# taz.de -- Obdachlose in Berlin: Warten auf die Wärme
       
       > Für viele Obdachlose sind die extremen Temperaturen lebensbedrohlich. In
       > Notübernachtungen bekommen sie mehr als einen Schlafplatz.
       
 (IMG) Bild: Bei den derzeitigen Temperaturen droht Obdachlosen der Kältetod.
       
       Rainer sitzt auf dem Bahnsteig des S-Bahnhofs Neukölln und friert. Es ist
       20 Uhr und 16 Grad unter Null, da helfen auch der dicke Schal und die
       Handschuhe nicht mehr viel. Rainer hat keine Wohnung, gerade ist er auf dem
       Weg in eine Notübernachtung. "Eigentlich will ich meine Ruhe, aber bei der
       Kälte hab ich doch keine andere Wahl" sagt er.
       
       Drei Stationen weiter: In Friedrichshain wirken die Straßen wie
       ausgestorben, bei dieser Kälte geht keiner freiwillig aus dem Haus. In der
       Notübernachtung Weserstraße hingegen herrscht reger Betrieb. Die
       Einrichtung wird vom motz-Verein getragen, hier holen sich auch die
       Straßenverkäufer ihre Zeitungen ab - und wer schon mal da ist, trinkt gern
       noch einen Tee mit den Bewohnern.
       
       ## Ein Teller Suppe
       
       Stefan ist einer von denen, die sich in der gemütlichen Küche bei einem
       Teller Suppe aufwärmen, bevor es wieder raus auf Verkaufstour geht. Die
       extremen Temperaturen machen dem schmächtigen Mann zu schaffen, allerdings
       sorgen sie auch für einen besseren Umsatz: "Da kauft schon mal wer aus
       Mitleid."
       
       Neben Stefan sitzt Lutz und erzählt seine Geschichte: Vor acht Jahren
       wollte er mit seiner Freundin zusammenziehen. Das klappte nicht, und
       plötzlich stand der 48-Jährige ohne Wohnung da. Zunächst kam er bei
       Freunden unter, schließlich landete er auf der Straße. Seit 2006 wohnt er
       nun in der Weserstraße, mittlerweile ist er stellvertretender Leiter der
       Einrichtung. "Die Weserstraße ist eine Einrichtung von Wohnungslosen für
       Wohnungslose", erklärt Lutz. Wer hier wohnt, packt also mit an: vom
       Toilettenputzen bis zur Hilfe beim Stellen von Anträgen, die Bewohner
       regeln alles selbst.
       
       Thomas gefällt das. Der große, etwas schüchterne Mann in Jeansjacke gehört
       seit November zu den 16 Bewohnern und ist froh, dass er in der Weserstraße
       gelandet ist. "Die großen Häuser wären nix für mich, da werden die Leute ja
       gestapelt, und morgens um acht müssen alle raus." Die Weserstraße hat
       nämlich im Gegensatz zu anderen Einrichtungen auch tagsüber geöffnet. Das
       sei wichtig, sagt Lutz, denn so würden die Bewohner Zeit und Ruhe haben,
       "zur Besinnung zu kommen und ihre Sachen zu ordnen". Ein geregelter
       Tagesablauf mit gemeinsamen Mahlzeiten, Aufgaben und Austauschmöglichkeiten
       sei eine wichtige Hilfe auf dem Weg in ein "normales Alltagsleben". Lutz
       weiß von zehn Menschen, die in den letzten Jahren durch den Aufenthalt in
       der Weserstraße den Weg aus der Wohnungslosigkeit geschafft haben - die
       Einrichtung biete eben mehr als nur einen Schutz vor der Kälte. Es sei aber
       auch wichtig, dass andere Einrichtungen in Berlin sich gerade um diese
       Jahreszeit vor allem auf schnelle und kurzfristige Hilfsangebote
       konzentrieren. "Die verschiedenen Ansätze ergänzen sich gut", findet Lutz.
       
       34 Notunterkünfte und Nachtcafés gibt es in Berlin, zurzeit haben auch
       einige andere Einrichtungen wie die Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg ihre
       Türen geöffnet, um den großen Bedarf decken zu können. Eine der
       Einrichtungen, die schnelle, niedrigschwellige Hilfe anbieten, ist die
       Notunterkunft der Berliner Stadtmission in der Kreuzberger
       Johanniterstraße: "Wir nehmen jeden auf und kriegen hier auch die Fälle,
       die woanders abgewiesen werden", sagt Mitarbeiterin Isabel. Die
       Johanniterstraße hat tagsüber geschlossen und öffnet erst um 21 Uhr, dann
       warten oft schon rund 30 Menschen vor der Tür. Wer früh kommt, kann sich
       einen guten Schlafplatz sichern, und dieser Tage ist es voll in der
       Unterkunft, sehr voll. Eigentlich ist die Einrichtung für 35 Menschen
       gedacht, wegen der klirrenden Kälte der vergangenen Tage wurde nun ein
       weiterer Raum im Gebäude zum Schlafsaal umfunktioniert und die Zahl der
       Plätze auf 60 erhöht.
       
       Die Situation in Berlin sei im Moment kritisch, sagt der Sprecher der
       Kältehilfe, Johannfried Seitz-Reimann: Insgesamt fehlten bis zu 100
       Schlafplätze. Abgewiesen werde trotzdem niemand, eher rückt man enger
       zusammen - so auch im Schlafraum der Johanniterstraße. Einigen ist das zu
       viel Gedränge, sie schlafen lieber zwischen den Bierbänken im
       Aufenthaltsbereich auf dem Boden.
       
       Hanna und Jasper helfen bei der Essensausgabe. Die beiden Studenten haben
       hier ein "Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung" und arbeiten etwa einmal pro
       Woche hier. Das könne schon anstrengend sein, aber es sei auch
       interessanter, als bei Aldi an der Kasse zu sitzen, sagt Jasper. Er lerne
       hier viel über seine eigenen Grenzen und Fähigkeiten im Umgang mit
       Menschen.
       
       Während draußen die Kälte tief in den Körper kriecht, ist es im
       Aufenthaltsraum warm und entspannt. Ein paar Besucher spielen Karten, Witze
       werden gerissen, häufig auf Polnisch. Die Mitarbeiter lachen mit, auch wenn
       sie nicht viel verstehen. "Ich glaube, wir sind gerade die Einzigen, die
       hier nüchtern sind", sagt Isabel. Alkohol und Drogen müssen zwar an der Tür
       abgegeben werden, aber die meisten kommen hier schon mit einem ordentlichen
       Pegel an. Das kann auch zu brenzligen Situationen führen, weil die
       Frustrationsgrenze vieler Besucher ziemlich niedrig ist. Die Mitarbeiter
       haben ein Deeskalationstraining gemacht, um in solchen Fällen besser
       reagieren zu können. Oft beruhigten sich die Gäste aber auch gegenseitig
       und regelten den Streit untereinander, berichtet Andreas, der seit vielen
       Jahren für die Stadtmission arbeitet. Wenn es doch mal nicht anders geht,
       wird ein Streithahn in eine andere Einrichtung verlegt - raus in die Kälte
       schicken die Mitarbeiter niemanden.
       
       ## Noch ist niemand erfroren
       
       In diesem Winter ist trotz der extremen Minusgrade noch kein Wohnungsloser
       erfroren. In den vergangenen Jahren kam es allerdings auch in Berlin zu
       einzelnen Todesfällen. Solange die Kälte Berlin im Griff hat, werden die
       Hilfseinrichtungen weiter auf Hochtouren arbeiten, um den Bedarf an
       Schlafplätzen im Warmen zu decken.
       
       7 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malene Gürgen
       
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