# taz.de -- Kommentar Europas Flüchtlingspolitik: Mehr Fragen als Antworten
       
       > Europa ist an einem Neubeginn im Verhältnis zu Nordafrika interessiert.
       > Aber dafür braucht es eine verantwortungsbewusste Flüchtlingspolitk.
       
       Man muss schon ziemlich verzweifelt sein, um heutzutage nach Griechenland
       zu fliehen. Aber die Nachricht, dass im arabischen Revolutionsjahr 2011
       mehr Flüchtlinge auf dem Weg von Nordafrika nach Europa über das Mittelmeer
       ums Leben gekommen sind als je zuvor, sollte Anlass zu Empörung sein.
       
       Mindestens 1.500 Tote - das sind mehr als die Opfer staatlicher Repression
       während der Umstürze in Ägypten und Tunesien zusammen. Für die Toten der
       arabischen Revolutionen stehen in diesen Ländern ehemalige
       Verantwortungsträger vor Gericht. Für die Opfer der europäischen
       Flüchtlingspolitik muss niemand geradestehen.
       
       Europa ist natürlich sehr an einem Neubeginn im Verhältnis zu Nordafrika
       interessiert. Die europäischen Regierungen tragen ein unseliges Erbe -
       blutige Kolonialkriege und danach zynische Kumpanei mit einigen der
       brutalsten Diktatoren der Welt, alles im Namen des Schutzes der eigenen
       Interessen.
       
       Heute sind die Interessen Europas weniger strategischer denn ökonomischer
       Natur. Man wittert immense Wirtschaftschancen, vom Öl in Libyen bis zur
       Sonne in der Sahara. An Nordafrikas energetischen Ressourcen will sich
       Europa laben. Europa würde nebenbei den neuen Revolutionären gern noch
       erklären, wie Demokratie und Rechtsstaat funktionieren, denn das wissen
       Nordafrikaner ja bekanntlich nicht, trotz der Mühen europäischer
       Kolonisatoren und Waffenverkäufer.
       
       Aber zu einem Neubeginn gehört nicht nur eine Neudefinition der
       zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern auch ein menschenwürdiger Umgang
       mit den Menschen. Die EU sollte endlich Verantwortung übernehmen für die
       Opfer ihrer eigenen Politik.
       
       Wer identifiziert und birgt die Toten im Mittelmeer? Wer benachrichtigt und
       entschädigt in Afrika die Hinterbliebenen? Wer kümmert sich um bessere
       Lebensverhältnisse dort, wo Menschen in See stechen? Wer nimmt die
       Flüchtlinge auf, die ein halbes Jahr nach Ende des Libyenkrieges immer noch
       an den libyschen Landgrenzen in Wüstenlagern sitzen und für die es kein Vor
       und Zurück gibt? Wer stellt sicher, dass afrikanische Migranten in Europa
       arbeiten und Geld verdienen können? Wer setzt sich für legale
       Einreisemöglichkeiten ein, um den Schleppern das Handwerk zu legen?
       
       Europas Politik ist auf diese Fragen Antworten schuldig. Solange es für
       normale Menschen nur unter Lebensgefahr möglich ist, von Nordafrika nach
       Europa zu reisen, ist alles andere unglaubwürdig.
       
       1 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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