# taz.de -- Nach Selbstverbrennung in Algerien: Soziale Proteste im Vorfeld der Wahlen
       
       > In der Stadt Jijel versucht ein Mann, sich aus Protest gegen den Abriss
       > seines Ladens selbst zu verbrennen. Es kommt zu Krawallen und
       > Plünderungen. In Algier wird demonstriert.
       
 (IMG) Bild: Die Demonstranten, die gegen befristete Arbeitsverträge protestieren, sprechen nach eigenen Angaben für 600.000 Menschen.
       
       MADRID taz | Die Bilder erinnern an den Beginn des arabischen Frühlings.
       Wie im Dezember 2010 in Tunesien zündete sich am Sonntag im algerischen
       Jijel – 360 Kilometer östlich der Hauptstadt Algier - ein fliegender
       Händler selbst an, nachdem die Polizei seinen Stand abgeräumt hatte. Der
       Schwerverletzte wurde in eine Spezialklinik nach Constantine, der größten
       Stadt im Osten Algeriens, gebracht.
       
       Die Nachricht verbreitete sich schnell in Jijel. Junge Menschen strömten
       zusammen, um gegen die unerträgliche soziale Lage im Land zu protestieren.
       Sie stürmten die Provinzverwaltung, steckten ein staatliches Reisebüro und
       den Sitz der ehemaligen Einheitspartei FLN, die auch 50 Jahre nach der
       Unabhängigkeit von Frankreich das Land regiert, in Brand. Bis in die späten
       Nachtstunden kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei.
       
       Es war nicht die erste Selbstverbrennung, seit im benachbarten Tunesien die
       Protestbewegung im Januar 2011 das Regime stürzte. Die algerische Presse
       zählt seither Dutzende solcher Aktionen. Doch anders als in Tunesien sprang
       der Funke nie auf das ganze Land über. Algerien ist regional
       aufgesplittert, Staatsmacht und Polizei wissen dies zu nutzen und
       unterdrücken die Proteste, zu denen es fast täglich irgendwo im Lande
       kommt, schnell.
       
       Auch in der Hauptstadt Algier regte sich am Wochenende Unmut. 200 junge
       Angestellte aus dem öffentlichen Dienst protestierten in der Hauptstadt
       gegen ihre Arbeitsbedingungen. Sie haben nur Zeitverträge. 600.000 weiteren
       jungen Algerien, die in der Verwaltung arbeiten, gehe es genauso. Die
       unabhängige Gewerkschaftsbewegung, der auch die Demonstrierenden angehören,
       beschuldigen die Regierung mit schlecht bezahlten Zeitverträgen die
       Arbeitslosenstatistik beschönigen zu wollen. Das Erdöl- und Erdgas-reiche
       Land kann sich das leisten.
       
       ## 21 Prozent der jungen Algerier sind arbeitslos
       
       Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind dennoch 21
       Prozent der Algerier unter 35 ohne Job. Diese Altersgruppe stellt mehr als
       zwei Drittel der Gesamtbevölkerung. „Wir haben die Schnauze voll von der
       Ungerechtigkeit, dem Regionalismus, Vitamin B und der Marginalisierung“,
       riefen die Protestierenden immer wieder.
       
       Sie solidarisierten sich mit ihrer Aktion außerdem mit Abdelkader Kherba,
       einem der Ihren, der sich seit dem seiner Verhaftung am 18. April im
       hauptstädtischen Hochsicherheitsgefängnis Serkadji im Hungerstreik
       befindet. Der junge Menschenrechtler hatte an einer
       Arbeitslosendemonstration teilgenommen. Mittlerweile wurde er wegen
       „direkter Anstiftung zur Zusammenrottung“ zu drei Jahren Haft verurteilt.
       
       „Was ist aus der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Algerien
       geworden?“ fragt Hakim Addad, Aktivist der Jugendorganisation RAJ und
       Kandidat der sozialistischen Oppositionspartei FFS zu den Wahlen am
       kommenden 10. Mai. Addad wurde vergangenen Woche von der Polizei abgeführt,
       als er versuchte, an der Gerichtsverhandlung gegen Kherba teilzunehmen.
       
       Die jungen, unabhängigen Gewerkschafter drohen, am Wahltag zu protestieren
       und Wahllokale zu blockieren. Dies wird wohl kaum etwas ändern. Denn das
       Interesse der Algerier am Urnengang ist denkbar gering. Die
       Wahlkampfveranstaltungen werden kaum besucht. Bei den Parlamentswahlen vor
       fünf Jahren gaben knapp 36 Prozent ihre Stimme ab. In Algier waren es sogar
       nur 18,4 Prozent.
       
       30 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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