# taz.de -- Alltag aus Athen, Teil 2: „Das ist eine Lose-Lose-Situation“
       
       > Zoi Livanou ist als Griechin in Südafrika aufgewachsen. Rassismus und
       > Stereotypen bestimmten ihre Kindheit. Als ihre Familie zurückzog, wurde
       > sie zur Außenseiterin.
       
 (IMG) Bild: Zoi macht sich Sorgen, dass die aktuelle Stimmung auch den Kulturtourismus in Griechenland schädigt.
       
       ATHEN taz | „Krisen kommen und gehen. Aber ihre unmittelbaren Einflüsse auf
       uns bestimmen unsere persönliche Zukunft“, sagt Zoi Livanou. Sie lebt seit
       den 80er Jahren in der Kleinstadt Limenaria auf der Insel Thasos im
       äußersten Norden des ägäischen Archipels. Zoi bedeutet auf Griechisch
       „Leben“, und weil ihr eigenes von zahllosen Widrigkeiten bestimmt war,
       glaubt sie, dass die Krise die Menschen in Griechenland stärker machen
       wird.
       
       „Mit oder ohne Euro sind die Griechen arm. Man hat nicht wirklich die Wahl.
       Das Überleben hier in unserer kleinen Gemeinde fußt darauf, einander zu
       helfen. Genau das schafft ein größeres persönliches, aber auch kollektives
       Selbstbewusstsein. Meine Freunde in den Großstädten erzählen, dort sei es
       anders. Insofern haben wir auf dem Land noch Glück.“
       
       In die Apartheid hineingeboren, wuchs Zoi priviligiert in Südafrika auf,
       umgeben von anerzogenen rassistischen Vorurteilen. Als die Familie im Zuge
       der Unruhen um die Unabhangigkeit Rhodesiens (heute: Simbabwe) in das
       Heimatdorf des Vaters in der Nähe von Sparta zurückzog, erlebte sie die
       Diskriminierung selbst.
       
       „Die anderen Kinder hänselten mich, weil ich kein Wort Griechisch sprach.
       Aufgrund dieser Erfahrungen sind für mich Diskriminierung und
       Stigmatisierung gedanklich immer auch mit fehlender Reife und Ausbeutung
       verbunden. Griechenland wird gerade von vielen Seiten drangsaliert und
       damit auch wir, die wir im Land leben. Das Ganze mutet an wie
       psychologische Kriegsführung. Dabei bräuchten wir gerade jetzt einen
       ,Waffenstillstand‘ und Solidarität. Es ist nicht die Zeit einander
       anzuklagen, wir müssen einander helfen – hier und im Ausland.“
       
       ## „Lange wurde auf Kosten anderer gelebt“
       
       Zoi weiß, sollten die Rentenzahlungen ausbleiben, wollen und müssen sich
       ihr Mann und ihre beiden Kinder um die 96-jährige Großmutter kümmern. „Es
       wird kein Vorangehen geben ohne einen gnädigen Umgang mit der
       Vergangenheit. Ich trauere meinem verlorenem Wohlstand nicht hinterher, der
       meiner Familie auf Kosten der Apartheid zuteil wurde. Das war grundlegend
       falsch.“
       
       Sie ergänzt kritisch im Hinblick auf die Lage im eigenen Land: „Wir haben
       lange von den hohen EU-Subventionen profitiert. Jetzt werden alle
       Zugeständnisse machen müssen, zu lange wurde auf Kosten anderer gelebt. Man
       sollte endlich einen Schlussstrich ziehen und selbst Verantwortung
       übernehmen.“
       
       Zoi kocht von Mai bis Oktober in einem kleinen Strandrestaurant in Tripiti,
       dass sie gemeinsam mit ihrem Mann betreibt. Die Besucherzahlen sind in den
       letzten drei Jahren um 20 Prozent gesunken. Seidem hat sie Angst, dass die
       aktuelle Stimmung auch den Tourismus massiv schädigt.
       
       „Es ist eine ,Lose-Lose-Situation‘. Wenn unsere Gäste ausbleiben, gefährdet
       das unsere Existenz. So wie die Touristen erlebe auch ich jeden Tag das
       Wechselspiel zwischen der landschaftlichen Schönheit und der aus der Antike
       stammenden Ruinen. Beides ist für mich ein wichtiger Teil des europäischen
       Kulturerbes. Diese Erfahrung ist prägend für mich, seit ich als Kind aus
       Südafrika nach Griechenland zurückkam. Ich habe Angst davor, dass all das
       in Vergessenheit gerät, weil sich niemand mehr dafür interessiert. Dann
       käme auch eine ideelle Armut auf uns zu.“
       
       ## Den eigenen gordischen Knoten zerschlagen
       
       Ohne in einer Schockstarre zu verharren oder sich zu lange mit den
       widersprüchlichen Aussagen in den Medien aufzuhalten, durchschlägt Zoi
       ihren eigenen gordischen Knoten, damit es weitergehen kann. „Als ich als
       Kind nach Griechenland kam, musste ich erstmal einen Zugang zur Sprache
       finden. Das war eine Art persönlicher Dechiffrierungsprozess. Im Prinzip
       ist es jetzt mit den unterschiedlichen Botschaften aus den Medien das
       Gleiche.
       
       Verzerrt oder surreal, da ist nichts, was ich tun kann um diese Komplexität
       der Interessen zu entwirren. Also versuche ich meine Gefühle und Eindrücke
       so einfach wie möglich zu reflektieren. Ich habe angefangen notwendige
       Lebensmittel selbst anzubauen und erledige das Meiste zu Fuß, anstatt zu
       fahren.“
       
       Kleinigkeiten schaffen Freiräume, die sie für sich und intensive Gespräche
       mit der Famile nutzt. Emigrierte und später zurückgekehrte GriechInnen wie
       Zoi haben einen besonderen Blick auf die aktuelle Situation. Es überwiegt
       die Hoffnung auf Besserung.
       
       „Wir lernen gerade das zu schätzen, was sonst als selbstständlich galt, und
       genau da liegt das eigentliche Problem. Diese Krise – wie jede davor – wird
       uns zurückbringen zu den Fundamenten des Lebens, die wir allzu lange aus
       dem Blick verloren haben.“
       
       Übersetzung: Jan Scheper
       
       29 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sergio Tsitakis
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Folgen der Griechenlandkrise: Flüchtlinge als Sündenböcke
       
       Rassismus und leere Kassen bedrohen die Sicherheit von Migranten in
       Griechenland. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warnt vor einer
       humanitärern Katastrophe.
       
 (DIR) Wahlkampf in Griechenland: Blanke Hetze gegen Migranten
       
       Parteien machen die Migration zum Thema im Wahlkampf. „Illegale“
       Einwanderer seien "Schädlinge" und sollten in Militärkasernen untergebracht
       werden
       
 (DIR) Krise in Griechenland: Selbstmord aus Protest
       
       Offenbar aus Verzweiflung über die Sparpolitik erschießt sich ein
       77-Jähriger in Athen. Er wolle lieber tot sein, als auf der Müllkippe nach
       Essbarem zu suchen.
       
 (DIR) Griechische Bauern in der Krise: Zauber der Kartoffeln
       
       Die Wucherpreise im Supermarkt kann sich der 69-jährige Nikolaos Tsipis
       nicht mehr leisten. Jetzt kauft er seine Kartoffeln direkt beim Bauern am
       Straßenrand.
       
 (DIR) Alltag in Athen, Teil 1: „Sie wollen unsere Krumen zurück“
       
       Seit 30 Jahren fährt Kostas Aggelopoulos Taxi in Athen. Von der
       griechischen Regierung fühlt er sich verraten und hofft auf die Solidarität
       der europäischen Nachbarn.