# taz.de -- Neue Bücher zur Buchmesse: Man wird beim Lesen selbst ganz leicht
       
       > Texte voller Widerhaken: Postum ist eine Sammlung mit Texten des
       > fabulierlustigen Reporters Marc Fischer erschienen: „Die Sache mit dem
       > Ich“.
       
 (IMG) Bild: Marc Fischer hat ein schönes Stipe-Portrait geliefert.
       
       Zwei erzählerische Tricks konnte er unglaublich gut. Der erste besteht
       darin, ein Motiv gnadenlos in den Vordergrund zu schieben, so dass es dem
       Text Halt gibt und sich alle anderen erzählerischen Informationen gegen das
       Motiv geradezu durchboxen müssen.
       
       Als Marc Fischer den R.E.M.-Sänger Michael Stipe trifft, ist es die Frage,
       ob Stipe schwul ist. Offenbar war das die Frage, die Fischers Auftraggeber
       gerade brennend interessierte.
       
       Und so überlegt sich Marc Fischer, während er kurz vor einem Konzert der
       Band in der Berliner Waldbühne in einem Wohnwagen mit dem Sänger sitzt, ob
       er sie tatsächlich stellen soll und wie er sie stellen soll - er kommt aber
       sowieso gar nicht dazu, weil Michael Stipe, "schnell und wendig", dem
       Reporter immer zuvorkommt, selbst Fragen stellt, sich dem Gespräch
       entzieht.
       
       Am Schluss ist die Frage dann ungestellt geblieben, aber man hat gerade
       deswegen ein schönes Porträt von Michael Stipes Schnelligkeit und
       Wendigkeit in solchen Situationen bekommen, von seiner Agilität, die man ja
       bei ihm auch auf der Bühne sieht. Und ganz am Schluss, als die Zeit für das
       Interview um ist und der Reporter von einem Bodyguard aus dem Wohnwagen
       geschoben wird und sich die Tür vor ihm schließt, fragt Marc Fischer dann
       die Tür des Wohnwagens, ob sie schwul sei. Letzter Satz: "Ja, sagt die Tür,
       aber sie sagt auch: Wen interessiert schon, was eine Tür zu solchen Dingen
       sagt?"
       
       Und spätestens bei dieser Schlussszene (man wünscht sie sich auf der Stelle
       verfilmt) fragt man sich wirklich, wie Marc Fischer das gemacht hat. Er hat
       ein schönes Stipe-Porträt geliefert. Er hat gleichzeitig die Umstände
       solcher Promi-Interviews gnadenlos karikiert. Und er hat dann auch noch
       seine eigene Geschichte, eine Marc-Fischer-Story, draus gemacht.
       
       Der zweite Trick besteht darin, zunächst mitten rein in die Geschichte zu
       springen, dann einen Satz wie "Aber der Reihe nach" (kommt gleich in zwei
       Geschichten vor, in der Reportage über ein Wochenende mit einem DJ der
       Partei Die Linke im Brandenburgischen und in einem Bericht über die
       Frankfurter Buchmesse) zu sagen und die ganze Sache dann von vorn zu
       erzählen.
       
       ## Gelungener Haltbarkeitstest
       
       Man kann sich diese Tricks und Kniffe des Reporters Marc Fischer nun ganz
       in Ruhe ansehen, weil eine Auswahl seiner besten Reportagen postum als Buch
       erschienen sind. Selbstverständlich liest man die Texte nun anders, als
       wenn man auf sie in Zeitschriften wie Dummy, Vanity Fair, Allegra oder auch
       in der Welt am Sonntag, wo sie zuerst standen, gestoßen wäre - weil man
       weiß, dass dieser vor Fabulierlust und Erfindungsfreiheit sprühende
       Reporter sich im April 2011 dann umgebracht hat, und weil Texte in einem
       Buch anderen Haltbarkeitstests ausgesetzt sind als Magazintexte.
       
       Die meisten Texte halten diesem Test stand, mehr noch: Die Sammlung zeigt,
       dass Marc Fischer immer über den Anlass hinausgeschrieben hat. Marc Fischer
       kann Dialoge sehr gut und ist ein Meister der verknappten Beschreibung.
       Großartig etwa die Geschichte, wie er den heiligen Trinker Eugen Roth
       wiederauferstehen lässt und mit ihm auf dem Rücksitz seiner Vespa durch das
       heutige Berliner Nachtleben streunt; nicht nur ist die Idee großartig, man
       muss sich auch zugleich in Roths Texten wie im Berliner Nachtleben gut
       auskennen, um das so gut hinzukriegen.
       
       Und ganz am Schluss einer stellenweise sogar etwas konventionellen
       Reportage über Parabelflüge steht auf einer halben Seite hingetuscht die
       beste Beschreibung von Schwerelosigkeit, die man sich vorstellen kann; man
       wird beim Lesen selbst ganz leicht.
       
       Um Leichtigkeit ging es wohl. Darum, sich schreibend von der Erdenschwere
       zu befreien. Aber auch darum, sich immer neu zu erfinden und erschüttern zu
       lassen. Auf wenigen Seiten, Lieblingsgeschichte, kann Marc Fischer mit ganz
       zurückhaltenden Mitteln nachfühlbar machen, wie eine Fünfzehnjährige das
       Weltbild eines Kinderverächters mit der Ernsthaftigkeit ihrer Fragen und
       der genauen Einsicht in ihre Lage mal eben gründlich irritiert. Viele
       dieser Texte haben solche Widerhaken.
       
       Marc Fischer: "Die Sache mit dem Ich". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 302
       S., 14,99 Euro
       
       15 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
       
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