# taz.de -- Obdachlose in Bosnien: Warum es so wenige sind
       
       > Das Beste an dem Friedensabkommen von Dayton aus dem Jahre 1995 macht
       > sich erst im harten Winter eindrucksvoll bemerkbar. Obdachlosigkeit
       > scheint nicht vorhanden.
       
 (IMG) Bild: Sarajevos Straßen unter Schnee. Obdachlose sind nicht zu sehen.
       
       Auch in Bosnien türmen sich jetzt die Schneeberge, es schneit und schneit,
       viele Orte in den Bergen sind von der Außenwelt abgeschnitten, die
       Hauptstraßen nach Sarajevo sind gesperrt, in den Straßen der Stadt türmt
       sich der Schnee. Das Thermometer erreicht Tiefstwerte.
       
       Doch im Fernsehen kommen noch andere beunruhigende Nachrichten: vor allem
       aus der Ukraine, aus Russland, Polen und Bulgarien. "Da sterben ja Menschen
       auf den Straßen, guck mal", sagt Emir. Der Junge ist erst 14 und kennt die
       kalten Winter von früher nicht mehr, als Temperaturen unter 20 Grad
       keineswegs selten waren. Besonders bitter war das während des Krieges
       1992-95, als Sarajevo von serbischen Truppen belagert war und mit
       Artillerie beschossen wurde, als es keine Heizung gab, kein Wasser, kaum
       etwas zu essen. Und dann diese Kälte.
       
       Doch diese alten Geschichten interessieren den Jungen nicht. Dass Menschen
       obdachlos sind und erfrieren, ist für ihn neu und macht ihn fassungslos.
       "Das gibt es doch bei uns nicht. Ich habe noch niemanden gesehen, der
       draußen lebt."
       
       Bosnien und Herzegowina ist doch eines der ärmsten Länder Europas und hier
       gibt es keine Obdachlosen? Der belgische Journalist Philippe ist ebenfalls
       überrascht. "Bei uns in Brüssel haben die Behörden am Donnerstag 6.000
       Betten für Obdachlose zur Verfügung gestellt." Auch er hat in all den
       Jahren, die er hier in Sarajevo lebt, keine Obdachlosen gesehen.
       
       ## Eine kulturelle Frage - oder eine Frage der Statistik?
       
       Woran das liegt? "Das ist eine Frage der Kultur", sagt der 83-jährige
       Verleger Mustafa. "Bei uns kümmern sich die Familien, auch die Nachbarn,
       und wenn jemand tatsächlich so weit unten ist, gibt es immer jemanden, der
       wenigstens im Keller oder im Stall einen Platz zum Schlafen anbietet. Das
       ist unsere Tradition." 2008 waren in Sarajevo 18 Obdachlose bekannt. Zlata
       ist Sozialarbeiterin. "Dass es so wenige sind, liegt daran, dass es keine
       Institution gibt, die sich um solche Leute kümmert, und keine Statistik."
       
       Aber die Obdachlosen müssten doch zu sehen sein? "Das Beste an dem
       Friedensabkommen von Dayton 1995 ist, dass alle im Krieg vertriebenen
       Bewohner ihr Eigentum zurückerhalten haben und die einst volkseigenen
       Wohnungen 1999 an die Bewohner als Privatbesitz übergegangen sind." Niemand
       könne von Hausbesitzern aus den Wohnungen geworfen werden, weil alle
       Wohnungseigentümer sind.
       
       5 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erich Rathfelder
       
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