# taz.de -- Kommentar Datenschutz: Öffentlichkeit als Gefahr
> Die Idee des Datenschutzes hat potentiell paternalistische Züge.
> Angehörige von Minderheiten sind jedoch bis auf weiteres auf ihn
> angewiesen.
Post-Privacy-Aktivisten sind die Lieblinge des Feuilletons. Sie kritisieren
den Datenschutz mit teils guten Argumenten, ihre eigenen Ideen sind jedoch
keine politische Alternative, sondern postmoderner Lifestyle.
Die Bewegung wirft Datenschützern vor, mit ihrem Appell an die "rettende
Regierung" eine Entwicklung zum orwellschen Staat zu fördern, der zum
Schutz aller Daten auf massive Kontrollinstrumente angewiesen ist.
Schnüffelt er selbst, raten sie höchstens zu "Verhältnismäßigkeit".
Dagegen setzen die Aktivisten auf die vollständige Offenlegung der Daten
aller sowie den Verzicht auf Privatsphäre. Konsequenterweise dokumentieren
sie intime persönliche Daten im Netz. Ziel ist die "transparente
Gesellschaft", in der Konflikte durch gegenseitige Kontrolle vermieden
werden. Von Menschen, die – auch unbewusst – privilegiert sind, mag diese
mit revolutionärem Gestus vorgetragene Forderung als private Spielerei
abgetan werden.
Der grundlegende Fehler ist jedoch zu glauben, umfassende Transparenz wirke
sich auf alle mehr oder weniger gleich aus. Die Menschen würden sich im
"anarchischen" Netz besser als im realen Leben verhalten, wo bekanntlich
Ressentiments großen Einfluss haben, die durch Transparenz allein nicht
verschwinden werden. Wer gesellschaftlichen Normen nicht entspricht, muss
die Aufforderung zum Verzicht auf die eigene Privatsphäre als Drohung
empfinden. Die Forderung nach allgemeiner "Transparenz" fällt somit selbst
hinter die traditionelle Forderung nach dem "gläsernen Staat" zurück.
## Regressive Technikkritik hilft nicht
Dass Daten, die einmal im Netz aufgetaucht sind, nicht zu kontrollieren
sind, ist eine Binsenweisheit. Die Antwort auf die Frage nach dem
Datenschutz darf keine regressive Technikkritik sein, die das Internet
dämonisiert und ihm grundsätzlich eine Verflachung der menschlichen
Beziehungen vorwirft.
Die Beziehungen der Menschen sind stark durch die Gesellschaft und ihre
soziale Lage geprägt. Durch einen krisenbedingten erhöhten Konkurrenzdruck
sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch im internationalen Wettbewerb
werden sie zunehmend unsolidarischer, ausgrenzende Ideen breiten sich aus.
Sowohl Datenschützer als auch Post-Privacy-Aktivisten beschäftigen sich
jedoch lediglich mit den Kommunikationswegen, die Menschen gebrauchen, und
blenden die Gründe für das Entstehen antipluralistischer Ideologien aus,
die ein vollständig transparentes Zusammenleben auf absehbare Zeit
unmöglich machen. Beide geben somit keine befriedigende Antwort auf die
Frage einer wünschenswerten Zukunft der Informationsgesellschaft.
Anstatt das freiwillige Aufgeben der Privatsphäre zu propagieren, bräuchte
es eine neue gesellschaftliche Debatte über solidarisches Zusammenleben und
eine gerechte Antwort auf die multiple Krise Europas.
24 Jan 2012
## AUTOREN
(DIR) Kai Schubert
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Meta
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