# taz.de -- Grenzen in der Sahara: Eines Tages waren sie plötzlich Malier
> Viele Angehörige der Tuareg wachten eines Morgens auf und waren plötzlich
> Bürger eines Staates, den sie gar nicht kannten: Mali, Algerien, Niger.
(IMG) Bild: Braucht keinen Zentralstaat: Sahara-Nomade.
BAMAKO/COTONOU taz | Aïcha Walet braucht beide Hände, um nachzuzählen, wie
viele Sprachen sie spricht. Auf acht kommt die Mitarbeiterin in Malis
Bildungsministerium schließlich.
Obwohl sie dort meistens Bambara – Malis wichtigste Verkehrssprache – und
Französisch spricht, ist eine ihre Herzensangelegenheit: Tamashek, die
Sprache der Tuareg, ihres Volkes. Aïcha Walet stammt aus Timbuktu und
erinnert sich gerne an ihre Kindheit in der sagenumwobenen Stadt, wo noch
heute große Teile ihrer Familie leben.
Timbuktu ist Heimat für sie. In Bamako hat sie einen guten Job beim Staat.
Sie betreut Nomadenschulen, die es möglich machen, dass Tuaregkinder mit
ihren Familien mitziehen und zugleich zur Schule gehen, denn ein Lehrer
begleitet die Gruppen ständig.
Genau dieses Umherziehen, verbunden mit einer großen Unabhängigkeit, ist
auch für Issa Dicko, Mitorganisator der wohl berühmtesten
Kulturveranstaltung in Timbuktu, des Festival au Désert, existenziell für
das Nomadenvolk. „Es hat früher die ganze Sahara kontrolliert“, sagt Dicko,
der selbst Targi ist.
Früher waren die Tuareg in großen Konföderationen organisiert, zu denen
mehrere Großfamilien gehörten und die damals in der Sahara ebenso bekannt
waren, wie es heute die Namen von Staaten sind, analysiert Dicko. „Regeln
und Gesetze von außen gab es nicht“, erklärt er. Das passt nicht in die
heutige Welt mit engen Gesetzen und Vorschriften, Reisepässen, vor allem
aber ziemlich willkürlich gezogenen Staatsgrenzen. Außer in Mali leben
Tuareg in Algerien, Libyen, Niger und Burkina Faso.
## Kein Platz für Nomaden
„Eines Tages waren sie plötzlich Algerier oder Malier in einem Staat, den
sie überhaupt gar nicht kennen“, sagt Issa Dicko. „Die Menschen verloren
mit einem Mal ihre ganze Autonomie. Den zentralen Staat erleben sie als
einen, der sich nicht kümmert und der vor allem für Repressionen zuständig
ist.“
Für ein Nomadenvolk ist kein Platz. Für Yehia Ag Mohamed Ali, nationaler
Koordinator des deutschen Entwicklungsprogramms Mali Nord, hat das vor
allem zu einer Entwicklung geführt: „Menschen fragen sich, ob ein Targi
seinen Job nur bekommen hat, weil er Targi ist.“
Aïcha Walet ist indes froh, dass sie diesen Vorwurf noch nicht gehört hat.
„In Bamako erlebe ich keinen Rassismus“, sagt sie und vermutet: „Manchmal
werden persönliche Diskrepanzen als Rassismus gedeutet.“ Ohnehin erlebt sie
seit Beginn der jüngsten Krise im Januar eine andere Entwicklung. „In der
Hauptstadt rücken die Menschen viel dichter zusammen. Bambarafamilien
nehmen Tuareg auf. Man hilft sich gegenseitig.“
6 Apr 2012
## AUTOREN
(DIR) Katrin Gänsler
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Ein Augenzeuge berichtet aus Mali: Per Bus zu den Tuareg-Rebellen
Ein Arzt aus Malis Hauptstadt Bamako berichtet über eine Reise in sein
Dorf, das im Gebiet der Tuareg-Rebellen liegt. Was er unterwegs sieht,
erschrickt und bedrückt ihn.
(DIR) Nach dem Putsch in Mali: Im Schatten der Islamistenfahne
Die Berichte aus dem von Tuareg-Rebellen ausgerufenen Wüstenstaat zeugen
von islamistischen Übergriffen. Auch die Versorgungslage scheint schlecht
zu sein.
(DIR) Libyen und die alten Konfilkte: Wüste der Feindseligkeit
Der Arm des Staates reicht nicht mehr bis in den Süden. In Kufra stehen
sich arabische Zuweia und schwarzafrikanische Toubou gegenüber.
Revolutionäre versuchen zu vermitteln.
(DIR) Militärputsch in Mali: Die Militärjunta gibt auf
Die Putschisten in Bamako haben die Macht wieder abgegeben. Im Gegenzug hat
Westafrika Sanktionen aufgehoben und überlegt, bei der Rückeroberung des
Nordens zu helfen.
(DIR) Nach Militärputsch in Afrika: Malischer Präsident tritt zurück
Ende März hatten Soldaten in Mali gegen die Regierung geputscht.
Staatsoberhaupt Amadou Toumani Touré tauchte danach unter. Jetzt gibt er
das Amt ab.
(DIR) Tuaregrebellen rufen eigenen Staat aus: Revolte gegen kolonialistische Grenzen
Im Norden Malis erklärt die Rebellenarmee MNLA die Unabhängigkeit. Das von
ihr beanspruchte Gebiet nennen sie „Azawad“.