# taz.de -- Triebswerksforschung in der Luftfahrt: Goldsuche nach eingesparten Dezibels
       
       > Um den steigenden Lärm an Flughäfen zu mildern, verspricht die
       > Luftfahrtindustrie leisere Triebwerke. Ob Lärmgeplagte wirklich darauf
       > hoffen können, ist umstritten.
       
 (IMG) Bild: Könnte laut werden: Ein Mechaniker prüft ein Triebwerk optisch auf Fehler
       
       „Wo bleibt der Einsatz neuer und leiser Technologien?“ steht in fetten
       Edding-Lettern auf dem Schild, das die Anti-Fluglärm-Demonstrantin im
       Terminal 1 des Frankfurter Flughafens auf ihrem Rücken trägt. Die Frage ist
       berechtigt. Leisere Flugzeuge verspricht die Luftfahrtbranche schon seit
       langem:
       
       Bis 2020 werde sich der von Flughafen-Nachbarn wahrgenommene Lärm
       halbieren, versprach schon 2001 das Advisory Council for Aeronautics
       Research in Europe (Acare), ein Gremium aus Luftfahrtindustrie, Airlines,
       Hochschulen und staatlichen Behörden, das die EU-Kommission bei der
       Förderung der Luftfahrtforschung berät.
       
       Die Realität freilich sieht anders aus. Der Ausbau von Flughäfen bringt
       Anwohnern neuen Lärm. In Frankfurt etwa protestieren seit Monaten Tausende
       gegen die neueröffnete Nordwest-Landebahn. Sie fordern ein erweitertes
       Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr.
       
       Die Lufthansa versucht der Forderung die Grundlage zu nehmen: Ihre Flotte
       werde durch moderne Flugzeuge immer leiser und intensive Forschung werde zu
       noch leiseren Fliegern führen. Die Luftfahrtindustrie springt den Airlines
       bei und betont, dass Flugzeugtriebwerke in den letzten 40 Jahren um 90
       Prozent leiser geworden seien.
       
       Doch die Triebwerke dämpften ihr Dröhnen vor allem in den 60er und 70er
       Jahren. Seit Mitte der 80er Jahre stagniert die Lärmminderung. Das
       Bundesumweltministerium schrieb 2008, dass die Geschwindigkeit des
       Fortschritts sich aber verdoppeln müsste, um das hochgesteckte Acare-Ziel
       zu erreichen.
       
       ## Suche nach eingesparten Dezibels
       
       Danach sieht es aber nicht aus – zumindest in naher Zukunft nicht. Die
       technologische Suche nach eingesparten Dezibels gleicht eher wenig
       beneidenswerten Goldwäschern, die mühsam Goldstaubkörnchen aus dem
       Flusswasser sieben, als Goldsuchern, die mühelos dicke Nuggets vom
       Flussbett klauben.
       
       Die dicken Nuggets, das waren jahrzehntelang die sogenannten
       Nebenstrom-Triebwerke. Der Luftstrom wird bei der Passage durch diesen
       Triebwerkstyp aufgeteilt: Der innere Teil strömt durch die Brennkammer,
       welche durch das Verbrennen des Luft-Kerosin-Gemisches eine Welle antreibt,
       die wiederum eine Art riesigen Ventilator, den so genannten Fan, zum
       Rotieren bringt.
       
       Der Fan beschleunigt den äußeren Teil des Luftstroms, wodurch die
       Antriebsleistung entsteht. Bei jeder neuen Triebwerksgeneration vergrößerte
       sich das so genannte Nebenstrom-Verhältnis, was bedeutet, dass der Anteil
       des äußeren Luftstroms im Verhältnis zum inneren immer größer wurde.
       
       Lange Zeit schlugen die Hersteller durch immer größere
       Nebenstrom-Verhältnisse zwei Fliegen mit einer Klappe: Der
       Treibstoffverbrauch sank und gleichzeitig wurde das Flugzeug leiser. Der
       Grund: Das Vergrößern des äußeren Luftstroms bedeutet, dass mehr Masse
       beschleunigt und damit mehr Schub erzeugt wurde. Der Luftstrahl darf daher
       langsamer sein und erzeugt damit weniger Lärm.
       
       ## Airlines wollen primär Kerosin einsparen
       
       „Inzwischen ist eine Grenze beim Nebenstrom-Verhältnis erreicht, deren
       Überschreiten das Flugzeug zwar leiser machen würde. Aber es würde dann
       mehr Treibstoff brauchen“, sagt Jörn Lindmaier, Experte für
       Fluglärmminderung beim Umweltbundesamt (UBA). Denn der Preis für ein
       größeres Nebenstrom-Verhältnis ist ein größeres Triebwerk, dessen Gewicht
       und Luftwiderstand ab einem gewissen Punkt den eingesparten Sprit wieder
       auffressen.
       
       Das gefällt den Airlines nicht, denn sie wollen in erster Linie Kerosin
       einsparen. Der Lärm spielt für sie eine untergeordnete Rolle: „Die
       Lärmgrenzen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO liefern
       keinen Anreiz, den Lärm so weit zu senken, wie es technisch möglich wäre“,
       sagt der Fluglärmexperte Ulf Michel.
       
       Die Forschung weist daher sogar in eine lautere Zukunft. „Auf der
       Forschungsagenda stehen neuartige spritsparende Propellerantriebe“, sagt
       Lindmaier. Beispielsweise der so genannte Counter Rotating Open Rotor
       (Cror). Er besteht aus einem herkömmlichen Triebwerk, das zwei außerhalb
       der Triebwerksummantelung liegende Propeller antreibt.
       
       Sie rotieren gegenläufig und schleudern daher die Luft schnurgerade nach
       hinten, anstatt – wie ein einzelner Propeller – dem Luftstrom einen Drall
       zu geben. Weil dadurch mehr beschleunigte Luft zum Vortrieb beiträgt,
       wandelt der Cror die Energie im Sprit effizienter in Antriebsleistung um.
       So lassen sich rund 20 Prozent Treibstoff einsparen.
       
       ## Propellerlärm
       
       Das macht die Crors für die Airlines attraktiv, besonders für Kurz- und
       Mittelstreckenmaschinen. Da in diesem Segment das meiste Kerosin verbrannt
       wird, würde sich der Umstieg besonders lohnen. Für Flughafenanwohner
       allerdings weniger: denn die offen liegenden Propeller machen viel Lärm.
       
       Das Beispiel zeigt, dass in Zukunft das Verlangen der Airlines nach
       sparsameren Flugzeugen und das der Anwohner nach weniger Lärm nicht mehr
       Hand in Hand gehen könnten. Es könnte aber auch anders kommen: Eine weitere
       neue Technik verspricht weniger Spritverbrauch und weniger Lärm
       gleichzeitig: der sogenannte Getriebefan. Das gerade in Entwicklung
       befindliche Mittelstreckenflugzeug Airbus A320neo soll ein solches
       Triebwerk erhalten.
       
       Ein Getriebe sorgt dafür, dass sich der Fan dreimal langsamer dreht als die
       Turbine. Das spart Energie, weil die beiden Komponenten bei
       unterschiedlichen Drehzahlen ihren jeweils größten Wirkungsgrad entfalten.
       Gleichzeitig wird durch den relativ langsamen Fan das Triebwerk leiser.
       
       Der A320neo soll laut Hersteller um 5 Dezibel leiser als sein
       Vorgängermodell werden, also nur noch ein Drittel so laut (unabhängige
       Messungen stehen bisher noch aus). Doch bis die Vorzüge bei den
       Lärmgeplagten ankommen, werden noch einige Jahre vergehen. Michel schätzt,
       dass der A320neo um 2015 erstmals Passagiere fliegen wird.
       
       ## Wahrscheinlich wird es lauter
       
       Bis die Hälfte der Flugzeuge mit Getriebefans ausgestattet sein werden,
       würden mindestens noch weitere zehn Jahre vergehen, sagt Michel. Und ob es
       dann wirklich leiser wird, ist unter Experten umstritten. Für „total
       utopisch“ hält UBA-Experte Lindmaier das Acare-Ziel. Dafür steige das
       Verkehrsaufkommen in der Luft zu stark an. Jörn Lindmaier befürchtet, dass
       es für die Lärmgeplagten deshalb sogar noch lauter werden wird.
       
       Anderer Meinung ist Ullrich Isermann, Fluglärmexperte beim Deutschen
       Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): Er glaubt, dass die neuen Techniken
       sogar einen Lärmzuwachs mehr als ausgleichen können, der durch eine
       Verdoppelung des Luftverkehrs entstünde.
       
       Werner Geiss, Fluglärmexperte beim Verkehrsclub Deutschland (VCD), hingegen
       vermisst ein engagierteres Bemühen der Ingenieure um weniger Lärm. Er weist
       darauf hin, dass die nächste Flugzeuggeneration, wie schon die Generationen
       zuvor, jahrzehntelang in Betrieb bleiben wird. „Modelle wie der A320neo
       verzögern die Entwicklung von noch wesentlich leiseren Flugzeugen“, sagt
       er.
       
       ## Nurflügel-Flugzeugen
       
       Ideen für solche gibt es. Nurflügel-Flugzeuge etwa, die die Triebwerke auf
       ihrem Rücken tragen und somit die Lärmquelle mit ihrem Rumpf abschirmen.
       Ulf Michel hingegen glaubt nicht, dass radikal neuartige Konzepte wie diese
       in naher Zukunft eine Chance haben. „Sie würden die Logistik an einem
       Flughafen zu stark verändern“, meint er.
       
       Lediglich, wenn die ICAO-Lärmgrenzen drastisch gesenkt würden, hätten
       solche Entwicklungen eine Chance. Doch das sei unwahrscheinlich, weil dafür
       eine Einigung auf internationaler Ebene nötig sei. Neue Technik wird also
       auf absehbare Zeit die Nachtruhe von Flughafennachbarn nicht wesentlich
       verbessern. Das kann somit nur ein Nachtflugverbot.
       
       2 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Meier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
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