede Affäre folgt Zyklen.
       Die lästigen Journalisten müssen sich ja irgendwann wieder um das kümmern,
       was sonst so in der Welt passiert. Bei Wulffs Kreditaffäre ist das nicht
       anders. Wenn die Vorwürfe immer kleinteiliger werden, kalkuliert der
       Aussitzpräsi jetzt, muss die Presse ihn von den Titelblättern nehmen.
       
       Moralische Erwägungen, gar die eigene Person betreffend, sind dagegen
       tödlich. Das historische Beispiel liefert Grünen-Chef Cem Özdemir. Der zog
       sich 2002 von seinem Bundestagsmandat zurück, weil er dienstliche
       Bonusmeilen privat verflogen und sich 80.000 DM von dem PR-Berater Moritz
       Hunzinger geliehen hatte. Moralisch halten sich die Grünen für etwas
       Besseres als die Schwarzen, deshalb neigen sie zu vorschneller
       Selbstgeißelung. Anstatt sich wie Wulff zu sagen: Okay, war blöd, aber hey,
       ich bin der Geilste für den Job. Und bei ihm geht es um ein paar Flocken
       mehr, um Täuschung des Parlaments und um irrationale Zensurversuche.
       
       Beim Publikum gibt es bei einem Aussitzversuch drei Phasen: Erst nervt der
       Aussitzer, viele denken, der muss weg. Dann kippt die Stimmung, immer mehr
       regt die "Hetzjagd" auf den Aussitzer auf. Dann hat er schon fast gewonnen.
       Und später, nach einem Skandal, werden ihm in der Politik schulterklopfend
       "Nehmerqualitäten" attestiert.
       
       Sozialdemokrat Johannes Rau saß als Bundespräsident kühl seine
       Verstrickungen mit der WestLB aus. Dabei hatten seine von der Landesbank
       gesponserten Gratisflüge mindestens ein so großes Geschmäckle wie der
       Privatkredit Wulffs. Jener kennt also auch die wichtigste Regel des
       Aussitzers: Seine größte Verbündete ist die Vergesslichkeit.
       
       9 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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