# taz.de -- Kommentar Trauerfeier: Ehrliche Gesten des Verzeihens
       
       > Angela Merkel hat den richtigen Ton getroffen. Das ist zu wenig. Die
       > Antworten auf die Fragen, wie es zu den Morden kommen konnte, sind wir
       > den Opfern schuldig.
       
       Bei staatlichen Trauerfeiern geht es gravitätisch und erhaben zu. Nichts
       Zufälliges soll geschehen, alle Heftigkeiten und Verzweiflungen sind
       eingepegelt. Die Trauerfeier für die zehn Opfer des Neonazitrios hatte eine
       andere Temperatur. Nicht weil Angela Merkel eine angemessene Rede hielt,
       die fast vergessen ließ, dass auch sie eine Weile Anti-Multikulti-Parolen
       schwang. Nicht weil diese Trauerfeier ein überfälliges Symbol ist, das
       zeigt, dass auch Konservative nicht mehr über "Beileidstourismus" höhnen
       wie Kohl 1993 nach den Morden in Solingen.
       
       Diese Trauerfeier war anders, weil Ismail Yozgat, Vater eines Opfers, das
       Wort ergriff. Auf Türkisch. Was er sagte, war nicht spektakulär. Es war
       kein politisches Manifest, schon gar keine Wutrede, sondern vor allem eine
       Dankadresse. Ein paar Sätze, eine Mischung aus Selbstbehauptungswillen und
       jener an Demut grenzenden Bescheidenheit, die typisch für die erste
       Einwanderergeneration ist.
       
       Menschen wie Ismail Yozgat sind in unserer Gesellschaft unsichtbar. Sie
       reden nicht bei Empfängen, sie sitzen nicht in Talkshows. Sie tauchen in
       Medien, wenn überhaupt, als Integrationsverweigerer auf, die zu faul sind,
       Deutsch zu lernen, als böse Familienpatriarchen, als Sozialschmarotzer oder
       bestenfalls als Gemüsehändler in der Vorabendserie. Berührend war dieser
       Auftritt, weil jemand aus dieser unsichtbaren Einwanderergeneration auf
       großer Staatsbühne in Erscheinung trat.
       
       Und weil er etwas Einfaches, aber Wichtiges sagte. Als 2006 sein Sohn
       ermordet wurde, glaubten Ismail Yozgat und viele Migranten, dass die Täter
       Rassismus antrieb. Neun Morde an Einwanderern, alle mit der gleichen Waffe
       verübt. Doch die Behörden suchten die Täter im Familienkreis, bei der PKK,
       bei Drogendealern, sie suchten die Schuld für die Morde bei den Opfern
       selbst. Ismail Yozgat hat gestern gesagt: "Unser Vertrauen in die deutsche
       Justiz ist groß." Das ist kein selbstverständlicher Satz. Es ist eine
       souveräne, unverstellte Geste des Verzeihens.
       
       Angela Merkel hat das doppelte Leid der Angehörigen der Toten ins Zentrum
       gerückt. Sie hat den richtigen Ton getroffen: zurückgenommen, aber nicht
       unpersönlich oder bloß formal. Die Kanzlerin hat einen rhetorischen Bogen
       gespannt, der einer Pastorentochter entspricht: vom Finsteren zum Licht,
       von den quälenden Verdächtigungen der Opfer hin zu einer besseren
       Gesellschaft, mit mehr Gemeinsinn und Empfindsamkeit für Rassismus.
       
       Nichts daran ist falsch. Aber es ist zu wenig. Denn diese Mordserie
       offenbart, viel mehr als Mölln oder Solingen, staatliches Versagen. Es ist
       ein Desaster der Polizei und vor allem des Verfassungsschutzes, der die
       Ermittlungen eher behindert als beflügelt hat. Bessere Koordination der
       Behörden zu versprechen, wie Merkel, ist zu wenig. Warum suchten die
       Ermittler überall, aber nicht im Neonazimilieu? Warum konnte das
       Neonazitrio abtauchen? Die Antworten stehen aus. Wir sind sie den Opfern
       schuldig.
       
       23 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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