# taz.de -- Deister-Leine-Zeitung macht dicht: Barsinghausen, ultimo
       
       > Die Redaktion der „Deister-Leine-Zeitung“ hat nichts vom Möchtegernglanz
       > überregionaler Zeitungen. Es geht professionell zu – auch am letzten Tag.
       
 (IMG) Bild: Bald nur noch Erinnerung: Das Redaktionshaus der „Deister-Leine-Zeitung.“
       
       BARSINGHAUSEN taz | „Wenn die Lokalzeitung stirbt, geht auch ein Stück
       lokale Identität flöten“, wird Wolf Kasse irgendwann sagen. Was das
       bedeutet, kann man gleich bei der Ankunft in Barsinghausen nachvollziehen.
       Die 37.000-Einwohner-Gemeinde ist ungefähr genauso weit von Hannover
       entfernt wie die Christian-Wulff-Stadt Großburgwedel, nur in
       entgegengesetzter Himmelsrichtung, westlich.
       
       An diesem Dienstag stehen Touristen in Barsinghausen vor einem Problem,
       weil die Stadt zwar durchaus ansehenswert ist und die Tourist-Information
       auch gleich gegenüber vom Bahnhof liegt. Aber sie schließt um 13 Uhr. Warum
       das so ist, und dass sie nach dem Willen der örtlichen CDU demnächst im
       ehemaligen Bahnhofsgebäude wieder aufmachen soll, das der
       Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) übernommen hat, steht am gleichen Tag in der
       Deister-Leine-Zeitung (DLZ), dem Heimatblatt für Barsinghausen und die
       Dörfer drumherum, das seit 1885 erscheint.
       
       Erschienen ist. Wie die Geschichte um die Tourist-Information und den ASB
       weitergeht, wird die DLZ nicht mehr berichten. Denn die Redaktion arbeitet
       an ihrer letzten Ausgabe. Am heutigen 1. März wird es zum ersten Mal seit
       über 125 Jahren keine Deister-Leine-Zeitung geben. Der Verlag Niemeyer aus
       Hameln, dem das Blatt seit 1999 gehört, eröffnete der völlig überrumpelten
       Redaktion Ende Januar, dass er die DLZ einstellen wird.
       
       ## Drohanrufe von Neonazis
       
       Wolf Kasse, seit 32 Jahren dabei und zwischenzeitlich Redaktionsleiter,
       kann das noch gar nicht begreifen. Eben hat er noch die DLZ-Hotline
       besetzt, bei der die LeserInnen jeden Tag von elf bis zwölf Uhr direkt mit
       der Redaktion sprechen können, jetzt muss er zum Termin, zu seinem letzten.
       Vorher ist noch ein bisschen Zeit, über das Problem mit den Neonazis zu
       reden, von dem die Polizei in Barsinghausen zu seinem Ärger sagt, es wäre
       keines. Dabei gab es erst am Wochenende wieder einen Übergriff auf
       Fahrgäste in der S-Bahn, „zwei farbige Frauen“, sagt Kasse. „Es waren
       stadtbekannte Neonazis.“ Er selber erhielt jahrelang Drohanrufe, schon von
       den Altnazis, früher.
       
       Bad Nenndorf, gleich in der Nähe, ist so etwas wie ein rechter
       Wallfahrtsort von regionaler Bedeutung, weil im sogenannten Winkler-Bad die
       Briten nach dem Krieg ein Verhörzentrum hatten. „Das schwappt jetzt auch
       immer stärker nach Barsinghausen rüber.“ Die Kollegen der Callenberger
       Zeitung, die zum Madsack-Konzern in Hannover gehört und bislang mit der DLZ
       um die Gunst der LeserInnen in diesem Teil des Hannoveraner Speckgürtels
       konkurriert hat, werden „da dranbleiben und weitermachen“, da ist er
       zuversichtlich. „Es ist nur schade, dass wir selbst nichts mehr dazu
       besteuern können“.
       
       Die Menschen in Barsinghausen haben sehr emotional auf die Schließungspläne
       reagiert, ein pensionierter Banker bot sogar Geld. Denn so schlecht stand
       die DLZ gar nicht da, mit ihren 4.500 AbonnentInnen und dem lokalen
       Anzeigengeschäft, das in den letzten Jahren wieder angezogen hatte – plus
       10 Prozent. Damit war man auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, die einen viel
       dickeren Konzern im Hintergrund hat.
       
       ## Belegschaft doppelt so hoch
       
       Allein unterwegs war die DLZ, die bis zum letzten Tag in dem 1885 für sie
       erbauten roten Backsteinhaus an der Bahnhofstraße sitzt, allerdings auch
       schon lange nicht mehr. Dem Niemeyer-Verlag aus Hameln gehören die „große“
       Deister- und Weserzeitung (Dewezet) und ein ganzer Schwung Lokalblätter in
       der Region. Die DLZ war die kleinste davon. Vor 15 Jahren war die Auflage
       noch doppelt so hoch.
       
       Zu Spitzenzeiten arbeiteten sieben festangestellte RedakteurInnen hier,
       jetzt sind es nur noch fünf, Chefredakteurin Helena Tölcke inklusive, die
       seit drei Jahren auch noch die Geschäfte in Barsinghausen führt. „Weiter
       sparen, noch mehr Personal reduzieren, ging nicht“, sagt sie. Und dass auch
       sie von den Reaktionen der LeserInnen beeindruckt ist, weniger von der
       Lokalpolitik – die habe sich „erst spät und ganz schön dünn“ zu Wort
       gemeldet.
       
       Tölcke hat bei der DLZ als freie Mitarbeiterin angefangen, später ihr
       Volontariat gemacht. Sie war nie weg, eine Lokaljournalistin mit Leib und
       Seele, sagen ihre KollegInnen. Das mit der Chefin komme höchstens mal zum
       Vorschein, wenn sie abends nach sechs durch die Redaktion schleiche und die
       eigentlich fertigen Seiten noch mal umbauen wolle. Zehn davon haben sie
       zuletzt jeden Tag gemacht, dazu oft die Titelseite bespielt, weil die
       Menschen eben das Lokale immer noch am meisten interessiert.
       
       Jetzt sitzt Tölcke in ihrem Chefinnenbüro, die Feuerwehr war gerade noch
       mal zu Besuch und hat ein Präsent von ausgesuchter Scheußlichkeit
       dagelassen, auch als Dank für all die Jahre, in denen die DLZ die ganzen
       freiwilligen Wehren in Stadt und Umland mit ihrer Berichterstattung
       begleitet hat. „18 Jahreshauptversammlungen der Feuerwehren in einem Jahr –
       das ist zu schaffen“ , wird mit nur leichter Ironie über einem Beitrag der
       letzten Ausgabe stehen, geschrieben hat ihn Lokalredakteurin Sabine Rasche,
       die wie alle hier immer auch gleich mit der Kamera unterwegs ist. Die
       Wehren, die Vereine – sie werden den Verlust der DLZ am härtesten spüren,
       weil die Konkurrenz dann eben doch nicht so heimatverbunden ist wie die
       Heimatzeitung.
       
       ## Abschiedstext an die LeserInnen
       
       Es ist Abend geworden, die Redaktionshunde Emma (großer Golden Retriever)
       und Mascha (kleines Wollknäuel) balgen ein bisschen auf dem Boden herum,
       und der Kalender mit dem Schieber für den aktuellen Tag in Tölckes Zimmer
       steht immer noch auf dem 30. Januar, obwohl es längst Ende Februar ist. Am
       30. Januar war die „Betriebsversammlung“ für die knapp 20 DLZlerInnen, auf
       der die Einstellung des Blattes verkündet wurde. Ein Kollege steckt den
       Kopf zur Tür herein: „Fährst du nachher nach Hause?“ – „Nach Hause?“, fragt
       Tölcke entgeistert zurück, es klingt nach: „Was soll ich da?“ Den Aufmacher
       für die letzte Ausgabe, ihren Abschiedstext an die LeserInnen, hat Tölcke
       schon am Abend vorher geschrieben, „mir war doch klar, das ich heute zu
       nichts komme“.
       
       „Ich werde die letzte Ausgabe einrahmen und später mit in die Ewigkeit
       nehmen“, hat am Nachmittag ein 70-jähriger Herr auf der DLZ-Seite bei
       Facebook gepostet – auch das ein Zeichen, wie sich die Dinge verändern. Der
       Chefredakteurin ist das zu viel Pathos. „Wir wollen keine letzte Ausgabe,
       aus der das Schmalz tropft“, sagt Tölcke. Das würde auch nicht zu ihrem
       eher herben Charme passen und auch nicht zu der Frau, die vorhin trotz
       hörbar schwerer Erkältung durch die Redaktion fegte, burschikos Hände
       schüttelte und die direkt der Landlust entsprungen schien. Burschikos sind
       alle ein bisschen hier, auch die Redaktion hat so gar nichts vom
       Hauptstadt-Schleiflack und „Lichtgrau“-Schick überregionaler
       Zeitungstempel. Es sieht nach Arbeit aus und nach in Jahrzehnten
       angesammeltem Leben und Wissen – das jetzt einfach nicht mehr weitergeht.
       
       Doch dazu möchte die Frau im Landlust-Look nichts sagen, was schade ist.
       Denn sie braucht sich nicht vorzustellen, hier kennt sie jedeR: Julia
       Niemeyer ist die Verlegerin. Sie hat in Hameln vor drei Jahren die
       Geschäftsführung übernommen, bei der Dewezet war sie selber lange
       Chefredakteurin. Also wird es nichts mit Fragen, warum nicht versucht
       wurde, die DLZ zu verkaufen, wenn sie doch gar nicht so schlecht dastand.
       Oder wie viel Madsack mit der Entscheidung zu tun hat, die DLZ vom Markt zu
       nehmen. Denn natürlich profitiert der Zeitungskonzern, der in den letzten
       Jahren in ganz Deutschland üppig hinzugekauft hat, wenn die DLZ nicht mehr
       da ist. Doch die Sache ist komplizierter: Auch Dewezet und Madsack sind
       verflochten, es gibt eine Vertriebs- und Anzeigengemeinschaft, und auch der
       sogenannte Zeitungsmantel, der überregionale Teil aller Niemeyer-Titel,
       kommt vom Madsack-Hauptblatt in Hannover.
       
       ## Gratis-Anzeigenblätter
       
       Was der DLZ mit den Hals gebrochen hat, taugt zum Lehrstück in Sachen
       verlegerischer Verflechtung: Allen Erfolgen vor Ort zum Trotz ging es im
       gemeinsamen Anzeigen-Kombi-Geschäft für alle Dewezet-Titel nach unten. „Die
       Edekas, Aldis und Lidls gehen mehr und mehr mit ihren Anzeigen aus den
       Tageszeitungen raus und machen lieber Beilagen in Anzeigenblättern“, sagt
       Tölcke. Der wirkliche unabhängige Einzelhandel nehme sowieso immer mehr ab,
       „Filialisten und Franchisenehmer werben nicht selbst, das machen die
       dahinterstehenden Konzerne im Verbund.“ Auch hier profitieren eher die
       kostenlosen Anzeigenblätter. Gleich drei davon gibt es aktuell für
       Barsinghausen, im Lauf des Jahres soll noch ein viertes aufmachen – doch
       keines davon gehört zur DLZ oder ihrem Mutterverlag aus Hameln.
       
       Die DLZ hatte mit der Deister-Woche bis in die 1990er Jahre sogar ein
       Anzeigenblatt, von dem man sich aber trennte. „Das war mit Sicherheit ein
       Knackpunkt. Hätten wir heute ein eigenes Anzeigenblatt, würden wir nicht
       über die Schließung der DLZ reden“, sagt Tölcke etwas trotzig. Für alle
       MitarbeiterInnen will der Niemyer-Verlag einen neuen Arbeitsplatz suchen,
       doch sie hat schon abgewunken: „Ich möchte das gar nicht.“
       
       Es ist weit nach sechs. Die Redaktion arbeitet professionell und kämpft bis
       zuletzt mit den kleinen Absurditäten des Lokalen. Wie mit dem Beitrag eines
       freien Mitarbeiters namens Weber aus dem Nachbarort Gehrden. „Weber, das
       sind Vater und Sohn. Eigentlich schreibt der Sohn, aber manchmal macht’s
       auch der Alte“, sagt DLZ-Redakteur Carsten Diekmann, der den Text gerade
       bearbeitet. „Das muss der Vater sein, er hat wieder Lastkraftwagen statt
       Lastwagen geschrieben“, mischt sich lachend der Kollege vom
       Nachbarschreibtisch ein. Er ist freier Mitarbeiter, für ihn wie für alle
       anderen Freien der DLZ ist die Zukunft eher düster. Auch Wolf Kasse ist von
       seinem letzten Termin zurück, es ging – ganz prosaisch – um die Ankündigung
       der dritten „Barsinghäuser Ausbildungsmesse“. Wenn sie im April
       stattfindet, wird die DLZ nur noch in der Erinnerung existieren.
       „Hoffentlich in guter“, sagt der 53-Jährige, der jetzt zum ersten Mal in
       seinem Berufsleben Bewerbungen schreiben muss.
       
       1 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Grimberg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Redakteur
       
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 (DIR) Arbeitsloser Redakteur gründet Zeitung: Ein neues Gedächtnis
       
       Die Deister-Leine-Zeitung wurde eingestellt. Wolf Kasse arbeitete dort 32
       Jahren als Lokalredakteur. Jetzt bringt er in seiner Heimatstadt ein
       eigenes Blatt heraus.
       
 (DIR) Paywall bei Regionalzeitungsverlag: Premiuminhalte kosten extra
       
       Die Zeitungsgruppe „Madsack“ hat ihre Online-Portale umgestellt: Bestimmte
       Inhalte sind künftig kostenpflichtig. Bisher hat fast nur Springer dieses
       Experiment gewagt.
       
 (DIR) Zeitungsredakteure als Zusteller: Alles aus einer Hand
       
       Der "Schwäbischen Zeitung" mangelt es an Zustellern. Daher sollen die
       eigenen Redakteure jetzt beim Austragen helfen. Die zeigen sich wenig
       begeistert.
       
 (DIR) Neue Zeitung "Sun on Sunday": Die "Sun" im Sparmodus
       
       Hat Rupert Murdoch aus den Fehlern der "News of the World" gelernt? Das
       neue Sonntagsblatt "Sun on Sunday" hält sich samt Girls familientauglich
       bedeckt.