# taz.de -- Schlecker-Betriebsrätin erzählt: Aus dem Sortiment genommen
       
       > Die drohende Pleite des Drogeriekonzerns gefährdet die Jobs von 30.000
       > Menschen. Eine Mitarbeiterin erzählt, wie es dazu kommen konnte.
       
 (IMG) Bild: So kann man es auch sagen.
       
       BERLIN taz | Eine Frau öffnet mit einem schwungvollen Ruck die verbeulte
       Hintertür zu einem halb ausgeräumten Schlecker-Markt. Frau M., seit 20
       Jahren bei der Drogeriekette, seit 19 Jahren Betriebsrätin, begrüßt mit
       einem warmen, festen Händedruck.
       
       Entschlossen stapft sie vorbei an prallen Müllsäcken und ausrangierten
       Aufstellern und rein in ihr Büro. Sie setzt sich ans Kopfende des Tischs.
       Sie ist hier die Chefin. Es sind die ersten Arbeitstage nach der
       Hiobsbotschaft von Schleckers Insolvenz.
       
       Frau M. wedelt mit den Händen. Dieser Anton Schlecker, dieser Metzgerssohn.
       Ein alter, steinreicher Mann, ein Patriarch und Autokrat, der sich mit
       seinen Rennautos und Versace-Hemden in seinem Ehingen verschanzt und der
       die Stirn hat, seine Mitarbeiter nicht mal als Erste ins Bild zu setzen,
       wenn er pleite ist. Als Erstes muss Frau M. loswerden, wie blöd das wieder
       gelaufen ist mit der Information, mit der Transparenz, so als wäre nichts
       passiert, so als habe "der Schwabe da unten" nichts dazugelernt.
       
       "Er hat uns mal wieder doof gehalten", schimpft Frau M.. "Am Freitag lief
       es kurz nach zwei über die Ticker bei ntv, drei Minuten später kamen die
       ersten Anrufe", empört sie sich und streicht sich energisch eine der rot
       gefärbten Strähnchen aus der Stirn. "Erst am späteren Nachmittag wurden die
       Betriebsräte informiert."
       
       Was Frau M., die robuste Frau mit dem Berliner Akzent, ihren Leuten sagen
       soll, das weiß sie allerdings immer noch nicht. Sie ist mit einer Situation
       konfrontiert, die schwieriger ist als alles, was sie bei Schlecker erlebt
       hat. Sie weiß nicht, was auf sie selbst zukommen wird. Und sie weiß auch
       nicht, wie sie ihre Kollegen, über die sie immer die Hand gehalten hat,
       jetzt noch schützen kann.
       
       "Ich gehe davon aus, dass es weitergeht", sagt sie trotzig. "Es geht hier
       um 30.000 Arbeitsplätze." Und dann, ein wenig zaghafter: "Das ist doch ein
       Lebensabschnitt. Das kann man doch nicht einfach abhaken."
       
       ## Statt Tante-Emma-Laden
       
       Frau M. wuchs in der DDR auf und studierte. Sie wollte Lehrerin werden. Als
       die Wende kam, wurden ihre Abschlüsse nicht anerkannt. Die DDR wurde
       abgewickelt, überall schlossen die Betriebe. Die Menschen wurden
       arbeitslos, ganze Landstriche wurden entvölkert. Nur einer machte überall
       Läden auf, "in jedem Dorf, hinter jeder Kirche", erinnert sich Frau M.
       Schlecker schuf Arbeitsplätze. In manchem Dorf, in dem es nur noch alte
       Leute gab, ersetzte er den Tante-Emma-Laden.
       
       "Wir Ostfrauen, wir müssen einfach arbeiten", sagt Frau M. und zuckt mit
       den Schultern. "Der Schlecker", fügt sie an "der gab uns Sicherheit. Eben
       Stabilität. Wir sahen hier unsere Zukunft. Und wir wollten hier bis zur
       Rente bleiben. Er war ein guter Arbeitgeber, trotz all der Kämpfe, die wir
       gekämpft haben", sagt sie.
       
       Bei Schlecker gab es seit Langem Tariflöhne und geregelte Arbeitszeiten,
       Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Kündigungsschutz. Es spielte keine Rolle,
       wie alt man war oder wie man aussah. "Wir fühlten uns aufgehoben", sagt
       Frau M.. "Schlecker, das ist nicht Anton Schlecker. Das sind auch wir",
       sagt sie und schaut aus dem Fenster.
       
       Auf dem Parkplatz vor dem Shoppingparadies, irgendwo in einer
       Plattenbausiedlung in Ostberlin, ist auch zur beliebtesten Einkaufszeit am
       frühen Abend nicht viel los. Die Konkurrenz mit den helleren, größeren
       Schaufenstern lockt, auch ein Rossmann. Schon lange hatte Schlecker
       Probleme, gegen diese Konkurrenz anzukommen.
       
       ## Lücken in den Regalen
       
       Das ist Frau M. nicht entgangen. Die Lieferungen blieben aus, in den
       Regalen klafften große Lücken. Immer mehr Filialen - so auch die neben dem
       Büro von Frau M. - wurden geschlossen, es wurde schwieriger, die
       Stammbelegschaft auf andere Filialen zu verteilen. "Wir wussten, dass wir
       eine Talsohle zu durchlaufen hatten."
       
       Frau M. hat daher mit vielem gerechnet. Aber nicht damit. Es ist zurzeit,
       als müsste Frau M. selbst um ihren Kampfgeist kämpfen.
       
       Eine Frau, die immer gekämpft hat und die zum ersten Mal in ihrem Leben
       nicht mehr weiß, wogegen sie kämpfen soll. Das ist ein Zustand, der Frau M.
       nicht vertraut ist.
       
       Wie kam es dazu, dass Frau M. so eine Kriegerin wurde? Als sie als Aushilfe
       bei Schlecker begann, da ahnte sie nicht, wie schnell sie zuerst
       Filialleiterin und dann Betriebsrätin werden würde. "Ich war halt schon in
       der Schule immer Klassensprecherin." Sie wurde dazu erzogen, sich nichts
       gefallen zu lassen, auch wenn ihre Eltern - ein Beamter und eine Lehrerin -
       nicht gerade regimekritisch waren. Wenige Jahre nachdem sie angefangen
       hatte, wurden Anton Schlecker und seine Frau Christa wegen Lohndumpings
       verklagt, und Frau M. bekam eine Nachzahlung. Frau M.s Streitlust war
       geweckt. Sie ließ sich zur Betriebsrätin wählen.
       
       ## Sie weiß von Burn-outs von Kollegen
       
       Es folgten erste Wortgefechte mit Vorgesetzten, die sie bestand. Auch die
       Gerichtsverhandlungen wegen grober Verstöße gegen Arbeitszeit- oder
       Urlaubsregelungen gewann Frau M. meist. Sie wurde immer wieder gewählt. Und
       als Schlecker vor zwei Jahren einen Teil seines Stammpersonals dazu
       nötigte, Arbeitsverträge bei seiner eigenen Zeitarbeitsfirma Meniar zu
       unterschreiben, um Lohn zu sparen, da hatte sie "richtig zu tun".
       
       Frau M. erinnert sich an die alten Kämpfe und wie gut sie es deshalb fand,
       als Schlecker vor zwei Jahren endlich seine Kinder vorschickte, als überall
       in der Presse die freundlichen Gesichter von Lars und Meike auftauchten.
       Denn sie weiß, dass Schlecker nicht nur selbst ein Autokrat ist, sondern
       auch Probleme mit seiner mittleren Führungsschicht hat, mit den
       Verkaufsleitern, mit den Bezirksleitern.
       
       "Das waren oft alte Garden", sagt sie. "Von moderner Personalführung hatten
       die keine Ahnung." Und von diesen Leuten musste man sich kontrollieren,
       bespitzeln oder schikanieren lassen? Frau M. weiß, dass solche Dinge bei
       Schlecker vorgekommen sind. Es gab Mitarbeiter, die deshalb unter
       psychischen Ausfällen, unter Burn-out litten.
       
       ## Fehlende Transparenz
       
       Sie weiß aber auch, dass es bei anderen noch ganz anders zugeht. Sie nennt
       die prekären Kettenbefristungen bei H&M. Sie weiß vom Sohn einer Kollegin,
       der von Plus zu Netto kam, einen guten, alten Arbeitsvertrag hat und
       gemobbt wird, obwohl er jeden Tag 14, 15 Stunden arbeitet.
       
       Vor allem aber weiß Frau M.: Bei ihr gab es so etwas nicht. Vielleicht
       hatte sie Glück. Vielleicht hat sich aber auch keiner an sie herangewagt.
       "Ich kann sehr hart sein. Ich hab auch schon mal jemanden aus dem Büro
       geschmissen", sagt sie. Hinter ihr hängen Spruchtafeln. Auf einer steht:
       "Wir sind hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht." Auf einer anderen:
       "Warum gleich sachlich werden, wenns auch persönlich geht." Frau M. nimmt
       sich noch ein Waffelröllchen.
       
       Und warum ist Schlecker nun pleite? Was war der größte Fehler? Frau M.
       bleibt dabei, viele Minuten kann sie darüber sprechen: Es war die
       Transparenz. Anton Schlecker hat nicht kommuniziert. Er hat zu wenig
       informiert, er hat aber auch keine Informationen angenommen.
       
       Frau M. erzählt von einer Kollegin. Von einem kleinen Schlecker an einem
       bescheidenen Standort, in einem kleinen Dorf auf dem Land. Da wohnen nur
       noch alte Leute. Die Kollegin, sagt sie, hat oft Vorschläge gemacht. Es gab
       keinen anderen Laden vor Ort, also hätten die alten Leute gern Lebensmittel
       gekauft, wenigstens das Nötigste. "Alte Omas brauchen kein Make-up, die
       wollen Gummistiefel und Schlüpfergummi", sagt sie.
       
       ## Schöne Läden
       
       Auch das, was Rossmann und dm heute haben - das Licht, den Platz,
       Spielecken für Kinder und Bioprodukte zum Beispiel - solche Ideen hatten
       sie auch, sagt Frau M.. Nichts davon wurde umgesetzt. Und als Schlecker
       schließlich versuchte, das Ruder herumzureißen, als endlich neue, schöne
       Läden entstanden, da war es zu spät. "Alles wäre anders gelaufen, wenn sie
       uns zugehört hätten."
       
       Und dann flackern für einen kurzen Moment doch Angst und tausend Zweifel in
       Frau M.s Augen auf. "Wenn er hier zumacht, was sollen wir denn dann
       machen?", fragt sie sich. Frau M. kämpft wieder um ihren Kampfgeist. Sie
       ballt unterm Tisch die Fäuste.
       
       Und dann hebt sie den Kopf und lacht das erste laute Lachen an diesem
       Abend. "Der Schlecker, das ist mein Leben", sagt sie mit starker Stimme.
       "Und mein Team ist mein Kollektiv. Ich fand es sogar toll, Regale
       einzuräumen", sagt sie.
       
       Kurze Pause. "Wir sind hier alle reingewachsen. Wir wollen bleiben. Der ist
       reich geworden mit uns. Nun soll er uns auch was zurückgeben."
       
       In diesen ersten Arbeitstagen nach der Hiobsbotschaft von Schleckers
       Insolvenz lässt sich Frau M. nicht entmutigen. Noch nicht.
       
       25 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Messmer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommentar Insolvenz Schlecker: Wer rettet die Schlecker-Frauen?
       
       Fast die Hälfte aller Schlecker-Angestellten soll entlassen werden. Wird
       die Politik sich für sie einsetzen oder gelten weibliche
       Billigarbeitsplätze nicht genug?
       
 (DIR) Drogeriekette schließt 3.000 Filialen: Schlecker schmeißt jeden Zweiten raus
       
       Um die totale Pleite zu verhindern, baut Schlecker massiv Stellen und
       Filialen ab. Danach könnte die insolvente Drogeriekette für Investoren
       wieder interessant sein.
       
 (DIR) Privatinsolvenz des Drogeriediscounters: Ist bei Schleckers noch was zu holen?
       
       Das Privatvermögen der Discounter-Familie wird auf eine zweistellige
       Millionenhöhe geschätzt. Für eine Sanierung des Unternehmens reicht das
       nicht.
       
 (DIR) Insolvenz von Schlecker: Vermögen verspielt
       
       Der Insolvenzverwalter von Schlecker will mit erweiterten Befugnissen die
       Ladenmieten sichern. Unterdessen erklärt Meike Schlecker, dass die Familie
       finanziell ruiniert ist.
       
 (DIR) Einigung mit wichtigstem Gläubiger: Schlecker kann wieder verkaufen
       
       Die Drogeriekette Schlecker kann den Betrieb wieder aufnehmen. Die Firma
       hat sich mit ihren wichtigsten Gläubiger geeinigt. Auch das
       Tochterunternehmen "IhrPlatz" ist insolvent.
       
 (DIR) Rettungsversuch der Drogeriekette: Schlecker soll Schlecker retten
       
       Schlecker treibt die Planinsolvenz voran. Die Gewerkschaften verlangen eine
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       Privatvermögen einsteht.
       
 (DIR) Nach der Pleite: Schleckers stiller Abgang
       
       Rund 1.300 Angestellte hat die insolvente Drogeriekette Schlecker in der
       Region. Die Gewerkschaft Ver.di sieht alle bedroht.
       
 (DIR) Schlecker ist pleite: For you. Vor bei.
       
       Stimmt es, dass Schlecker mehr Filialen als dm und Rossmann zusammen hat?
       10 schlaue Sätze über die insolvente Drogeriekette mit dem Imageproblem.
       
 (DIR) Kommentar Schlecker: Schlecker-Pleite kein Grund zur Freude
       
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       Nun geht die Firma in die Insolvenz. Die Discountmethoden im Einzelhandel
       bleiben.
       
 (DIR) Fehlende Liquidität bei Drogeriekette: Schlecker ist insolvent
       
       Die größte deutsche Drogeriekette Schlecker ist zahlungsunfähig.
       Finanzielle Engpässe hatten sich schon angekündigt. Hunderte Filialen
       werden bereits geschlossen.