# taz.de -- Christel Brandt über Puder und Pasten: "Die Zeit der dicken Schminke ist vorbei"
       
       > In Christel Brandts Laden für Theaterschminke kauften Hildegard Knef und
       > Ida Ehre ein. Nur Gustav Gründgens wollte nicht kommen - weil sie ins
       > falsche Theater ging.
       
 (IMG) Bild: Schminkt sich selbst nur wenig: Christel Brandt in ihrem Hamburger Theaterschminke-Laden.
       
       taz: Frau Brandt, sind Sie jeden Morgen geschminkt? 
       
       Christel Brandt: Ganz wenig. Ich mache nur etwas, wenn ich Stellen auf der
       Haut habe und ein bisschen etwas an den Augen. Wenn man für die Haut etwas
       mit Fett nimmt, freut sich die natürlich, aber dann sieht man alle Linien
       doppelt. Künstliche Fingernägel sind eine Liebe von mir, aber die Klebe
       ruiniert auf Dauer den echten Nagel. Die Zeit der dicken Schminke ist auch
       vorbei.
       
       Verkaufen Sie heute andere Produkte als vor 60 Jahren ? 
       
       Ich habe wahnsinnig viele Produkte, 40 Stück, und da wollen wir jetzt
       einige von streichen. Meine Freundin und ich haben hier schon gesessen und
       überlegt, ob wir sie im Katalog einfach durchstreichen oder wegschneiden.
       Es gibt Sachen, die früher anders waren: Gesichtswasser zum Beispiel, da
       gab es früher fünf, sechs verschiedene mit viel und wenig Alkohol, das gibt
       es heute gar nicht mehr.
       
       Würden Sie sagen, dass die Leute auf der Straße heute weniger
       zurechtgemacht sind? 
       
       Ja, das ist schon so.
       
       Finden Sie das schade? 
       
       Die Produkte haben sich ja auch geändert, die sind transparenter geworden.
       Bevor man etwas Verkehrtes erwischt, nimmt man ohnehin besser gar nichts.
       
       Haben Sie sich schon früh für Kosmetik interessiert? 
       
       Eigentlich wollte ich etwas Künstlerisches studieren, damals gab es ja noch
       die Kunsthochschule Lerchenfeld, aber als ich mein Abitur hatte, schlossen
       sie. Da hat mein Vater mir die Pharmazie nahegelegt.
       
       War das noch im Krieg? 
       
       Kurz danach. Die Zeit war noch schlechter als im Krieg, es gab nichts zu
       essen und Hamburg war in Trümmern. Ich habe damals in St. Georg im
       Krankenhaus gearbeitet. Die Engländer hatten kanisterweise Phosphor von
       oben gekippt und dann ist Hamburg abgebrannt. Die Menschen wussten gar
       nicht, was sie machen sollten, sie kriegten den Phosphor nicht von der Haut
       ab. Die Schwestern im Kinderkrankenhaus haben dann Kamillentee gekocht,
       abkühlen lassen und die Kinder hineingetaucht - das hat geholfen.
       
       Waren Sie damals schon Pharmazeutin? 
       
       Ich habe keinen Abschluss machen können. Es gab damals im Schloss in
       Reinbek ein Labor mit 20 Arbeitsplätzen für Pharmazeuten und 200
       Bewerbungen. Und da hat sich mein Vater die Idee mit dem Laden ausgedacht.
       Gucken Sie hier die Schränke an, die hat mein Vater noch alle bestellt, das
       war vor fast 63 Jahren: Was müssen das für gute Tischler gewesen sein. Mein
       Vater sagte: "Du kannst das Fachmännische, du kannst mit Kunden umgehen,
       dann musst du das probieren."
       
       Er klingt wie ein sehr entschiedener Vater. 
       
       Ja, aber er hat ja Recht gehabt. Ich hatte auch Glück. Als ich nebenbei in
       der Rosenapotheke arbeitete, ließ mich der Chef, der war bezaubernd, immer
       an die Uni nach Eppendorf, wenn es interessante Vorlesungen gab. Ich habe
       dann Steine an der zerbombten Uni geklopft, weil ich dachte, dass ich dann
       einen Studienplatz bekomme. Aber das wurde nichts.
       
       Haben Sie die Wissenschaft später vermisst? 
       
       Ich war wissenschaftlich interessiert, ich bin ja heute noch dabei. Ich
       habe 40 eigene Produkte entwickelt, drüben habe ich ein herrliches Labor
       für die ganzen Gefäße und Chemikalien. Mein erster Laden war an der Ecke
       Rothenbaumchaussee / Hallerstraße. Da waren gegenüber die Tennisturniere
       und die ganze Prominenz hat bei mir eingekauft. Die kennen Sie alle
       natürlich nicht mehr - wobei Ilse Werner, Hildegard Knef und Ida Ehre
       vielleicht schon. Oder Gründgens.
       
       Wenn man an Gustav Gründgens als Faust denkt, wurde damals deutlich
       dramatischer geschminkt als heute. 
       
       Gründgens wollte nicht bei mir hereinkommen. Der hat zu der Maskenbildnerin
       des Schauspielhauses gesagt: Nein, zu Christel Brandt gehe ich nicht
       hinein. Die ist ja Fan von den Kammerspielen. Da war er eifersüchtig. Ich
       habe ihn oft im Theater gesehen, er war schon sehr beeindruckend.
       
       War er für Sie der wichtigste Schauspieler? 
       
       Die waren früher alle wahnsinnig gut. Die Ausbildungen waren insgesamt viel
       gründlicher. Eine Maskenbilderin zum Beispiel musste damals sieben Jahre
       lernen, drei Jahre Friseur, drei Jahre Kosmetik.
       
       Wie sind Sie zur Theaterschminke gekommen? 
       
       Das war Zufall - denn man konnte ja eigentlich nicht wissen, dass es da
       einen Bedarf gab. Mein Mann war Berliner, vermutlich bin ich deshalb einmal
       zu Leichner gefahren. Das ist eine uralte deutsche Schminkefirma, 130 Jahre
       alt. Durch ihr Grundstück verlief damals die Zonengrenze und sie haben in
       einer Baracke die Theaterschminke hergestellt. Später sind die Senior- und
       die Juniorchefin der Firma innerhalb von drei Monaten gestorben. Damals
       rief mich der Rechtsanwalt an und sagte: "Ich mache weiter." Ich sagte:
       "Natürlich, das Kaufmännische machen Sie mit links, aber was ist mit der
       Chemie?" Und richtig, nach einem Jahr war Schluss. Aber vor ein paar Wochen
       habe ich einen Prospekt bekommen, dass ein neuer Käufer gefunden worden
       ist.
       
       War es 1949 ungewöhnlich, dass Sie als Frau Geschäftsführerin waren? 
       
       Das war durch den Krieg häufiger geworden. Es sind ja Tausende Männer
       gefallen oder verrückt geworden. Da hat man gar nicht mehr darüber
       nachgedacht.
       
       Waren Sie ein Familienbetrieb? 
       
       Nein, mein Mann war Journalist. In früheren Zeiten hatte ich bis zu sechs
       Angestellte, es war ja so viel zu tun. Heute ist hier Stille. Ich habe zu
       meiner Freundin gesagt: "Wann ist denn der 1., dass die Leute wieder Geld
       kriegen?"
       
       Ist Karneval eine gute Zeit für das Geschäft? 
       
       Nicht in Hamburg. Neulich war ein kleiner Junge hier, guckte mich an und
       sagte: "Das möchte ich Ihnen mal sagen, das ist egal, was wir feiern,
       Hauptsache wir feiern."
       
       Wie es scheint auch mit Kunstblut. Sie haben gleich zwei Sorten dort im
       Regal stehen. 
       
       Das war einfach nötig, für Krimis, für Theateraufführungen. Wahnsinnig viel
       gebraucht wurde es auch in der Sanitäterausbildung. Die schminken jemanden
       so, dass er schwer verletzt aussieht und dann muss der Auszubildende
       gucken, was für eine Verletzung es sein kann. Eine Firma hat einen Film
       gemacht über Verkehrsunfälle, dafür mussten sie literweise Blut auf die
       Straße gießen. Da habe ich angefangen, das monatelang zu testen.
       
       Ist es kompliziert in der Herstellung? 
       
       Es gibt in Deutschland ein Gesetz, nach dem man in Kosmetik nur
       Lebensmittelfarbe verwenden darf, also für Blut Himbeer und Erdbeer. Zum
       Schluss tue ich immer ein bisschen Schokobraun dazu. Die Konsistenz sollte
       etwas zähflüssig sein: Blut aus der Vene spritzt nicht, es sickert nur,
       deshalb habe ich gemahlene Seide dazu getan.
       
       Ihr Kunstblut scheint sich gut zu verkaufen. 
       
       Neulich wollte eine Firma sieben Liter. "Was machen Sie mit sieben
       Litern?", fragte ich. "Wir stehen auf der Bühne, tanzen, machen Musik und
       dann wird mit einem Zerstäuber Blut dazwischengespritzt." Geschmacklos ist
       das schon zum Teil.
       
       Was ist das für eine Metalldose dort drüben? 
       
       Darin rühren meine Freundin und ich abends Puder. In der Dose sind drei
       kleine Metallkugeln, die man kreisen lässt. Nach dem Krieg musste man ja
       vieles selber machen, da habe ich das alles gelernt.
       
       Haben Sie Stammkunden? 
       
       Wenn die Kunden aus Hamburg wegziehen, dann lassen sie sich die Kosmetik
       nachschicken. Es ist ja so, da muss man ehrlich sein: Wir sind zusammen alt
       geworden, natürlich sind da Lieblinge bei. Ich habe Düfte, die zum Teil
       fast 100 Jahre alt sind, zum Beispiel "Soir de Paris", das gibt es sonst
       nirgendwo.
       
       Kommen auch Männer zu Ihnen? 
       
       Ich habe schon ganz früh Augen-Gel hergestellt, weil das viel besser ist
       als schwere Cremes. Das ist das Lieblingsprodukt der Herren geworden. Es
       kommen viele Transvestiten zu mir, die fühlten sich anderswo oft falsch
       verstanden. Ich habe Wimpern noch und nöcher. Und diese Schminke hier
       empfehle ich gegen die Bartstoppeln, sie lässt sich gut streichen.
       
       29 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
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