# taz.de -- Internationaler Frauentag 2012: Perfekte Workaholics am Tatort
       
       > TV-Kommissarinnen müssen sich kaum noch gegen sexistische Kollegen
       > wehren. Dafür haben sie ein anderes Problem: Sie sind makellos.
       
 (IMG) Bild: Superbeliebt und supersouverän: Tatort-Komissarin Conny Mey alias Nina Kunzendorf
       
       „Hab ich da was?“ Lächelnd und mit leiser, amüsierter Stimme weist Nina
       Kunzendorf in ihrem ersten Auftritt als „Tatort“-Ermittlerin namens Conny
       Mey einen schmierigen Kollegen zurecht, der, anstatt ihr zuzuhören, auf ihr
       imposantes Dekolleté starrt. Mehr ist nicht nötig, der Kollege senkt den
       Blick, Mey hat gewonnen. Weibliche Souveränität sells.
       
       Noch nie gab es so viel weibliches Führungspersonal in der deutschen
       Fernsehunterhaltung: die Kommissarinnen, die Chefinnen sind da. 2012 sind
       die Hälfte der ErmittlerInnen bei der Deutschen Lieblingssendung, dem
       „Tatort“, weiblich, und auch das ZDF setzt mit „Die Chefin“ oder „Flemming“
       auf die unbeirrbare Frau, die selbst hochschwanger auf Verbrecherjagd geht.
       Entscheidungsstark, leistungsfähig und unbestechlich vertreten die
       Beamtinnen Staat und Recht.
       
       Ausgerechnet der Krimi, der mit seinen Geschichten von Mördern und
       Polizisten bislang männliches Terrain absteckte, transportiert aktuell wie
       kein anderes Unterhaltungsgenre ein positives Bild von der selbstbestimmten
       Frau mit Führungskompetenz. Tendenz der Einschaltquoten: steigend. Warum
       ist die Hüterin des Rechts derzeit so beliebt? Was erzählt uns der
       Kommissarinnen-Boom und vor allem: Was hat die aktuelle Repräsentation
       weiblicher Stärke mit Selbstunterwerfung zu tun?
       
       ## Sexismus ist out
       
       Zunächst einmal muss man feststellen, dass sich in der deutschen Polizei
       kaum Frauen in Chefsesseln befinden. Natürlich wissen die ZuschauerInnen im
       Allgemeinen um die Differenz zwischen Wirklichkeit und Fiktion und
       goutieren also mehr oder weniger bewusst eine Projektion – die realistisch
       daherkommt und eben plausibel ist, so wie es das Genre des Kriminalfilms
       verlangt. Der Erfinder des „Tatorts“, Gunther Witte, nennt das
       „Realitätsbezogenheit“.
       
       Ebenso ist weithin bekannt, dass Frauen trotz exzellenter Abschlüsse
       deutlich weniger Aufstiegsmöglichkeiten haben als ihre Kollegen. Im
       Management von großen Unternehmen sind die Frauen handverlesen. Die Chefin
       ist in der Wirklichkeit ein eher seltenes Phänomen, und der Streit, wie die
       männliche Monokultur in den oberen Etagen aufzumischen wären, gehört zum
       Hintergrundgeräusch der täglichen Berichterstattung.
       
       Indessen haben in den fiktionalen Dokumenten des Zeitgeistes die gut
       ausgebildeten und sehr disziplinierten Frauen die gläserne Decke
       verdientermaßen durchbrochen und die Kollegen schätzen ihre Kompetenz.
       Aggressiver Sexismus und Male Bonding, so wird suggeriert, das war gestern.
       In deutschen Krimiserien müssen die Kollegen noch ab und zu auf die Plätze
       verwiesen werden, siehe die eingangs zitierte Szene mit Conny Mey. Aber das
       sind nur noch Scharmützel am Rande des Geschehens.
       
       ## Kompetenz entscheidet
       
       Grundsätzlich hat das biologische Geschlecht an Ordnungskraft verloren, es
       legt nicht mehr automatisch eine Hierarchie fest, gegen welche die
       emanzipierte Frau ankämpfen müsste. In der allerersten Serie mit der
       allerersten Chefermittlerin bei Scotland Yard, „Prime Suspect“, war das
       noch ganz anders. Jane Tennisson (Helen Mirren) wurde von ihren
       chauvinistischen Kollegen in einer solchen Härte attackiert, dass sie stets
       an zwei Fronten kämpfen musste: gegen die korrupten, neiderfüllten Kollegen
       im eigenen Haus und gegen die brutalen Mörder draußen auf der Straße.
       
       Gut zwanzig Jahre später erzählen die zur Primetime gesendeten Krimis eine
       andere Geschichte: Sie spielen nach dem Geschlechterkampf. Sie erzählen von
       einer Berufswelt, in der eine zentrale feministische Forderung so gut wie
       eingelöst ist: nämlich dass Kompetenz über das berufliche Fortkommen
       entscheidet und nicht die Biologie.
       
       Die Populärkultur prägt wesentlich unsere Vorstellungen von Normalität.
       Wenn im Fernsehen immer häufiger Frauenfiguren mit Führungsanspruch unter
       Kollegen gezeigt werden, die Sexismus nicht mehr nötig haben (heißt: ihre
       Männlichkeit nicht mehr durch die Abwertung von Frauen unter Beweis stellen
       müssen), dann gewöhnen sich die ZuschauerInnen an diese Konstellation.
       
       Diese Feststellung scheint banal, aber sie ist wichtig. Denn sie verweist
       auf das Politische in der Massenkultur, auf den normativen Effekt. Die
       Botschaft des Kommissarinnen-Booms lautet: Frauen können alles so gut wie
       Männer. Die erste TV-Kommissarin, gespielt von Nicole Heesters (1978),
       versuchte sich noch mit den Waffen einer Frau Respekt zu verschaffen. In
       ihrem Fall waren das Hut, Lippenstift und weibliche Intuition. Sie wurde
       nach drei Folgen abgesetzt. Das Publikum sei noch nicht so weit, hieß es
       damals.
       
       Doch so ganz haben wir die Geschlechterhierarchien noch nicht hinter uns
       gelassen, auch in der Fiktion nicht. Das Problem der Kommissarinnen ist
       nicht mehr Mangel an Selbstbewusstsein oder dass sie keine Pistole halten
       könnten. Es ist im Gegenteil ihr Perfektionismus. Auch in diesem Punkt
       fangen Kommissarinnen präzise den Zeitgeist ein. Ob Maria Furtwängler als
       kühle, alleinerziehende, gehetzte Mutter, ob die dienstälteste Kommissarin
       Lena Odenthal, sie alle sind perfekte Workaholics. Anders als ihre
       männlichen Pendants haben sie keine Spleens und keine Hobbys. Sie sind
       Vollprofis, erlauben sich kaum Fehler und machen nie Pause.
       
       Der Vergleich mit Deutschlands beliebtestem Ermittlerduo Börne und Thiel
       aus Münster führt die Diskrepanz vor Augen: Der moppelige Polizist auf dem
       Fahrrad und der versnobte Pathologe im Sportwagen pflegen ihre
       Schrulligkeiten, sind mithin entspannend unperfekt und klären am Ende
       natürlich trotzdem jeden Fall auf.
       
       ## Profis ohne Pause
       
       Währenddessen leisten sich die Ermittlerinnen wenig Exzentrisches. Sie sind
       vor allem eines: Arbeitsmaschinen, topfit und extrem diszipliniert. Vertun
       sie sich einmal, dann können ihre Fehler nicht so leicht vom Partner
       ausgeglichen werden, die Frauen müssen den angerichteten Schaden selbst
       gutmachen.
       
       Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) etwa verliebt sich einmal heftig und zwar
       gleich in den Mörder. Zur Strafe für diese emotionale Entgleisung muss sie
       ihre Liebe erschießen. Das ist nur ein Beispiel für das Prinzip, dass die
       Kommissarinnen immer wieder aufs Neue beweisen müssen, dass sie sich
       entschieden haben. Dass sie Profis sind, ohne Wenn und Aber. Nicht mehr die
       ihnen unterstellte Schwäche, sondern der von ihnen akzeptierte
       Perfektionismus markiert, dass Frauen und Männer nicht mit gleichem Maß
       gemessen werden und Frauen unter einem deutlich höheren Leistungsdruck
       stehen (auch wenn insgesamt eine Arbeitsunlust wie beim permanent
       verkaterten Ruhrpott-Kommissar Horst Schimanski heute nicht mehr toleriert
       wird).
       
       Perfektionismus lässt sich mit Überidentifikation und mangelnder
       Fehlertoleranz umschreiben – und in der Akzeptanz des Leistungsdrucks setzt
       eine nicht zu unterschätzende Selbstunterwerfungsdynamik ein. Es fällt auf,
       dass die sich zunehmend ausdifferenzierende Repräsentation von Frauen mit
       Führungsanspruch in der Massenunterhaltung konterkariert wird durch den
       Umstand, dass all diese so unterschiedlich gestrickten Karrierefrauen eines
       gemeinsam haben: Sie genießen ihre Macht nicht und sie sind immer im
       Stress.
       
       ## Keine Schrulle, keine Ticks
       
       Ja, sie genießen eigentlich gar nichts. Denn dazu gehört unter anderem
       Zeit; es gibt keine Muße ohne die Vorstellung: „Ich habe Zeit.“ Doch das
       ist eine Währung, die für MarktteilnehmerInnen insgesamt zunehmend knapp
       wird, und den gezeigten Leistungsträgerinnen fehlt sie ganz.
       
       Anders als ihre Kollegen folgen sie strikt dem Leistungsprinzip und haben
       als Widerstand gegen den Imperativ der Effizienz bestenfalls Kinder,
       niemals Hobbys oder Ticks vorzuweisen, die eine Rücksichtnahme auf die „Top
       Girls“ erforderten oder ihnen erlaubten, verdient oder unverdient mal Luft
       zu holen.
       
       Charlotte Lindholm etwa, nach wie vor die beliebteste „Tatort“-Kommissarin,
       hat eigentlich nie Spaß mit ihrem kleinen Sohn. Es gibt so gut wie keine
       intimen, entspannten Momente mit dem Kind – jederart Symbiose wird
       vermieden. Die Chefermittlerin gehört Vater Staat mit Haut und Haaren.
       Noch.
       
       Conny Mey, die Neue im „Tatort“-Reigen, ist da schon ein bisschen weiter.
       Sie mag sportliche Männer und schläft mit ihnen, auch wenn sie dienstlich
       miteinander zu tun haben. Ihr Schnarchen vertreibt den Liebhaber aus dem
       Bett, aber Mey kommt zum Missfallen ihres ranzigen Kollegen (Joachim Król)
       trotzdem zu spät zum Dienst. Na und? Lösen werden sie den Fall trotzdem.
       
       8 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
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       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Feministischer Kampftag
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