# taz.de -- Volksverhetzung in Brandenburg: Das Schweigen im Walde
       
       > Fünf Personen müssen sich vor dem Amtsgericht Prenzlau wegen
       > Volksverhetzung verantworten. Es geht um eine Zirkusfamilie, um Wut und
       > Hass auf das Fremde.
       
 (IMG) Bild: "Wir fackeln euch ab, euer Zelt und euren Wagen!", hätte der Dorfmob geschrien.
       
       PRENZLAU taz | In der Uckermark, ganz im Nordosten von Brandenburg und nahe
       der polnischen Grenze verliert sich das Zeitgefühl. Die Orte werden kleiner
       und die Wälder dichter. Gletscher formten hier eine Endmoränenlandschaft.
       Fürchterlich schön und einsam. In dieser ostdeutschen Einöde verbindet die
       Landstraße L23 Templin mit der A11. Etwa auf der Hälfte dieser Strecke
       durchquert die L23 auch den Ort Milmersdorf.
       
       Vor anderthalb Jahren braute sich hier etwas Ungutes zusammen, so archaisch
       wie die Endmoränen. Eine Tat, die "geeignet" war, "den öffentlichen Frieden
       zu stören", wie die zuständige Staatsanwaltschaft Neuruppin in der
       Anklageschrift schreibt. Ein Dorfmob soll "Teile der Bevölkerung zum Hass"
       angestachelt haben. Zielscheibe der Wut war die Zirkusfamilie H.
       
       Es passiert am frühen Nachmittag des 24. September 2010. Was genau, darüber
       existieren zwei Erzählungen. Das Resultat jedoch lässt sich nicht mit
       Erinnerungslücken leugnen. Noch in der Nacht wird die Zirkusfamilie H.
       Milmersdorf unter Polizeischutz und völlig verängstigt verlassen. Die
       Scheiben ihrer Fahrzeuge sind zersplittert, Beulen an zwei Campingwohnwagen
       und dem LKW verursachen einen Sachschaden von 8 000 Euro. Zu einer
       Zirkusvorstellung ist es in Milmersdorf nicht gekommen.
       
       Zwei Tage dauerte der Prozess vor dem Amtsgericht Prenzlau, der Dienstag zu
       Ende ging. 14 Zeuginnen und Zeugen wurden gehört. Die Anklage lautete auf
       Volksverhetzung, versuchte Nötigung und Sachbeschädigung. Sie richtete sich
       gegen drei Männer im Alter von 18, 21 und 31 Jahren sowie eine 18- und eine
       26-jährige Frau. Ursprünglich hatte die Polizei gegen rund 10 Personen
       ermittelt.
       
       ## Zwei große Straßen
       
       Milmersdorf ist ein Ort, in dem rund 1800 Menschen leben. Ein Dorf mit zwei
       Hauptstraßen, die eine heißt Dorf- und die andere Betonstraße. In den
       1960er Jahren wurden für die Arbeiter des nahen Betonwerks Plattenbauten
       errichtet. Drei Riegel dieser Wohneinheiten stehen direkt an der
       Betonstraße. Hier wohnen "die Asis", sagen manche Milmersdorfer.
       
       An die Straße grenzt auch ein Sportplatz und eine Rasenfläche. Auf dieser
       bauen die Kinder der Zirkusfamilie H. am 24. September 2010 ihr Lager auf.
       Die älteste Tochter Justine H., 18 Jahre alt, stellt mit ihren beiden
       Brüdern,12 und 14 Jahre alt, das Zelt auf, so wie sie es schon oft getan
       haben. Die Eltern sind mit dem Auto nach Berlin gefahren. Die beiden
       jüngeren Schwestern, 7 und 11 Jahre alt, kümmern sich um die Pferde, die in
       einem Gatter stehen. Auch zwei Hunde gehören zum Zirkus. Sie spielen später
       eine besondere Rolle im Prozess, ebenso wie die kollektiven
       Erinnerungslücken und die Schuld eines nicht strafmündigen Kindes.
       
       ## "Asoziales Zigeunerpack"
       
       So klein wie Milmersdorf, so eng sind auch die Beziehungen der Angeklagten
       und Zeugen. Manuel B. etwa ist liiert mit der Schwester des Mitangeklagten
       Kay M., der seine Aussage verweigert. Weiter angeklagt sind die Geschwister
       Nicole W. und Alexander W., der wiederum mit Manuel B. zur Tatzeit im
       gleichen Haus wohnt. Angeklagt ist auch Friedericke P.
       
       Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kommt es zwischen ihr und
       Justine H. zum Konflikt. Justine H. soll Friedericke P. aufgefordert haben,
       mit ihren Kindern Abstand von den Pferden zu halten, da diese austreten
       könnten. Es sei dann zum Streit gekommen. Daraufhin hätte P. gerufen:
       "Halten sie Ihr fettes Maul... Ihr seid doch ein asoziales Zigeunerpack.
       Heute Abend brennen wir eure Zelte und Wagen ab."
       
       Es sei "zu weiteren massiven, einzelnen Personen nicht eindeutig
       zuordenbaren verbalen Attacken" gekommen, heißt es in der Anklage. "Es
       fielen dabei Äußerungen wie ,asoziales dreckiges Zigeunerpack', ,verdammtes
       Zigeunerpack', ,asoziales Pack', ,Wir stechen Eure Tiere ab!'". Das alles
       dauert Stunden und spielt sich etwa zwischen 14.30 Uhr und 19 Uhr ab. Dann
       trifft die Polizei ein, die eine aufgebrachte Menge vorfindet.
       
       ## Nur "forscher" geworden
       
       Beim ersten Prozesstag, am 19. Januar 2012, bestreitet Friedericke P. die
       Drohungen und Beleidigungen. Sie sei "forscher" geworden, mehr nicht. Auch
       die Angeklagte Nicole W. weist die Schuld von sich. Der Streit habe sich
       entwickelt, weil die Kinder des Zirkus eine Autobatterie an das
       Pferdegatter anschließen wollten. Dort jedoch spielten auch die Kinder von
       Friedericke P. Wegen des sich entfachenden Streits hätten die Zirkuskinder
       dann ihre Hunde von der Leine gelassen. Schmähungen wie "Zigeunerpack" habe
       Nicole W. ihrer Erinnerung nach weder ausgesprochen noch vernommen. Und
       Steine habe ausschließlich Paul R. geworfen.
       
       Ob sich die Angeklagte erklären könne, wieso die Zirkusfamilie H. dann noch
       in der Nacht Milmersdorf verlassen habe, will die Staatsanwaltschaft
       wissen. "Nein", sagt W. "Nach Ihren Schilderungen kann ich mir das auch
       nicht erklären", erwidert die Staatsanwältin.
       
       Die Zeugin Silke W., die Mutter von Nicole und Alexander W., meint das Wort
       "Scheißpack" gehört zu haben. Auch sie selbst, 43 Jahre alt, habe zu
       Justine H., 18 Jahre alt, gesagt: "Komm doch auf 1,10 Meter ran, dann
       klären wir das". - "Mehr war nicht gewesen."
       
       Der älteste Angeklagte, der 31-jährige Manuel B., beteuert bei seiner
       Aussage, er habe keine Steine auf den Zirkus geworfen. Ihn aber hätten die
       frei laufenden Hunde gestört. "Da habe ich gesagt, sie möchten die Hunde
       bitte wieder einsperren. Denn im Land Brandenburg besteht Leinenzwang. Beim
       dritten Mal ist mir der Kragen geplatzt."
       
       ## Koketter Auftritt vor Gericht
       
       Dass er die Hunde sonst "abstechen" werde, habe er nicht gesagt, er selbst
       sei Hundebesitzer gewesen und auch nach 16jähriger ehrenamtlicher Tätigkeit
       bei der Freiwilligen Feuerwehr würde er "nie etwas anstecken". Insofern
       hätte er auch nicht gerufen, er werde das Zirkuszelt abfackeln.
       
       Richter Hans-Joachim Esche will wissen, ob der Zirkus "grundlos abgebaut"
       worden sei. - Schweigen. "Aus Angst?" - Sekundenlanges Schweigen.
       Schließlich: "Dit hätte nicht so weit kommen müssen. Wenn man sich einen
       Platz mietet, hätte er eingezäunt sein müssen. War er aber nicht." Steine
       geworfen hätte seiner Erinnerung nach nur Paul R. In Bezug auf Paul R.
       besteht bei allen Angeklagten Klarheit, wenn sie auch sonst angesichts der
       verstrichenen Zeit Mühe haben, die Vergangenheit im Gerichtssaal zu
       vergegenwärtigen.
       
       Der geladene Zeuge Paul R. gibt dann auch zu, er habe Steine geschmissen.
       Ebenso wie "andere Kleinkinder", sagt er. Zur Tatzeit war Paul R. 13 Jahre
       alt und damit nicht strafmündig. Vor Gericht tritt er kokett auf. Das Wort
       "Zigeunerpack" hätte er gehört - jedoch nicht von Milmersdorfern, sondern
       von den Besitzern des Zirkus selbst. Er widerruft seine erste
       Zeugenaussage, die er der Polizei vor rund 15 Monaten gab. Es gelte, was er
       heute "aufgesagt" habe. An dieser Stelle ist der Richter sichtlich genervt.
       "Was stimmt denn überhaupt, was du heute gesagt hast?", fragt er und die
       Staatsanwältin meint: "Ich glaube dir kein Wort".
       
       Zeugin Madleen O., 31 Jahre, erinnert ein "Spektakel", wie sie sich
       ausdrückt. "Es flogen Steine." Aus Sicherheitsgründen versetzte sie sogar
       ihren Wagen. "Weiter kann ich mich nicht erinnern." Ob sie damals eine
       Falschaussage gemacht habe, aufgrund derer nun die Angeklagten hier sitzen,
       will der Richter wissen. "Es stimmt, was ich damals gesagt habe." Die
       Zeugin ist sehr aufgeregt. "Haben Sie damals wahrheitsgemäß ausgesagt?" -
       "Ja, aber heute kann ich es nicht mehr sagen." Die Staatsanwältin: "Es
       besteht der Eindruck, dass Sie etwas zurückhalten." Die Zeugin sagt zum
       Schluss: "Man hat selber mit seinem Leben zu tun."
       
       ## Nicht korrekt identifiziert
       
       Justine H. sagt, sie und ihre Geschwister hätten sich gefürchtet. Etwa 15
       Dorfbewohner hätten sich um sie versammelt, hätten gerufen: "Wir fackeln
       euch ab, euer Zelt und euren Wagen." Sie hätten das Geschehen auch mit
       Handys gefilmt. Aus "dem Haufen" heraus seien die Steine geworfen worden.
       Ihre Geschwister, sagt Justine H., hätten wochenlang Angst gehabt, alleine
       in der Wohnung zu bleiben. Die Angeklagten nennt sie "Herrschaften" und
       "Damen" und "Herren". Sie will förmlich klingen. Doch bei ihrer Aussage
       kann sie Friedericke P. nicht korrekt identifizieren und verwechselt sie
       mit Nicole W. Auch die mutmaßlichen Taten des 31-jährigen Manuel B. ordnet
       sie einem zu jungen Täter, einem "etwa 17-jährigen Jungen" zu.
       
       Als Justine H. im Anschluss an ihre Aussage an das Richterpult tritt, um
       ein Formular für die Fahrtkosten entgegenzunehmen, lachen die Angeklagten.
       Sie tuscheln und linsen hämisch und nach Bestätigung heischend ins
       Publikum. Justine H. ist korpulent, sie trägt einen sehr kurzen und sehr
       engen Rock, darunter Leggings und hohe Stiefel. Ihre Kleidung ist
       unvorteilhaft.
       
       Diejenigen, die sich in diesem Prozess auf den Leinenzwang im Lande
       Brandenburg berufen, sind fast alle ohne Berufsausbildung und alle beziehen
       Hartz IV. Doch die Angeklagten meinen in der Familie H. ein Gegenüber
       gefunden zu haben, das im sozialen Status vermeintlich unter ihnen steht.
       Das drückt sich deutlich in ihrer Geringschätzung der Familie H. vor
       Gericht aus.
       
       Dienstag fällte der vorsitzende Richter Hans-Joachim Esche mit seinen
       beiden Schöffen das Urteil. Er folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft.
       Die zwei erwachsenen Angeklagten erhielten Bewährungsstrafen von sechs bzw.
       vier Monaten - ausgesetzt auf Bewährung.
       
       7 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai Schlieter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Protest gegen Rassismus: Rathaus in Dessau besetzt
       
       Weil sie den Alltagsrassismus satt haben, besetzten Aktivisten in Dessau
       das Rathaus. Sie fordern mehr Distanzierung der Stadt von rassistischen
       Demos.
       
 (DIR) Rechte Umtriebe im Netz: Polizei will sensibler sein
       
       Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers räumt Fehler im Umgang mit
       BerlinerInnen ein, die auf einer rechtsextremen Website bedroht wurden
       
 (DIR) Aussteigerinitiativen für Rechtsextreme: Notausgang für Neonazis
       
       Private und staatliche Einrichtungen fördern den Ausstieg aus der rechten
       Szene. Laut einem Insider gibt es eine Rückfallquote wie bei
       Drogensüchtigen.