# taz.de -- Marina Weisband verlässt Piratenspitze: Ich bin dann mal knuddeln
       
       > Marina Weisband wollte kein Profi werden. Sie tat sich schwer mit dem
       > öffentlichen Rummel und will nun erstmal nicht mehr. Ist ihre Haltung
       > okay? Ein Pro und Contra.
       
 (IMG) Bild: Keine Lust auf den Job an der Spitze: Marina Weisband sagt dem Piraten-Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz adé.
       
       Pro 
       
       Es ist wohlfeil, vor Jungunionisten, Jungsozialisten und Jungliberalen zu
       warnen, die gerade erst ihr dreizehntes Lebensjahr vollendet hatten, als
       sie beschlossen, Berufspolitiker zu werden. Man sollte es trotzdem tun.
       
       Jene Menschen, die berufsmäßig nie zu viel sagen und nie zu wenig und sich
       trotzdem vor jedes Mikrofon und jede Kamera hechten, die geschliffenen
       Profis, können zur Gefahr werden. Ronald Pofalla (CDU), Hubertus Heil
       (SPD), Patrick Döring (FDP), sie werden gefährlich, wenn es zu viele von
       ihnen gibt. Sie machen Politik glatt und mechanisch. Marina Weisband,
       Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, gehört nicht dazu. Sie ist
       der Gegenentwurf. Das kann man feststellen, ohne sie unnötig zu
       idealisieren.
       
       Mit den Mikrofonen und Kameras, die auf sie gerichtet waren, tat sich
       Weisband schwer. Mitunter versank sie in Talkshows, verdrängt von
       Alphatieren, den Profis. Sie fühlte sich von Journalisten oft
       missverstanden, von manchen gar auf ihr Aussehen reduziert. Sie kritisierte
       das. Bild machte sie zur "Verliererin des Tages". Jetzt zieht sie sich aus
       der Spitze ihrer Partei zurück. Sie will ihre Diplomarbeit schreiben. Es
       sei völlig normal, dass eine 24-Jährige ihr Diplom schreiben möchte, sagt
       Weisband.
       
       Wie normal dürfen Politiker sein? Wie ungeschliffen? In einem Interview mit
       dem Spiegel sprach Marina Weisband kürzlich über ihre Vision,
       Kabinettssitzungen live im Internet zu übertragen. Politiker würden, sagt
       Weisband, auf diesem Wege "als Menschen erkennbar, die auch nicht alles
       wissen, die Fehler machen und schreien, die sich manchmal sogar
       beleidigen".
       
       So falsch es sein mag, jede Vertraulichkeit im politischen Betrieb gegen
       absolute Transparenz eintauschen zu wollen, so richtig ist das Anliegen,
       die professionelle Politik menschlicher zu machen. Vorsicht! Menschlicher
       nicht im Sinne des aktuellen Bundespräsidenten, der das Menschsein nur dann
       für sich reklamiert, wenn es um die Begründung seiner Fehler geht.
       
       "Ich knuddel mal virtuell alle Piraten", twitterte Marina Weisband neulich.
       Der Spiegel fragte: "Bereichern Sie mit solchen Banalitäten den politischen
       Diskurs?" Die Gegenfrage lautet: Bereichern Politiker den Diskurs, wenn sie
       sich dauerhaft gegen unbedachte Äußerungen entscheiden, weil sie all die
       Hauptstadtjournalisten im Kopf haben, die nur auf unbedachte Äußerungen
       warten?
       
       Felix Dachsel
       
       ***
       
       Contra 
       
       Es war im Juli 2007, die Linkspartei tat so, als würde sie nach neuen
       Parteivorsitzenden suchen. Eigentlich standen die aber schon fest: Lothar
       Bisky und Oskar Lafontaine, wobei Letzterer mit Gregor Gysi auch noch die
       Fraktionsspitze anführte. Progressiv zu sein, war der Wunsch, patriarchale
       Häuptlingsherrschaft die Realität.
       
       In der Partei grummelte es deswegen, in den Medien auch, und es hätte ihr
       Moment werden können: Katja Kipping, damals 29 Jahre alt, Parteivizechefin
       und Führungsfigur der libertären Strömung in der Partei. Und sie nannte das
       Ganze pflichtschuldig einen "politischen Fehler", sonderlich
       fortschrittlich sei das alles auch nicht. Um dann zu sagen, sie sei im
       Übrigen zu jung für den Job und gehe lieber tanzen. Parteichefin könne sie
       auch später noch werden, nach einem erfüllten Leben.
       
       Sympathisch war das, unverbildet, ehrlich; wenn man Kipping mal getroffen
       hat, wünscht man ihr das Beste. Marina Weisband, die lieber ihr Diplom
       machen will, alles Gute auch ihr. Doch wer sich die Linke heute anguckt,
       sieht einen Schrottplatz, wo anbiedernde Briefchen an Diktatoren ebenso vor
       sich hin rotten wie größere Häufchen Mauerliebe.
       
       Diese Klitsche wird von zwei überforderten Chefs geführt, während eine
       kleine Clique von Paten mafiöse Postendeals durchzieht und unliebsame
       Mitbewerber rüde beseiteschiebt. Vielleicht hätte Kipping das nicht ändern
       können, aber das Kämpfen hätte sich gelohnt.
       
       Nur ist das Kämpfen in der Politik eben anstrengend. Macht ist ein hartes
       Gut, das ist in Diktaturen deutlicher zu spüren, wenn sie sich auf wenige
       konzentriert - in Demokratien reiben sich ganze Parlamente an ihr auf.
       Vielen Politikern, Männern meistens, sieht man das an - ihre Bäuche, die
       ungesunde Gesichtsfarbe, eine Aura des Verbrauchten haftet ihnen an. Medien
       belegen sie gern mit Begriffen wie "Apparatschiks", die diesen Abrieb
       verächtlich machen.
       
       Noch ärger wird es, wenn diese Menschen mit 16 schon bei der Jungen Union
       waren. Vielleicht haben sie einfach nur begriffen, dass, wer wirklich etwas
       erreichen will, das mit gutem Willen und allein nicht schafft. Das
       Gegenmodell sind die Kippings und Weisbands, die Piraten derzeit generell -
       sie stehen für die Sehnsucht, nichts opfern zu müssen im Kampf um
       Interessen, ja sich selbst noch in der Politik aus der Politik heraushalten
       zu können. Es hat nicht funktioniert.
       
       Daniel Schulz
       
       26 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) F. Dachsel
 (DIR) D. Schulz
       
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