# taz.de -- Debatte 1.-Mai-Protest und Gentrifizierung: Occupy Immobilienhaie
       
       > 2010 war die Gentrifizierung das große Thema der 1.-Mai-Proteste. Und
       > heute? Geht die Spekulation im Stillen munter weiter. Dabei gibt es
       > Parallelen zur Occupy-Bewegung.
       
 (IMG) Bild: Ein Saniertes Mietshaus in Leipzig-Connewitz – auch hier ist die Gentrifzierungsdebatte angekommen.
       
       „Die Krise hält uns weiter in Atem“, schreibt der Deutsche
       Gewerkschaftsbund in seinem Aufruf zu den Mai-Kundgebungen. „Die
       Arbeitslosigkeit steigt, Armut breitet sich aus. Aus der Finanzkrise ist
       eine soziale Krise geworden.“
       
       Die Gewerkschaftsbosse übersehen, dass paradoxerweise trotz Krise und Armut
       Immobilienpreise und Mieten in den Großstädten gerade jetzt senkrecht in
       die Höhe schießen – was die soziale Schieflage zusätzlich verschärft.
       Konsequenterweise wurde auf den alternativen Mai-Demos in den vergangenen
       Jahren vor allem gegen die Gentrifizierung protestiert.
       
       Vor zwei Jahren erst war sie das Topthema: die Gentrifizierung.
       Büroleerstände und fehlende Wohnungen, Aufwertung von Stadtteilen,
       Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, gierige Investoren, die
       historische Altbauten plattmachen und neue Schickimicki-Tempel errichten
       wollten. Keine Woche verging, in der es keine Proteste gab. Seit langem nun
       ist es still um die Bewegungen geworden, die sich unter dem Label „Recht
       auf Stadt“ zusammengefunden haben. Über die Gentrifizierung diskutieren
       inzwischen höchstens noch Insider in den Inis.
       
       In der medialen Öffentlichkeit ist das Thema weitgehend verschwunden,
       obwohl der Preisschub auf dem Wohnungsmarkt gerade jetzt erst richtig
       Schwung aufnimmt. Bei jeder neuen Katastrophenmeldung aus Griechenland,
       Portugal oder Spanien lassen die Makler ihre Sektkorken knallen. Brechen
       auch noch die Aktienmärkte ein, kennt die Euphorie keine Grenzen.
       
       ## Flucht ins Betongold
       
       Je düsterer das wirtschaftliche Szenario, umso besinnungsloser greifen die
       kleinen wie die großen Investoren an den hochgeputschten Standorten der
       Ballungszentren zu. Für eine Dachterrassenwohnung in der Münchner Altstadt
       13.800 Euro pro Quadratmeter. 5,3 Millionen Euro für eine
       Sechs-Zimmer-Wohnung im edlen Hamburg-Winterhude.
       
       Selbst gammelige Plattenbauten in der Ghettozone wechseln für fast 2.000
       Euro pro Quadratmeter den Besitzer. Allein im vergangenen Jahr sind die
       Preise für Eigentumswohnungen in Hamburg um 13 Prozent gestiegen, in
       München um 23 Prozent innerhalb von nur drei Jahren.
       
       Kein Wunder: Wirtschaftspresse und sogenannte Finanzexperten schüren seit
       dem Platzen der Immobilienblase in den USA die Angst vor Inflation,
       trommeln für eine Kapitalflucht in „Betongold“. Krisensicher und
       inflationsfest seien Wohnimmobilien in den urbanen Boomregionen. Der
       Aufwärtstrend gehe selbstverständlich immer weiter und Spekulationsblasen
       seien – ganz anders als in den USA – bei uns natürlich nicht in Sicht.
       
       Die Europäische Zentralbank hat seit 2008 den Leitzins schrittweise bis
       weit unter die Inflationsrate gedrückt und damit eine reale
       Negativverzinsung für Sparguthaben initiiert. Auch deutsche Staatsanleihen
       rentieren nur noch in der Verlustzone. Wer Großmutters Sparschwein geerbt
       hat, dem bleibt nicht viel anderes über, als entweder großzügig zu spenden,
       ausgiebig zu genießen oder scheinbar solide in die eigenen vier Wände zu
       investieren.
       
       ## Die Einschläge kommen näher
       
       Angesichts der immer näher kommenden Einschläge im Euroraum spielen nach
       Ansicht einiger Banker mittlerweile weder Mietrendite noch mögliche
       Wertsteigerungen für die Anleger eine Rolle. Es geht einzig um den
       Vermögenserhalt beziehungsweise eine Begrenzung der Verluste, falls der
       Euro zusammenbrechen sollte. Die „kapitalmarktgetriebenen Immobilienpreise“
       steigen in einigen Metropolen bereits noch schneller als die Mieten. Wer
       jetzt kauft und vermietet, macht damit kaum noch einen Gewinn, weil die
       Objekte maßlos überteuert sind.
       
       Die Kauflaune trübt dies indessen kaum: Die Banken locken mit
       Billigzinsangeboten von unter 3 Prozent und großzügiger Kreditvergabe. Nur
       20 Prozent Eigenkapital müssen Wohnungskäufer mitbringen: macht 80 Prozent
       Verschuldung, die im Falle des befürchteten Zusammenbruchs der europäischen
       Währung von den wenigsten wird getilgt werden können.
       
       Wer finanziert dann den nächsten Rettungsschirm für die Banken? Als
       Rettungsschirm für die Mieter, die über steigende Mieten die
       Spekulationsexzesse refinanzieren müssen, versucht die Politik derzeit
       einzig über eine Wiederbelebung des Neubaus die Lage zu entspannen.
       
       Doch die Preisspirale wird sich damit kaum bremsen lassen, weil die
       Wohnungsmärkte der deutschen Großstädte ohnehin viel zu klein sind, um den
       Druck der von den Zinsmärkten getriebenen Kapitalmassen absorbieren zu
       können. Wie beim Run auf das Gold geht es nämlich auch längst nicht mehr um
       den Gebrauchswert der schicken Szenewohnung im In-Viertel, sondern vor
       allem um den irrationalen Glauben an deren Wert.
       
       ## Eine Immobilientransaktionssteuer würde helfen
       
       Occupy Wall Street und die Proteste gegen die Zockerbanken in Deutschland
       zielen im Kern auf das gleiche Problem wie die abgeflaute Bewegung gegen
       die Gentrifizierung. Nicht nur die Finanzmärkte, auch die Immobilienmärkte
       müssen reguliert werden.
       
       Der freie Wohnungsmarkt braucht Preisobergrenzen und Bremsklötze beim
       Handel mit alten Bestandsimmobilien. Eine spürbare
       Immobilientransaktionssteuer für Quadratmeterpreise ab 3.000 Euro aufwärts
       könnte weitere Exzesse dämpfen. Die Eigenkapitalquote der Käufer könnte
       gesetzlich auf 80 Prozent erhöht, der Darlehenszins für den Neubau von
       Mietwohnungen weiter gesenkt und für den Erwerb von Bestandswohnungen
       drastisch erhöht werden.
       
       Aber auch die Immobilienportale im Internet, die Regionalzeitungen mit den
       teuren Wohnungsanzeigen, die Makler und die Immobilienbanken müssen in die
       Verantwortung genommen werden. Protestcamps vor deren Büros wie bei Occupy
       könnten beide Bewegungen näher zusammenführen.
       
       Wer Wohnungen für über 10.000 Euro pro Quadratmeter vermittelt, muss an den
       Pranger gestellt werden. Die Branche braucht einen Ehrenkodex für den
       sozialverträglichen Handel. Mehr Druck auf der Straße könnte zum Umdenken
       führen.
       
       30 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rainer Kreuzer
       
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