# taz.de -- Der Bürgermeister von Zeralda: Allein gegen die Mafia
       
       > Der algerische Bürgermeister Khatir Mouhib versuchte, die Korruption zu
       > bekämpfen. Er landete im Gefängnis. Jetzt ist er berühmt – und machtlos.
       
 (IMG) Bild: „Mafiöses Geflecht“: Bürgermeister Mouhib am Strand von Zeralda, im Hintergrund Schwarzbauten.
       
       ZERALDA taz | Es war kein Sonntag wie jeder andere. Khatir Mouhib,
       Bürgermeister von Zeralda, einem Badeort am Mittelmeer, 20 Kilometer
       westlich von Algier, war an jenem 6. Juli 2011 auf dem Nachhauseweg, als
       sich plötzlich ein Auto vor ihm querstellte. Mehrere dunkle Gestalten
       zerrten den 49-jährigen Mouhib aus seinem Wagen, entwendeten ihm seine
       Dienstpistole und zwangen ihn unter Schlägen und Beschimpfungen zum
       Einsteigen.
       
       „Sie umgingen alle Straßensperren der Polizei und Armee. Ich dachte, das
       war’s, ich bin in den Händen von Terroristen“, berichtet Mouhib. Weit
       gefehlt. Denn plötzlich bogen sie in einen Hof ein und fuhren in eine
       Garage. Es war die Kaserne der antiterroristischen Brigaden.
       
       „Ich verschwand für sieben Monate in U-Haft“, erzählt Mouhib. Es war der
       dramatische Höhepunkt seiner Auseinandersetzung mit der örtlichen Mafia.
       
       ## Ein Neuling in der Politik
       
       Alles begann 2007. Die Bevölkerung von Zeralda hatte Khatir Mouhib gebeten,
       fürs Bürgermeisteramt zu kandidieren. Unzufrieden mit dem langjährigen
       Amtsinhaber der einstigen Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront),
       setzten die Menschen auf den Teppich- und Fliesenhändler.
       
       „Unsere Familie ist die älteste am Ort. Ich hatte überhaupt keine Erfahrung
       in der Politik.“ Doch auf Anhieb gewann er mit seiner unabhängigen Liste
       die Mehrheit im Gemeinderat. Der Schock kam am Tag nach der Amtseinführung.
       „Die Konten der Stadt wurden gesperrt. Ich konnte nicht einmal die Löhne
       und Gehälter auszahlen“, sagt Mouhib. Grund: Die Stadt sei zu verschuldet.
       
       ## Kein Geld in der Stadtkasse
       
       Zeralda mit seinen 51.000 Einwohnern ist eigentlich reich, ein beliebtes
       Badeziel mit Hochschulen und Industrie. Hier hat der Staat eine Residenz
       für offizielle Gäste. Hier haben alle Minister und Wohlhabenden der
       Hauptstadt eine Zweitwohnung. Selbst während des blutigen Konflikts in den
       1990er Jahren zwischen Islamisten und Armee hatte das Regime die Kleinstadt
       immer unter Kontrolle.
       
       Mouhib machte sich auf die Suche nach den Gründen der Gemeindeverschuldung
       und wurde schnell fündig. „Mehrere gemeindeeigene Einrichtungen waren
       untervermietet, doch die Miete wurde nie bezahlt. Bauprojekte auf
       Gemeindeland waren illegal errichtet worden.“
       
       Etwa ein Kongresszentrum mit Hotel, Büros, Tagungssälen und Tiefgaragen
       mitten in der Stadt. Der Pächter wandelte es ohne Genehmigung in ein
       Kabarett mit Diskothek und Stundenhotel um. Er strich Millionen ein,
       bezahlte keine Miete und ließ auch Strom und Wasser von der Gemeinde
       bezahlen.
       
       ## Mafiöses Geflecht
       
       Ein Netzwerk aus Gemeinderäten der FLN und deren Abspaltung RND sei dafür
       verantwortlich, weiß Mouhib. „Selbst der Bruder des Staatsanwaltes der
       Provinz steckt mit in diesem mafiösen Geflecht.“
       
       Obwohl das algerische Rechnungsprüfungsamt der Gemeinde Zeralda
       „Untätigkeit“ vorwarf, geschah nichts. Die Rathauskasse blieb leer, die
       Taschen der örtlichen Politiker voll. „Ich nenne das nicht Untätigkeit,
       sondern Komplizenschaft“, urteilt Mouhib, der mittlerweile zu Hunderten von
       Bürgermeistern in ganz Algerien Kontakt aufgenommen hat: „Viele von ihnen
       erlebten in ihrer Gemeinde Ähnliches.“
       
       Mouhib stellte Strafanzeigen gegen die alte Seilschaft in Zeralda. Das
       Gericht ignorierte sie alle. Als Mouhib schließlich dem Pächter des
       Kongresszentrums die Betriebserlaubnis entzog, begann der Krieg.
       
       ## Freispruch in allen Punkten
       
       „Es kam die Entführung, eine Untersuchungsrichterin steckte mich mit
       falschen Anschuldigungen für sieben Monate in Haft“, schimpft Mouhib. Ihm
       wurde unterstellt, er habe sich per Gemeindekasse seine Wohnung mit teuren
       Geräten einrichten und ein iPhone kommen lassen. Obwohl er für alles
       Rechnungen hatte, wurde er weiter festgehalten.
       
       Eine breite Solidaritätsbewegung entstand per Facebook im ganzen Land. Beim
       Hauptverfahren schließlich wurden alle Anklagepunkte fallengelassen. Der
       Bürgermeister kam frei.
       
       Das war vor vier Monaten. Seitdem wartet Mouhib darauf, wieder eingesetzt
       zu werden. Die „City Mayors Foundation“ zeichnete ihn für seinen Mut als
       „besten Bürgermeister Afrikas“ aus. Für Zeralda hat er große Pläne. „Ich
       will es touristisch entwickeln und gleichzeitig die Küstenzone unter Schutz
       stellen“, erklärt er bei einem Strandspaziergang.
       
       ## Schwarzbauten
       
       Er zeigt auf das ganze Ausmaß des Immobilienwildwuchses unter seinen
       Vorgängern: Hohe Dünen, die einst den Zugang zum Meer versperrten, sind
       verschwunden.
       
       „Der Sand wurde an die Bauindustrie verkauft“, überall stehen Wohnblocks
       und Einfamilienhäuser, die von privaten Unternehmern auf Gemeindeland
       errichtet wurden.
       
       Hoffnung hat Mouhib aber kaum noch. Ein neues Gesetz nimmt den
       Bürgermeistern das bisschen Macht, das sie hatten. „Und hier wohnen
       Politiker, Minister, Richter, Generäle – wie soll ich gegen die ankommen?“
       
       22 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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