# taz.de -- Schlagloch: Handarbeit, lieb und teuer
       
       > Kulturinfarkt? Wie eine FDP-Nachhut einmal einen Blindgänger zündete und
       > der "Spiegel" dabei die Lunte hielt.
       
 (IMG) Bild: Für die einen bedeuten diese Bretter die Welt, für die anderen sind sie ein verzichtbarer Kostenfaktor.
       
       Wenn das System den ganzen Tag auf der Couch sitzt und sich an den
       Subventionen vollfrisst, dann ist Bewegungslosigkeit da.“ So muss man das
       erst einmal formulieren können! Klingt wie Schlaganfallprosa, ist aber der
       Versuch eines deutschen Professors, den Titel seines Buches zu erklären.
       
       Der Akademiker ringt nach Worten. Das System flegelt da also auf dem Sofa –
       „nur rumsitzen und nichts zu tun“ – und nun geschehe genau das, was die
       Medizin bereits so gut erforscht habe. Es verfettet. Folge: Infarkt.
       Kulturinfarkt. So seien sie, zu viert, auf den Titel gekommen.
       
       Das Buch „Der Kulturinfarkt: Von allem zu viel und überall das Gleiche“ ist
       bedauerlicherweise am Dienstag erschienen. Diesem Versehen hätte eine
       Beisetzung in aller Stille folgen können, wenn der Spiegel den Blindgänger
       nicht per Vorabdruck gezündet hätte.
       
       ## Zimmerflak der Literaturkritik
       
       Das ist nun schon das zweite Mal in diesem kurzen Frühjahr. Aufmerksame
       Beobachter haben bereits nach der Spiegel-Kritik des
       Christian-Kracht-Romans „Imperium“ registriert, das Magazin habe sich vom
       „Sturmgeschütz der Demokratie“ zur „Zimmerflak der Literaturkritik“
       entwickelt.
       
       Sein Ehrgeiz geht also weiter, weshalb die Hauptfrage des Autorenkollektivs
       längst in der Welt ist: „Was wäre, wenn die Hälfte der Theater und Museen
       verschwände, einige Archive zusammengelegt und Konzertbühnen privatisiert
       würden?“ Also 3.200 statt 6.300 Museen in Deutschland, 70 staatliche und
       städtische Bühnen statt 140, 4.000 Bibliotheken statt 8.200. Fragen darf
       man doch mal.
       
       Fragen darf man doch mal, sagte sich zwar nicht der Spiegel, dafür aber das
       Herforder Kreisblatt und fragte: Wer ist eigentlich Professor Dieter
       Haselbach? Bei Amazon, wo jeder mit etwas Leidensfähigkeit Begabte das
       Titelfindungs-Homevideo ansehen kann, ist der Autor so vorgestellt: „Dieter
       Haselbach, Professor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg ?“
       
       Sollte das, fragte sich das Herforder Kreisblatt wirklich derselbe
       Haselbach sein, der einst eine „kulturpolitische Strategieprüfung“ ihrer
       kleinen Stadt vornahm, deren Ergebnissen in keinem Punkte gefolgt zu sein
       sie noch heute mit einem Gefühl tiefer Befriedigung und Dankbarkeit
       gegenüber der eigenen Vernunft erfüllt? Also hat das Herforder Kreisblatt
       einfach mal im Marburger Lehrkräfteverzeichnis nachgeschaut.
       
       Aber da fand sich kein Professor Dieter Haselbach. Im Dekanat des
       Fachbereichs 3 – Gesellschaftswissenschaften und Philosophie – erfuhr die
       Zeitung: „Haselbach hat hier einst ein paar Seminare angeboten, aber der
       Kontakt ist längst abgerissen.“
       
       ## Anekdotische Erfahrungen
       
       Name, Titel? Nur „Schall und Rauch“, wusste schon Goethes Faust,
       exemplarischer Vertreter der von Haselbach plus 3 geschmähten „Hochkultur“:
       „Heiße Magister, heiße Doktor gar …“ Was für ein Skeptiker gegen alles
       Äußerlich-Akademische ist dieser Faust: „Habe nun, ach …“ Lassen wir also
       statt Titel Inhalte sprechen, Haselbachs Vortrag „Theater als
       künstlerischer und als wirtschaftlicher Betrieb“. Gleich zu Beginn macht
       der Verfasser darauf aufmerksam, „dass meine Thesen zum Theater als Betrieb
       nicht auf einer systematischen empirischen Forschung, sondern auf
       anekdotischen Erfahrungen beruhen“.
       
       Auf anekdotischen Erfahrungen, wirklich? Aber sollte er damit nicht besser
       zur Komödie gehen statt an eine Universität? Oder könnte der Schöpfer des
       Satzes „Wenn das System den ganzen Tag auf der Couch sitzt …“ eine andere,
       eher zeitlich gerahmte Erfahrungsart gemeint haben? Kursorisch, punktuell
       etwa? Einen Reflex gar auf die eine Stunde, die er einst mit dem Herforder
       Theaterverantwortlichen sprach, bevor er die Empfehlung abgab, das Theater
       zu schließen?
       
       ## Schluss mit lustig
       
       In „Das Theater als künstlerischer und als wirtschaftlicher Betrieb“ lesen
       wir weiter: „… der Theaterbetrieb ist – und das ist eine erste These – ein
       künstlerischer Betrieb“. Er will ausdrücken: Es arbeitet noch nicht
       profitorientiert. Und das möchte der Autor ändern.
       
       Wir verzichten an dieser Stelle darauf, die anderen Mitglieder der
       Erkenntnisgemeinschaft ausführlicher vorzustellen, doch sei vermerkt, dass
       es heute möglich ist, wie Armin Klein Professor für Kulturwissenschaft und
       Kulturmanagement zu werden. Oder wie Stephan Opitz „Referatsleiter für
       Kulturelle Grundsatzfragen im Ministerium für Bildung und Kultur des Landes
       Schleswig-Holstein“.
       
       Ein Referat? Für kulturelle Grundsatzfragen? Kurz vor der Ostsee? Es ist zu
       vermuten, dass sich dieses Realsatireamt aus Steuergeldern finanziert. Nur
       der Vierte, der Schweizer Pius Knüsel, darf da ganz unbesorgt sein, denn
       Pius knüselt bei der Credit Suisse, und zwar in Sachen Kultursponsoring.
       
       ## Eine Art deutscher Sonderweg
       
       Kunst ist ein Spiegel, in dem Menschen sich selbst erblicken.
       Wahrscheinlich hat das die intellektuelle Nachhut der FDP so beunruhigt,
       dass sie in diesem Spiegel nichts erkennt, schon gar nicht sich selbst. Der
       „künstlerische Impuls“, dessen Anwesenheit am Theater Haselbach so
       argwöhnisch macht, wäre für ihn genau in dem Augenblick gerechtfertigt, wo
       er Geld verdient. Wie alles Unnütze in unserer Gesellschaft.
       
       Aber nicht alles an uns ist profitförmig, marktförmig. Und keiner ist nur
       von heute, das Autorenkollektiv ausgenommen. Kunst ist nicht zuletzt
       Erholung vom Verwertungszusammenhang, die Sprachform der Autoren
       inbegriffen. Und wir Deutschen haben eine so reiche Vergangenheit in
       Theater und Musik, fast dürfte man von einem deutschen Sonderweg sprechen.
       
       Theater und Musik sind Handarbeit, hoch spezialisierte Handarbeit, die wird
       immer teurer sein als ein Kulturindustrieprodukt. Wer gäbe uns das Recht,
       diesen Überlieferungszusammenhang zu zerreißen?
       
       „Von allem zu viel und überall das Gleiche“? Der „Faust“ etwa, dieses Stück
       von gestern und übermorgen zugleich, und noch nach über 200 Jahren ist kein
       Wort von gestern. Ob in der „Provinz“ oder jetzt im Hamburger Thalia: Was
       für eine Inszenierung, Regie: Nicolas Stemann. Was für Schauspieler! Und
       die Schulklasse hinter mir verstummt für die nächsten acht Stunden.
       
       21 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kerstin Decker
       
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