# taz.de -- Sachbuchflut zum Friedrich-II-Jubiläum: Menschenschinden und Flötenspiel
       
       > Neue Bücher zum 300. Geburtstag Friedrich II. korrigieren das
       > Schöngeist-Image. Der Preußenkönig war menschenverachtend, ruhmsüchtig
       > und sprach "wie ein Kutscher".
       
 (IMG) Bild: Der Mann mit den vielen Gesichtern: Mythoskönig Friedrich II.
       
       Der König war außer sich. "Du wirst immer nur ein jammervoller Heerführer
       sein", schrieb Friedrich seinem Bruder und Thronfolger 1757. August Wilhelm
       hatte als Armeebefehlshaber im Siebenjährigen Krieg eine falsche
       Entscheidung getroffen. "Befehlige doch einen Harem von Hoffräuleins,
       meinetwegen; solange ich aber am Leben bin, vertraue ich Dir keine zehn
       Mann mehr an." Der so Gescholtene war tief erschüttert, war Friedrich doch
       sein Vorbild. August Wilhelm erkrankte, ein Jahr später war er tot.
       
       Geschichten wie diese, dokumentiert in Jens Biskys gelehrigem Buch "Unser
       König", zeigen die Kälte und Menschenverachtung Friedrichs II. von Preußen.
       Belege hierfür werden wieder häufig zitiert, seit der 300. Geburtstag des
       Preußen am 24. Januar nahe rückt. Eine unüberschaubare Anzahl neuer und
       wieder aufgelegter Bücher, Dokumentationen, Ausstellungen und Berichte
       kündet vom Friedrich-Jahr.
       
       Kaum eine Veröffentlichung wagt es noch, allein das Klischee vom
       Philosophen auf dem Königsthron zu beleben. Selbst die schwärmerischsten
       Preußenfreunde können nicht mehr ignorieren, dass ihr geliebter Schöngeist
       zugleich ein herzloser Schinder war. Heute macht ebendieses Nebeneinander
       bester und schlimmster Eigenschaften den ewig Unzeitgemäßen so interessant.
       
       Friedrich, genannt "der Große", liebte das Flötenspiel, Poesie,
       französische Literatur und Kleidung. Er war Opfer eines Vaters, der dem
       Thronfolger selbst in Gegenwart von Generälen das Gesicht blutig schlug.
       Friedrich war ein sensibler Heranwachsender, der seinen Vater schriftlich
       bat, den "grausamen Hass" gegen ihn aufzugeben, und von diesem zur Antwort
       erhielt, er könne "keinen effemierten Kerl" leiden, der sich wie ein Narr
       kleide und frisiere.
       
       ## Drei politische Verbrechen
       
       Friedrich war aber auch Herrscher eines hochgerüsteten Staates, dessen
       Existenz er mehrmals kaltherzig aufs Spiel setzte, um seinem Vorbild
       Alexander dem Großen nachzueifern. Er verübte "drei politische Verbrechen",
       wie Bisky bilanziert: "Das erste, der Überfall auf Schlesien" im Jahr 1740,
       "hatte noch den politischen Gepflogenheiten entsprochen; andere taten es
       ebenso oder doch Vergleichbares. Der Angriff auf den offiziell neutralen
       Nachbarn aber", auf das Kürfürstentum Sachsen 1756, "war ohne Beispiel".
       Zum dritten Verbrechen geriet 1772 die Beteiligung an der ersten Teilung
       des schwachen Polen.
       
       Das alles rechtfertigen selbst heutige Autoren mit der Notlage eines von
       Gegnern umringten Herrschers. Vor allem aber gilt der Autokrat Friedrich
       vielen noch immer als Aufklärer, der den Untertanen seines Kunststaates
       Freiheiten verschaffte.
       
       Dass das reichlich übertrieben ist, verdeutlicht Bisky in seinem Buch
       "Unser König". Als "Lesebuch" deklariert, ist das Werk des
       Feuilletonredakteurs der Süddeutschen Zeitung eher ein langer Essay,
       ergänzt durch klug ausgewählte Berichte von Zeitgenossen Friedrichs. Über
       den königlichen Reformer urteilt Bisky angenehm klar: "Eine Umwälzung der
       Verhältnisse lag Friedrich gewiss fern, ihm ging es um die Tüchtigkeit
       eines jeden an der ihm zugewiesenen Stelle."
       
       Zum Umgang mit Untergebenen zitiert er den Militärschriftsteller Georg
       Heinrich von Berenhorst: "Was die Offiziere anbelangt, so merkten die
       Einsehenden endlich wohl, daß ihr philosophischer Kriegsherr sie als bloße
       Werkzeuge betrachtete, die der Künstler bey Seite wirft, wenn sie stumpf
       werden, und daß da persönlich nicht viel Dankbarkeit zu erwarten sey."
       
       Die Essayform erweist sich als das passende Instrument, um Friedrichs
       zwiespältigem Wesen, seiner Wirkung auf Zeitgenossen und Nachgeborene
       nahezukommen. Bisky nimmt sich die Freiheit der ausführlichen
       Interpretation, die vielen Quellen, die er aufbietet, lässt er für sich
       sprechen: Berichte von Höflingen und Offizieren, Erinnerungen von
       Familienangehörigen sowie viele Briefe, unter anderem solche an und von dem
       Philosophen Voltaire, der von der demonstrativen Freundschaft zwischen ihm
       und Friedrich ebenso profitierte wie der Regent.
       
       Das Nebeneinander von Quellen und Interpretationen befreit Bisky vom Zwang,
       ein historisch lückenloses Bild des Preußenherrschers zu zeichnen. Was
       unvereinbar erscheint – Friedrichs Kälte und seine Sensibilität, seine
       modernen und seine altertümlich erscheinenden Züge – all das darf weiter
       nebeneinanderbestehen, ohne unverbunden zu bleiben.
       
       Zur dauerhaften Faszination, die von Friedrich ausgeht, trägt bei, dass
       dieser sich von seiner Umgebung in jeder Lebensphase krass abhob. Der
       kleine Mann mit der Hakennase war ein deutlich umrissener Mensch in einem
       Jahrhundert der Kostüme: ein hochbegabter Sohn im Kampf mit dem
       despotischen Vater. Ein stürmischer Truppenführer in einer Zeit, als Könige
       längst nicht mehr an Schlachten teilnahmen. Ein Liebhaber französischer
       Kultur in einem Land, von dem er spöttelnd sagte, es verfüge über so viel
       Sand wie Libyen.
       
       Als wenige Jahre nach seinem Tod Revolutionen den Kontinent erschütterten
       und Reiche zerfielen, wirkte der "Alte Fritz" posthum gar als Garant der
       Stabilität. Die Liebe des 19. und 20. Jahrhunderts für große Männer, die
       scheinbar autonom Geschichte machen, fand in Friedrich ein Ideal.
       
       ## Identifikationsersatz für Preußenliebhaber
       
       Der Preuße war nicht der einzige König mit traumatisierender Kindheit. Doch
       nur der Friedrichs widmet man solche Aufmerksamkeit, vor allem dem
       dilettantischen Versuch des 18-Jährigen, vor dem brutalen Vater nach
       England zu fliehen. Das Interesse an allem Persönlichen hat auch damit zu
       tun, dass Preußen über wenig gebot, was Identität vermitteln konnte: keine
       eigene Sprache, kaum Geschichte oder zusammenhängendes Territorium. Wer den
       jungen Staat lieben wollte, musste Friedrich verehren.
       
       Weniger wertend als Biskys "Unser König", aber ebenfalls lesenswert ist
       Wolfgang Burgdorfs "Biografisches Porträt". Das Buch des Münchner
       Historikers ist frei von den Verklemmtheiten, die bis heute viele
       Publikationen durchziehen.
       
       So thematisiert Burgdorf die schon den Zeitgenossen bekannte Homosexualität
       Friedrichs und kommt zu dem nüchternen Schluss: "Gerüchte über eine
       Geschlechtskrankheit oder eine chirurgische Verstümmelung, die ihm verwehrt
       hätte, intim mit Frauen zu verkehren, gehören ins Reich erst posthum
       entstandener Legenden. […] All dies haben Historiker im 19. Jahrhundert
       erfunden. […] Als Held konnte er weder impotent noch schwul sein, aber er
       konnte eine 'galante' Krankheit haben, und die zog er sich dann nach seinem
       Tod zu."
       
       "Dreiundzwanzig steinerne Jahre" (Bisky) überlebte Friedrich seinen
       glücklichen Sieg im Siebenjährigen Krieg. Zäh bemühte er sich, die
       verheerenden Folgen seiner Kriege zu lindern: durch Bevölkerungsansiedlung
       und Wirtschaftsförderung. Doch für die große Mehrheit, die Bauern, tat er
       kaum etwas. Deren Schwäche bildete die Machtbasis des Adels, der allein
       seine Offiziere stellte. Bildung und Forschung waren ihm egal.
       
       Als Friedrich 1786 verbittert und vereinsamt starb, notierte der
       Schriftsteller Mirabeau: "Kein Bedauern wird laut, man hat keinen Seufzer,
       kein lobendes Wort! Ist das das Resultat so vieler gewonnener Schlachten,
       so vielen Ruhms?" Der König war tot, von nun an lebten die Legenden.
       
       Jens Bisky: "Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit. Ein
       Lesebuch". Rowohlt Berlin, 400 S., 19,95 Euro / Wolfgang Burgdorf:
       "Friedrich der Große. Ein biografisches Portrait". Herder, 192 S., 12,95
       Euro
       
       21 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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