# taz.de -- Auftakt zur Grünen Woche: Die nimmersatte Branche
       
       > Immer mehr essen? Geht nicht. Doch Verbrauchern werden immer neue,
       > ungesunde Produkte angeboten. Im Süden der Welt ruinieren sie Bauern mit
       > billigen Exporten.
       
 (IMG) Bild: Bis die Schwarte kracht. Die Lebensmittelindustrie macht's möglich.
       
       BERLIN taz | Sie sind schon süß, die tanzenden Bienen in der Fernsehwerbung
       für die Frühstücksflocken Honey Loops von Kellogg's. Quietschgelb, mit
       großem Kopf und breitem Lächeln schwingen sie die sogenannten Knusper-Ringe
       des US-Lebensmittelkonzerns um die Hüften. Auch die Loops selbst sind süß:
       Eine 100-Gramm-Portion liefert 29 Gramm Zucker.
       
       Zucker kann Karies verursachen und sättigt nur kurz, weshalb die Kinder
       wenig später noch mehr essen und so ein höheres Risiko für Übergewicht
       haben. Da helfen auch die 73 Prozent Vollkorngetreide in den Honey Loops
       nicht, die Kellogg's als Argument gegen Kritik an dem Produkt anführt.
       Kinder sind durch Werbung besonders leicht zu beeinflussen; trotzdem ließ
       die Firma den Spot zum Beispiel im Kinderfernsehsender Super RTL zeigen -
       die Gesundheit der Kleinen scheint Nahrungsmittelkonzernen wie Kellogg's
       egal zu sein.
       
       Wie rücksichtslos die Ernährungsmultis agieren, haben auch die
       Geflügelbauern in dem westafrikanischen Land Benin zu spüren bekommen. "Die
       Hähnchenproduktion dort ist 2004/2005 vor allem wegen der europäischen
       Konkurrenz zusammengebrochen", berichtet Handelsfachmann Francisco Marí vom
       Evangelischen Entwicklungsdienst.
       
       Von den 86.000 Tonnen Fleisch, die nach Angaben der UN-Agrarorganisation
       FAO 2007 in Benin angeboten wurden, kamen 74 Prozent aus Europa. Und
       während ein Kilo Hähnchenfleisch - meist sind es Reste - aus der EU in
       Benin 1,70 kostet, muss man für heimische Hähnchen 2,40 Euro zahlen. Die
       Nahrungsmittelindustrie der EU, so Marí, habe die lokalen Erzeuger mithilfe
       von subventionierten Dumpingpreisen vernichtet. Manche Bauern müssen nun
       hungern.
       
       Neue Zuckerbomben für Kinder, Dumpingexporte in Entwicklungsländer, dazu
       etliche Werbelügen – große Teile der Lebensmittelbranche in
       Industrieländern wachsen auf Kosten der Konsumenten zu Hause und von
       Produzenten in Entwicklungsstaaten.
       
       ## Dicke Kinder
       
       Die Folgen sind dramatisch. Der Anteil der Übergewichtigen unter den 3- bis
       17-Jährigen in Deutschland ist seit 1990 um die Hälfte gestiegen, so das
       Robert-Koch-Institut. Er liegt heute bei 15 Prozent, das sind 1,9 Millionen
       Kinder und Jugendliche. Sie haben ein höheres Risiko beispielsweise für
       Diabetes, Infektionen und Herzprobleme - was nicht nur menschliches Leid
       bedeutet, sondern auch jährliche Behandlungskosten in Milliardenhöhe nach
       sich zieht. Insgesamt sind hierzulande 66 Prozent der Männer und 51 Prozent
       der Frauen übergewichtig.
       
       Gleichzeitig nimmt der Hunger im globalen Süden zu. 2010 hatten weltweit
       schon 925 Millionen Menschen zu wenig zu essen, schätzt die FAO. In Benin
       waren es zuletzt 12 Prozent der Bevölkerung. Die meisten Hungernden sind
       Kleinbauern.
       
       Kritiker wie die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch erklären die
       gesellschaftsschädlichen Praktiken der Ernährungsbranche vor allem damit,
       dass der Lebensmittelmarkt in Deutschland und anderen Industriestaaten seit
       Jahren stagniert.
       
       ## Die Deutschen sind satt
       
       Die Deutschen sind satt. Zudem, sagt Sabine Eichner, Geschäftsführerin der
       Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), wachse ja die
       Bevölkerungszahl nicht mehr, tendenziell sinke sie sogar.
       
       Handyhersteller etwa reagieren auf das Schrumpfen des Heimatmarkts, indem
       sie ihre Telefone mit immer neuen Funktionen ausstatten, sodass auch Leute
       ein Telefon kaufen, die schon eines haben. "Bei Handys sind auch noch
       Tausende Innovationen denkbar, aber beim Essen nicht", sagt der
       Geschäftsführer von Foodwatch, Thilo Bode, der taz. Müsli zum Beispiel ist
       ein bewährtes Produkt, das sich kaum weiterentwickeln lässt. Doch weil die
       Nahrungsmittelindustrie unbedingt wachsen will, schafft sie Produkte wie
       die Honey Loops: neu, aber ungesünder als schnödes Müsli.
       
       Um ihr Wachstumsproblem zu lösen, setzt die Branche auch immer mehr auf den
       Export. Die Ausfuhren der deutschen Ernährungsindustrie haben sich nach
       Angaben des Verbands BVE seit 1998 mehr als verdoppelt. Waren es damals nur
       18 Prozent des Umsatzes, sind es jetzt schon rund 30 Prozent. Zwar ging nur
       ein kleiner Teil in Entwicklungsländer - etwa lediglich 1,4 Prozent nach
       Afrika -, aber selbst aus deutscher Sicht winzige Mengen können die oft
       sehr kleinen Märkte dieser Staaten erheblich stören - so wie in Benin.
       
       Vor allem die Europäische Union hätte die Möglichkeit, dies zu erschweren.
       Doch selbst der bei Umweltschützern vergleichsweise beliebte
       EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos will den Lebensmittelexport weiter fördern
       - wenn es sein muss, auch künftig mithilfe der besonders umstrittenen
       Zuschüsse zu Lebensmittelausfuhren.
       
       "Wir sind auch der Meinung, dass die Exporterstattungen langfristig
       wegmüssen", sagt ein Sprecher von Ciolos. Aber erst, wenn etwa die USA das
       Gleiche tun. Darauf hoffen alle seit Jahren vergeblich. Wenig Hoffnung
       setzen Verbraucherschützer auch in den deutschen Staat. "Wir sind schon
       froh, wenn die Lage für den Verbraucher nicht schlechter wird", sagt Bode.
       
       ## Frustrierte Verbraucherschützer
       
       Tatsächlich schmetterte die EU 2010 einen Vorschlag ab, dass etwa der
       Zuckergehalt von Lebensmitteln mit Ampelfarben leicht verständlich auf der
       Verpackung angegeben werden muss. Sie entschied sich für kompliziertere
       Tabellen. "Der große Durchbruch beim Verbraucherschutz ist nicht da", meint
       Bode - und klingt fast frustriert.
       
       Die BVE-Geschäftsführerin Sabine Eichner weist sämtliche Vorwürfe als
       "Unfug" zurück. Exportsubventionen seien seit einiger Zeit mengenmäßig kaum
       noch relevant. Die deutschen Unternehmen lieferten sowieso 80 Prozent ihrer
       Ausfuhren ins EU-Ausland.
       
       Im Übrigen tue die Lebensmittelbranche nichts anderes als die Hersteller
       anderer Konsumgüter, die mit gesättigten Märkten zu kämpfen haben: "Wie
       etwa Handyhersteller spricht sie über Marketing auch die sozialen Aspekte
       ihrer Produkte an, zum Beispiel: Ich will dieses Produkt haben, weil es
       meine Freunde haben." Zu dem Einwand, dass das Marketing der
       Ernährungsindustrie schädlicher als etwa das der Textilbranche sei, sagt
       Eichner: "Als Mutter finde ich es auch nicht so lustig, dass die Kinder
       immer so viele Markenklamotten wollen."
       
       19 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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