# taz.de -- Alltag in Athen, Teil 1: „Sie wollen unsere Krumen zurück“
       
       > Seit 30 Jahren fährt Kostas Aggelopoulos Taxi in Athen. Von der
       > griechischen Regierung fühlt er sich verraten und hofft auf die
       > Solidarität der europäischen Nachbarn.
       
 (IMG) Bild: Vorbei an verwaisten Geschäften: Lange Fahrten mit zahlenden Gästen sind für Taxifahrer Kostas eher die Ausnahme.
       
       „Heute“, sagt Kostas Aggelopoulos desillusioniert, „kostet der Liter Diesel
       1 Euro 50, Unterhalt und Versicherung liegen bei 4.500 Euro. Am Ende bleibt
       nichts mehr übrig. Wenn ich in Rente gehe, stünden mir 900 Euro monatlich
       zu. Sicher ist allerdings nichts. Auch wenn sie meine Pension reduzieren,
       werde ich aufhören müssen zu arbeiten, dabei verdiene ich jetzt schon kein
       Geld mehr.“
       
       Kostas ist einer von 30.000 Taxifahrern in Athen, die sich auf 14.000 Taxen
       verteilen. Er teilt sich einen Wagen mit seinen Bruder. Obwohl die beiden
       24 Stunden arbeiten könnten, steht das Taxi oft den halben Tag lang still.
       
       „Wenn ich an den Ampeln stehe, sehe ich überall verwaiste Geschäfte.
       Niemand geht noch regelmäßig einkaufen. Sogar am Samstagabend stehen meine
       Kollegen und ich eine halbe Ewigkeit auf der Piazza und warten. Langsam,
       aber sicher gehen die Menschen kaputt. Wir alle brechen Stück für Stück
       innerlich zusammen. Es ist ein Dominoeffekt. Während ich meine Touren
       mache, fallen mir mehr und mehr Leute auf, die im Müll wühlen. Ich habe
       Athen noch nie so gesehen.“ Kostas Aggelopoulos kommt aus dem arkadischen
       Dorf Velimahi auf der nördlichen Peleponnes.
       
       Es schwingt Stolz mit, wenn er über seine Herkunft und seine Helden
       spricht. Für ihn hat das karge Hochland seit jeher wahre Idealisten
       hervorgebracht – Grigoris Lambrakis beispielsweise. Der linke Politiker
       wurde 1963 während einer Friedenskundgebung in Saloniki von einem LKW
       überfahren. Hinter dem Steuer saßen Rechtsextremisten.
       
       Der gewaltsame Tod von Lambrakis bewegt Aggelopoulos bis heute. Seine
       jungen Fahrgäste weist er deswegen oft auf den oscarprämierten Film „Z“ von
       Costa Gavras – auch gebürtiger Arkadier – hin, der die Geschichte des
       Attentats erzählt. Der Polit-Thriller war 1969 ein mutiger öffentlicher
       Angriff auf die politischen Verhältnisse in 1960iger Jahren, die im
       Nachhinein zur Militärdiktatur in Griechenland führten.
       
       ## Jenseits der Idylle
       
       Seit der Antike wird die gebirgige Heimat des Taxifahrers als Sinnbild
       idyllischen Lebens, als „utopisches Land“ verklärt, sei es nun in Vergils
       Hirtengedichten oder den Barockgemälden von Poussin. Als Kostas allerdings
       1970 Arkadien Richtung Athen verließ, war seine Heimat alles andere als
       idyllisch. „Die Leute hungerten und waren bettelarm. Es gab kaum genug Vieh
       um das steinige Ackerland zu bewirtschaften. Wenn ich die aktuelle
       Arbeitslosigkeit sehe, muss ich oft an diese Zeit denken“, sagt er heute.
       
       Es folgten 12 Jahre als Bauarbeiter, dann kam das Taxifahren. Kostas
       seufzt. 2004 kaufte er sich einen neuen Wagen. Dies sei der Illusion
       geschuldet gewesen, die olympischen Spiele würden dem Geschäft einen Schub
       geben, erklärt er. Von seinem Optimismus ist kaum etwas übrig geblieben.
       
       Der Taxifahrer fühlt sich verraten von jeder griechischen Regierung, die in
       den letzten 30 Jahren die Macht innehatte: „Sie haben uns Brotkrumen
       hingeschmissen um gewählt zu werden und den Brotlaib dann untereinander
       verteilt. Jetzt wollen sie auch noch unsere Krümmel zurückhaben. Das ist
       einfach unfair. Wir werden alle vergessen.“
       
       ## Gefühlte Sackgasse
       
       Aber darüber macht sich Kostas weniger Gedanken als um seine 32-jährige
       Tochter Ioanna und seinen neugeborenen Enkel. „Sie ist gerade im
       Mutterschaftsurlaub. Ich hoffe, sie verliert deswegen nicht ihren Job.“
       Athen scheint sich für ihn nur noch wie eine einzige Sackgasse anzufühlen.
       
       Doch angesprochen auf mögliche Perspektiven, reagiert Kostas aufgekratzt:
       „Verzweiflung erlebe ich hier jeden Tag. Ich sehe sie im Rückspiegel, in
       den Augen meiner Fahrgäste. Aber obwohl uns wahrscheinlich noch mehr Kummer
       droht, habe ich das Gefühl das unsere europäischen Nachbarn solidarisch
       sind.
       
       Sie wissen, dass wir ungerecht behandelt werden. Genau darin liegt meine
       Hoffnung, und miteinander solidarisch zu bleiben, wird die größte
       Herausforderung sein. Auf dieses Gefühl vertraue ich, nicht auf die
       sogenannten Experten im Radio“.
       
       Für die meisten klingt diese Hoffnung angesichts der aktuellen Lage
       unbegründet, aber sein Tonfall lässt keinen Zweifel zu. „Wir werden das
       schaffen“, sagt Kostas Aggelopoulos.
       
       Er kommt aus Arkadien. Er kennt sich mit Utopien aus.
       
       Übersetzung: Jan Scheper
       
       20 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sergio Tsitakis
       
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