# taz.de -- Meda am Schauspiel Frankfurt: Die unversöhnliche Siegerin
       
       > Michael Thalheimer inszeniert am Schauspiel Frankfurt Euripides Medea.
       > Zuletzt gabs' wenig Lob für das Haus. Medea könnte jetzt ein rauschender
       > Erfolg werden.
       
 (IMG) Bild: Blutig und wuchtig: Constanze Becker als Medea.
       
       Aus dieser Frau wird man nicht schlau: Ist sie Opfer oder Täterin?
       Unerhörtes Scheusal oder über die Maßen Liebende?
       
       Michael Thalheimer gibt zum Glück keine eindeutigen Antworten auf Fragen,
       die diese Figur seit jeher aufwirft, sondern lässt Medea in all ihrer
       grandiosen Disparität aufheulen.
       
       Constanze Becker, die schon 2007 in seiner „Orestie“ als Klytaimnestra ihre
       blutigen Wunden bleckte, verkörpert Medea ungeheuer fleischlich. Als
       wuchtige Mutter, die noch im größten Leid vor Vitalität strotzt. Im hellen
       Unterrock, zu Anfang noch in Mantel und derben Stiefeletten (Kostüme: Nehle
       Balkhausen), besteht sie zu Beginn des zweistündigen Abends nur aus
       Schreien. Schreien, die sich aus ihrem tiefsten Inneren in unfassbare Höhen
       schrauben, bis sie in ein tierisches, alarmlärmendes Kreischen kippen.
       
       Viele Male ist diese schwer auszuhaltende, monströs und artifiziell
       schallende Jammerklage zu hören. Mit großen Augen, strähnigen Haaren und
       blutbeflecktem Körper steht Medea vor uns, was in diesem Falle bedeutet,
       sie steht an der hinteren Rückseite der nackten Bühne, wo Olaf Altmann für
       sie eine hohe Wand aufgestellt hat, auf deren Vorsprung sie wütet. So weit
       weg scheint sie die meiste Zeit des Abends, dass wir sie mehr hören als
       sehen, was sie noch unheimlicher erscheinen lässt.
       
       ## Spannende Tragödie ist über 2.000 Jahre alt
       
       Erst später, als alles zu spät, rückt sie samt der Wand an die Rampe. Auf
       ihrer Empore scheint sie allen anderen schon räumlich überlegen, selbst
       Kreon (Martin Rentzsch), Herrscher von Korinth, dem Land, in dem die kluge,
       stolze Kolcherin Medea Unterschlupf fand, wirkt unter ihren dunklen Blicken
       wie ein Schwitzling, der sich noch nicht einmal traut, ihr ins Gesicht zu
       sehen. Ihre Verbannung kann sie nicht verhindern, aber er gewährt ihr einen
       Tag Aufschub.
       
       Mehr benötigt die Tragödie nicht, um ihr Unheil zu verrichten. Nachdem
       Medea für Jason das Goldene Vlies raubte und manch andere Drecksarbeit für
       ihn erledigte, verlässt er sie, um fürderhin die Königstochter Kreons zu
       beglücken. Medea schwört Rache und wird schlussendlich nicht nur den König
       und seine Tochter töten, sondern auch ihre eigenen beiden Söhne. Nicht im
       Affekt, sondern nach einem wohl oder übel überlegten Plan.
       
       So hat es Euripides vor mehr als 2.400 Jahren festgeschrieben. Eine
       Wahnsinnstat. Ein ungeheurer Racheakt, der an diesem Abend weniger vom
       Schmerz einer großartig Liebenden zeugt als vom unfassbaren Hass einer
       Unversöhnlichen.
       
       ## Präzise und überwältigend
       
       Thalheimer, der dem Intendanten Oliver Reese vor drei Jahren mit seinem
       antiken Doppelschlag „Ödipus/Antigone“ einen prächtigen Beginn in Frankfurt
       bescherte, setzt auch seine „Medea“ überwältigend in Szene. Immer wieder
       führt er seine Schauspieler in ungelenke Posen, in denen sie sich winden,
       krümmen, ducken. Jason betritt in einem unwahrscheinlich blauen Anzug die
       Bühne. Marc Oliver Schulze spielt ihn als großen Undurchsichtigen.
       
       Mit Medea in die Fremde geflüchtet, flieht er jetzt in die Arme der
       Königstochter, heiratet also hoch hinauf, was für alle besser ist, wie er
       meint. Wenn er vor Medea tritt, windet er sich unter ihren Worten hindurch,
       zieht den Kopf ein, macht sich klein und sagt schon mal Sätze wie „Ich will
       nicht länger streiten“ und erweckt damit für einen kurzen Augenblick den
       Eindruck, hier rangele ein Paar um Kinder und Besuchszeiten.
       
       Dabei verlässt die Inszenierung, die dem in letzter Zeit nicht gerade von
       Kritikerlob umschwärmten Haus einen rauschenden Erfolg garantiert, nur
       einen Moment lang ihr strenges Aufführungskonzept, das seine
       Wirkmächtigkeit vornehmlich aus seiner präzisen Choreografie von Worten,
       Körpern und Licht bezieht. Den Chor der korinthischen Frauen speckt
       Thalheimer auf eine einzige ab: Bettina Hoppe warnt und wirft dabei wie die
       anderen lange Schatten. Nach ihrem Entscheidungsmonolog aber blinken hinter
       Medea Piktogramme auf, die standardisierte Lebensläufe abbilden:
       
       ## Mesea zu harter Rockmusik
       
       Frau, Mann, Kind, Glück und so fort. Dazu wummert immer lauter werdende
       Rockmusik. Medea steht jetzt da, als habe sie vollends den Verstand
       verloren, streckt die Zunge raus und verrenkt sich wie vom Teufel befallen.
       Ein paar Minuten dauert das fürchterliche Zwischenspiel, dann geht es
       weiter im Text. Medeas Entscheidung ist gefallen.
       
       Und am Ende ist Jason nicht mehr als ein nasser auf der Erde liegender
       Wurm. Medea hat ihn buchstäblich kleingekriegt. Sie selbst erscheint nach
       der Tat ungeheuer wohlauf in einem schwarzen Etuikleid, wirft sich ihren
       alten Trenchcoat über und stolziert von der Bühne. Wie eine Siegerin.
       Unfassbar.
       
       18 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Shirin Sojitrawalla
       
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 (DIR) Performance
       
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