# taz.de -- Kommentar Urheberrechte: Das Gefühl, verarscht zu werden
       
       > In einer viralen Tirade schimpft der Musiker Sven Regener auf
       > Urheberrechtsverletzungen im Netz. Doch die von ihm beschworene
       > Kostenloskultur gibt es gar nicht.
       
       Leider hat Sven Regener in seinem Wutanfall im Radio – bei allen kleinen
       Wahrheiten, die in seiner Tirade steckten – das Maß verloren. Der
       Bayerische Rundfunk hat den Sendungsmitschnitt sicher nicht zufällig mit
       dem folgenden Regener-Zitat übertitelt: „Eine Gesellschaft, die so mit
       ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“
       
       Die Frage, wie eine Gesellschaft mit ihren Künstlern umgeht, ist sicher
       eine Frage, die seit mindestens 2000 Jahren mehr Aufmerksamkeit verdient,
       vor allem aber in einer Zeit, in der jeder ein Künstler oder zumindest
       Erschaffer von Werken sein kann. Wer sich nur ein bisschen länger als 5
       Minuten im Internet umschaut, kann dort nicht nur Lizenzverletzungen,
       sondern eine gigantische Explosion von manchmal fragwürdiger, aber oft
       grandioser Kreativität beobachten.
       
       Aber leben wir in einer „wertlosen“ Gesellschaft? Sind die Werte, auf denen
       diese Gesellschaft fußt, nichts wert, weil angeblich einige Mitglieder
       dieser Gesellschaft behaupten, sie wollten für Musik nicht zahlen?
       
       Ich glaube, dass es diese immer wieder aufs Internet projizierte angebliche
       „Kostenloskultur“ oder -mentalität nicht gibt. Und ich glaube auch, dass
       man sich darüber vortrefflich streiten kann. Es gibt enorm viele Argumente
       aber vor allem Fakten und Zahlen, die meiner Ansicht nach belegen, dass
       auch Menschen die im Internet leben bereit sind sehr viel Geld für
       künstlerische Werke zu bezahlen. Die Umsätze des iTunes-Stores, von Amazon,
       das Phänomen des „Crowdfundings“ und selbst Kim Schmitz’ „Megaupload“
       zeigen, dass Musik, Filme und Fernsehsendungen im Internet auch für
       Milliarden-Umsätze sorgen können.
       
       Die Fragen, ob es tatsächlich eine „Kostenloskultur“ gebe, ob
       milliardenschwere Internetkonzerne wie Google, inklusive dem Videodienst
       Youtube, mächtiger oder böser als die Plattenfirmen oder
       Verwertungsgesellschaften sind, ob „Raubkopien“ nicht besser
       „Lizenzverletzungen“ genannt werden sollten, werden seit Jahren kontrovers,
       aber ebenso oft sachlich und reflektiert geführt.
       
       Wer das vertiefen will, kann sich mal ein bisschen in [1][Marcel Weiß']
       oder [2][Mike Massnicks] Blogs reinlesen oder, nur so als Beispiel, Johnny
       Haeuslers [3][sehr differenzierten Artikel] zum Streit zwischen Youtube und
       der Gema durchlesen. Ich kann und will das hier und jetzt gar nicht
       weiterführen.
       
       ## Regener kotzt sich halt mal aus
       
       Aber eine Diskussion über das Urheberrecht oder wie Künstler in einer Zeit,
       in der die Unterhaltungsindustrie trotz Rekordumsätzen den sterbenden
       Schwan spielt, sucht Sven Regener offenbar nicht. Er ist einfach genervt,
       kann das alles nicht mehr hören und kotzt sich halt mal aus.
       
       Statt einer Diskussion fordert Sven Regener Respekt und Anstand im Umgang
       mit Künstlern. Und so sehr er damit recht hat und das teilweise auch recht
       drastisch und unterhaltsam vorträgt („Ansonsten können sich ja alle ihre
       Lieder von Kim Schmitz vorsingen lassen“), so sehr übersieht er
       offensichtlich, dass die Leute, die er explizit „Proleten“, „Deppen“,
       „Banausen“ und zwischen den Zeilen Diebe, Zahlungsunwillige und
       Mainstream-Ärsche nennt, ebenso ein bisschen Respekt und Anstand erwarten.
       
       Warum darf man beispielsweise Platten weiterverkaufen, legal gekaufte MP3s
       aber nicht? Warum waren CDs jahrelang um ein Vielfaches teurer als
       Vinyl-Platten, obwohl sie viel günstiger herzustellen waren? Warum kosten
       Lieder als Klingelton fürs Handy so absurd viel? Warum ist es so oft
       verboten, die Band, die man als Fan verehrt, auf einem Konzert zu
       fotografieren? Warum ist es verboten, ein Lied, das man liebt, mitzusingen
       und das auf Youtube zu stellen?
       
       Warum kämpfen Plattenfirmen dafür, dass einem für wiederholte
       Lizenzverletzungen die Kommunikationsmöglichkeiten genommen werden dürfen
       (Verwerterdeutsch: „Three Strikes“-Regelung), wenn das der Verwerter,
       Lizenzgeber oder seine Anwälte so wollen — und nicht etwa ein Richter?
       
       ## Grundlage für Respekt und Anstand
       
       Natürlich ist ein diffuses Gefühl, von einer Industrie verarscht zu werden
       kein Grund deren Lizenzbedingungen und Spielregeln zu brechen, aber
       möglicherweise ist dieses Gefühl auch nicht die beste Grundlage für
       gegenseitigen Respekt und Anstand.
       
       Sven Regener spricht [4][an anderer Stelle] von Spielregeln, an die man
       sich halten müsse. Mag sein, dass er die Regeln kennt und beispielsweise
       zwischen „mechanischen Rechten“ und den sogenannten „Sync-Rechten“
       unterscheiden kann.
       
       Aber woher soll ein 13-Jähriger (oder ein „Prolet“) diese Unterschiede
       kennen oder erkennen, dass das was Radio, Fernsehen, Supermärkte oder
       Youtube machen legal ist und Musik scheinbar kostenlos in die Welt blasen
       dürfen, er sich aber in das Fadenkreuz von Regeners Anwälten begibt, wenn
       er in seiner jugendlichen und juristischen Unbedarftheit dasselbe auf
       seiner Homepage tut?
       
       Leute, die finden, dass das Urheberrecht möglicherweise zu kompliziert ist
       oder dass neue, einfache, zeitgemäße Möglichkeiten, Musik zu verwerten,
       gesucht werden müssen, einfach als verlogene, doppelzüngige Piraten zu
       beschimpfen, hilft bei einer respektvollen oder anständigen Diskussion auch
       nicht wirklich. Zumindest könnte es helfen, mal zu fragen oder zu gucken,
       ob die auf der anderen Seite ihr Verhalten nicht vielleicht radikal ändern,
       wenn sie selbst Respekt und Anstand spüren und man ihnen offen, ohne
       Beschimpfungen und Unterstellungen gegenübertritt.
       
       Schaden kanns jedenfalls nicht.
       
       23 Mar 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.neunetz.com/
 (DIR) [2] http://www.techdirt.com/
 (DIR) [3] http://www.spreeblick.com/2011/06/21/gema-vs-youtube-geruchte-zahlen-forderungen/
 (DIR) [4] http://www.morgenpost.de/kultur/article1458364/Was-Element-of-Crime-gegen-Raubkopierer-hat.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Schwenzel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Sven Regener
       
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