# taz.de -- Erdogan erbost über Genozid-Gesetz: "Massaker an der Meinungsfreiheit"
       
       > Der französische Senat ist nicht zurückgewichen: Die Leugnung des
       > Völkermordes an den Armeniern ist künftig strafbar. Der türkische Premier
       > Erdogan spricht von Rassismus.
       
 (IMG) Bild: Türken demonstrieren vor der französischen Botschaft in Istanbul gegen das im Senat verabschiedete Gesetz.
       
       PARIS/ISTANBUL taz | Nach den Abgeordneten der Pariser Nationalversammlung
       hat nun auch der französische Senat einem Gesetz zugestimmt, das die
       vorsätzliche Leugnung des Völkermords an Armeniern durch das Osmanische
       Reich 1915 für strafbar erklärt. Mit 127 gegen 86 Stimmen verabschiedete
       der Senat nach einer hitzigen Debatte am späten Montagabend die Vorlage.
       Wer danach in beleidigender Absicht den von Frankreich seit 2001 offiziell
       anerkannten Völkermord von 1915 in Frage stellt oder verharmlost, kann mit
       bis zu zwölf Monaten Haft und einer Geldbuße von 45.000 Euro bestraft
       werden.
       
       Bis zum Votum waren hinter den Kulissen ein heftiges Lobbying von außen und
       ein internes Strippenziehen im Gang. Sowohl die Regierungspartei UMP, die
       den parlamentarischen Vorschlag eingebracht hatte, als auch die Sozialisten
       waren in der Frage der Opportunität eines solchen Gesetzesartikels
       gespalten.
       
       Vor allem aber debattierte das französische Oberhaus, wie auch schon die
       Nationalversammlung, unter dem Druck der Türken und der Armenier. Diese
       hatten mit Petitionen, ganzseitigen Inseraten und auch auf der Straße je
       gegen und für die Kriminalisierung der Genozid-Leugnung mobilisiert. Noch
       am Samstag hatten in Paris rund 15.000 Türken oder Franzosen türkischer
       Herkunft demonstriert. Wie die Regierung in Ankara argumentierten sie, es
       handle sich beim Gesetz um ein Zugeständnis an die rund 500.000 Wähler
       armenischer Herkunft. Diese bilden in Frankreich eine wichtige und
       einflussreiche Gemeinschaft, für die der Umgang mit dem Völkermord von 1915
       ein prioritäres Kriterium darstellt.
       
       ## Rassistische Politik
       
       Umgekehrt haben sich die türkischen Drohungen mit einem Abbruch der
       politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit als kontraproduktiv
       erwiesen. Jedes Zurückweichen im Senat wäre als Kapitulation ausgelegt
       worden.
       
       In der Türkei löste die Entscheidung in Frankreich wütende Proteste aus.
       Ministerpräsident Erdogan griff am Dienstag in einer Rede vor seiner
       Fraktion insbesondere den französischen Präsidenten Sarkozy scharf an.
       Sarkozy, so Erdogan, versuche mit einer türkeifeindlichen, rassistischen
       Politik, Stimmen bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
       
       Wörtlich sagte er: "In Frankreich hat eine bestellte Abstimmung
       stattgefunden, an der nur sehr wenig Senatoren teilgenommen haben. Das
       Ergebnis ist die Wiederbelebung mittelalterlichen Denkens. Der Beschluss
       ist rassistisch und ein Massaker an der Meinungsfreiheit. Wer dazu
       schweigt, macht sich schuldig, den aufkommenden Faschismus in Europa zu
       ignorieren."
       
       Der Führer der rechtsnationalistischen Partei MHP, Devlet Bahceli, schlug
       noch härter zu. Er rief dem französischen Präsidenten zu, er solle sich
       lieber "mit der stinkenden Vergangenheit" seines eigenen Landes
       auseinandersetzen. "Wenn Sarkozy sich für Massenmord interessiert, soll er
       in den Spiegel schauen."
       
       ## Zunächst keine Sanktionen
       
       Trotz der harten Worte will Ankara aber zunächst keine Sanktionen, die über
       die im Dezember beschlossenen hinausgehen, verhängen. "Wir gedulden uns
       noch", sagte Erdogan. "Wir werden unsere vorbereiteten Sanktionen je nach
       Entwicklung Schritt für Schritt in Kraft setzen." Bisher wurden die
       Militärbeziehungen zwischen der Türkei und Frankreich eingefroren und der
       Kulturaustausch ausgesetzt. In verschiedenen Medien war spekuliert worden,
       die Türkei würde den französischen Botschafter ausweisen.
       
       Auf welche Entwicklungen man in Ankara noch hofft, erklärte Erdogan auch
       gleich. Wenn 60 Senatoren einen Einspruch beim Verfassungsrat vorbringen,
       könnte das Gesetz noch gestoppt werden. "Wir hoffen", sagte er, "dass
       dieser Fehler so wieder gutgemacht wird."
       
       Doch die eigentliche Hoffnung in der Türkei ist, dass Sarkozy die kommenden
       Präsidentschaftswahlen verliert und dann ein Neubeginn in den Beziehungen
       möglich wird. "Solange Sarkozy Präsident ist, werden die
       türkisch-französischen Beziehungen sich nicht mehr normalisieren", schrieb
       die außenpolitische Expertin Barcin Yinan.
       
       24 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) R. Balmer
 (DIR) J. Gottschlich
       
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