# taz.de -- Wahlkampf in Frankreich: Der Wahlmonarch von nebenan
       
       > François Hollande zeigt sich volksnah: Im Wahlkampf-Endspurt lässt sich
       > der französische Präsidentschaftskandidat sogar mit Vornamen ansprechen.
       
 (IMG) Bild: Auf allen Kanälen: Francois Hollande.
       
       Verspätung ist das Vorrecht der Könige. Und vielleicht wird François
       Hollande am nächsten Sonntag ja Frankreichs gewählter „Monarch“. Als der
       Präsidentschaftskandidat der Sozialisten endlich eintrifft, 75 Minuten nach
       der vereinbarten Zeit, hat er wenigstens eine gute Ausrede für den
       Bürgermeister Serge Lepeltier, den er so lange im Regen stehen gelassen
       hat. Kaum ist der 57-Jährige nämlich in Bourges angelangt, haben ihn
       Anhänger umringt. „François Président!“, rufen sie.
       
       Hollande, der sich keineswegs daran stört, so familiär beim Vornamen
       angesprochen zu werden, kann dem Drang, Hände zu schütteln und Wangen zu
       küssen, nicht widerstehen.Hollandes Leibwächter können sich nicht daran
       gewöhnen, dass dieser Politiker, der alle Chancen hat, am 6. Mai Präsident
       zu werden, ständig die handgreifliche Nähe zu den Bürgern sucht. Viele
       Neugierige aus der Nachbarschaft haben sich eingefunden.
       
       Nicht jeden Tag hat man in dieser Provinzstadt, auf halbem Weg zwischen
       Paris und Clermont-Ferrand gelegen, so prominenten Besuch. Die Leute recken
       die Köpfe, um einen Blick auf Hollande zu erhaschen. „Ich hatte ihn mir
       größer vorgestellt“, kommentiert eine der Schaulustigen, die gesteht, sie
       habe in der ersten Runde für den Linksfront-Kandidaten Jean-Luc Mélenchon
       gestimmt. Die städtische Angestellte Clémentine Vannier will einen Wechsel:
       „Sarkozy, das ist der Präsident der Reichen, der ist mir unerträglich.
       Hollande bringt die Europapolitik in Bewegung, das ist schon mal etwas.“
       
       Zwischendurch bringt dieser seine vom Ansturm der Fans zerzauste Frisur in
       Ordnung. Denn das Aussehen zählt in Frankreich wie das Auftreten auch. Wie
       die meisten Politikerkollegen ist Hollande künstlich gebräunt. Noch und
       noch posiert er für ein Foto, das bestimmt gleich per Handy an die ganze
       Bekanntschaft versandt oder auf Facebook – „Ich mit dem nächsten
       Präsidenten der Republik“ – publiziert wird. Ganz im Gegensatz zum
       „Hyperpräsidenten“ Sarkozy und dessen „Bling-Bling“-Stil verspricht
       Hollande, er werde ein „normaler“ Staatschef sein. Er ist darum aus Paris
       mit der Bahn angereist.
       
       ## Sein zweiter Anlauf
       
       Vor fünf Jahren hatte er den Zug der Nominierung verpasst. Seine
       langjährige Lebensgefährtin Ségolène Royal, mit der er vier erwachsene
       Kinder hat, war ihm zuvorgekommen, Hollande wollte nicht mit ihr
       rivalisieren und verzichtete auf die Präsidentschaftskandidatur. An der
       Seite seiner neuen Partnerin, der 47-jährigen Fernsehjournalistin Valérie
       Trierweiler, hat er nicht nur gewaltig an Selbstbewusstsein gewonnen,
       sondern auch gelernt, wie man in Medien spricht.
       
       Der in Rouen als Sohn eines erzreaktionären Arztes geborene Hollande ist
       wie sein heutiger Gegner Nicolas Sarkozy im Pariser Nobelvorort
       Neuilly-sur-Seine aufgewachsen. Genauso gut hätte er im rechten Lager
       Karriere machen können. Er ist zudem ein Produkt der Pariser Eliteschulen:
       Handelshochschule HEC, Politische Wissenschaften und zuletzt
       Verwaltungshochschule ENA. Der mitunter hoffnungslos brav wirkende Hollande
       aber rebellierte schon als Jugendlicher gegen den Vater, der bei der
       extremen Rechten kandidierte. Während andere Altersgenossen sich nach dem
       Mai 68 für Mao oder Trotzki begeisterten, fand Hollande im Sozialisten
       François Mitterrand sein Idol.
       
       „Mich erinnert er an Mitterrand“, meint nicht zufällig der Bürgermeister
       von Bourges, denn der ehemalige sozialistische Präsident kam auch immer zu
       spät. Das Kompliment freut Hollande besonders, weil Lepeltier als Mitglied
       der Radikalen Partei dem gegnerischen Lager angehört. Zweideutig lässt er
       offen, für wen er am 6. Mai stimmen werde. Mit einem entschuldigenden
       Scherz über das miese Aprilwetter begrüßt er Hollande aber fast schon wie
       ein Staatsoberhaupt als Ehrengast zum Printemps de Bourges, dem großen
       Chanson-Frühlingsfestival seiner Stadt.
       
       Nicht weniger als 120 Journalisten, Fotografen, Tontechniker und
       Kameraleute begleiten Hollande beim angesagten Rundgang. Zusammen mit der
       ganzen Eskorte von Helfern, Vertrauten und Sicherheitsbeamten verwandelt
       das diese Menge um den Fixpunkt Hollande im Zentrum in eine schwabblige
       Amöbe, die sich ruckartig und in scheinbar zielloser Weise durch die nassen
       Alleen des Festivals fortbewegt, aber jedes Mal wie magisch angezogen wird
       von Gruppen, die den Tross mit ihrem „François Président!“ oder „On va
       gagner!“ (Wir werden siegen) anlocken.
       
       „Für das Spektakel habe hoffentlich ich gesorgt“, scherzt Hollande, da an
       diesem frühen Nachmittag auf dem Festival noch keine Konzerte
       stattfinden.Sein Selbstvertrauen ist seit dem Etappensieg der ersten
       Wahlrunde sichtlich gewachsen. Es strahlt übers ganze Gesicht, als er die
       politisch engagierten Musiker der Gruppe Zebda aus Toulouse trifft. Deren
       Techniker sind noch dabei, die Mikrofone und Verstärker für das Konzert am
       Abend zu regeln.
       
       Im leeren Saal drängen sich nur die Fotografen und Journalisten vor der
       Bühne. Am Ende des Songs zum Testen der Einstellungen brüllt Bandleader
       Magyd Cherfi: „Il va gagner!“ Daraufhin steigt Hollande hinauf zu den
       Musikern wie ein Stargast. Die Lightshow läuft auf vollen Touren.
       
       ## Hinter der Jovialität
       
       Solche Bilder zählen im Wahlkampf, gerade bei jüngeren Wählern, bei denen
       Hollande in der Gunst vorn liegt. Er hofft jedenfalls, dass der Printemps
       de Bourges nur der Auftakt seines politischen „Frühlings“ ist. Unweigerlich
       fragt man sich, was François Hollande hinter seiner permanenten Jovialität
       verbirgt. Ist diese gutmütige Bürgernähe wirklich echt? Seine Vertrauten
       zumindest behaupten das. Vergeblich befragt man ihn auch zu seinem eigenen
       musikalischen Geschmack. Vor einem Jahr war er schon beim Festival in
       Bourges, wo ihm, wie er sich erinnert, ein Lied der Sängerin la Grande
       Sophie mit dem Titel „Du courage“ gefiel.
       
       Eigentlich braucht er mehr Nerven als Mut. Hat er vor dieser
       Bewährungsprobe nicht Angst? „Nein, aber ich bin mir bewusst, was es
       bedeutet, dass die Franzosen entscheiden können, mich zum Präsidenten zu
       wählen.“ Eine Woche vor dem zweiten Wahlgang wird ihm von den Umfragen ein
       Sieg gegen den Bisherigen mit 53 zu 47 Prozent der Stimmen voraussagt. Man
       begreift, dass es dieser Mann, der die anderen warten lässt, nun eilig hat,
       seinen Vorsprung bis ins Ziel am Sonntag zu retten.
       
       Vier Stunden später ist Hollande bereits auf seiner nächsten Tournee-Etappe
       in Limoges. Wie ein aufgeblasener Zeppelin sieht diese kommunale
       Mehrzweckhalle „Zénith“ aus. „C’est maintenant“ (Jetzt ist der Zeitpunkt)
       steht wie ein Startsignal auf hoffnungsvollem Himmelblau hinter der Bühne.
       Auf reservierten Ehrenplätzen sitzen die Prominenten: Hollandes Mentor, der
       frühere Premierminister Lionel Jospin, lässt sich feiern, eine Delegation
       der Grünen mit der ausgeschiedenen Kandidatin Eva Joly und Parteichefin
       Cécile Duflot bekommt für ihre Unterstützung in der Finalrunde herzlichen
       Beifall.
       
       So locker oder rockig wie in Bourges geht es in Limoges nicht zu. Die
       Veranstaltung beginnt sehr feierlich und ernst mit dem von Tausenden
       mitgesungenen „Chant des Partisans“. Die Region um Limoges war ein Zentrum
       der Widerstandsbewegung gegen den Faschismus. Hollande erinnert daran, dass
       hier vor 117 Jahren die Gewerkschaft CGT gegründet wurde und dass man
       Limoges Frankreichs „Rom des Sozialismus“ nannte. Er sähe sich wohl gern
       zum „Papst“ gekürt. „Aber ich will lieber nicht vom Vatikan des Sozialismus
       reden oder gar von einem Mekka, sonst werden wir womöglich der schlimmsten
       Dinge beschuldigt.“
       
       Lange wollte Hollande in seiner Kampagne nicht polemisieren. Jetzt aber
       fällt er mit ätzendem Spott über seinen Gegner her, der es 2007 gewagt
       hatte, die Vorväter der Arbeiterbewegung, Jean Jaurès und Léon Blum, in
       Reden für sich zu vereinnahmen. Hollande empfiehlt ihm wegen seiner
       „Bildungslücken“ sogar „Nachhilfestunden“. Die Anhänger jubeln, sie
       schätzen es, dass ihr Kandidat dem aggressiven Sarkozy seine Sticheleien
       heimzahlt und ihm gnadenlos die Bilanz seiner Amtszeit vorhält: eine
       Million Arbeitslose mehr.
       
       ## „Ein Projekt der Hoffnung“
       
       „Wir sind nicht da, um die anderen zu beleidigen. Für seine eigene
       Niederlage sorgt Sarko ganz alleine“, meint zuversichtlich Janine
       Lemarchand. Sie ist aktives Mitglied der Parti Socialiste und mit vielen
       Genossen aus der benachbarten Corrèze, Hollandes Wahlhochburg, angereist.
       Sie sehen dessen Sieg jetzt zum Greifen nahe. Sie kosten diesen Moment aus
       und haben es nicht eilig, nach dem letzten Beifall und der „Marseillaise“
       heimzukehren.
       
       Lemarchands um einiges ältere Begleiterin ist voller Hoffnung für ihre
       „politische Familie“: „Seit Mitterrand hat die Linke nicht mehr gesiegt.
       Ich möchte es erleben, dass die Sozialisten eine Präsidentenwahl gewinnen,
       bevor ich sterbe.“ Ihr hatte Hollande in seiner Rede siegesgewiss
       versichert: „Wenn die Linke ein Projekt der Hoffnung anbietet, stimmt
       Frankreich dafür.“
       
       Er war aber realistisch genug, um hinzuzufügen, die Linke komme in
       Frankreich nur dann zum Zuge, wenn die Existenz der Nation auf dem Spiel
       stehe. Sein Land, das im Regen der Krise steht, will er nicht warten
       lassen.
       
       3 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Parlamentswahl in Frankreich: Wahlkampf bei den Ch'tis
       
       Bei der Parlamentswahl am Sonntag treten der Chef der radikalen Linken,
       Jean-Luc Mélenchon, und die Rechte Marine Le Pen im selben Wahlkreis
       gegeneinander an.
       
 (DIR) Stichwahl in Frankreich: Allez Hollande!
       
       Mit einer relativ hohen Beteiligung von 30 Prozent hat in Frankreich die
       Stichwahl ums Präsidentenamt begonnen. Der Sozialist François Hollande gilt
       in Umfragen als Favorit.
       
 (DIR) Präsident Sarkozy in der Defensive: Monsieur Fauxpas
       
       Teuerung, Arbeitslosigkeit, Halbheiten und Peinlichkeiten. Die Zahlen
       sprechen gegen Sarkozy. Der „Präsident der Reichen“ hat bei der Wahl
       schlechte Chancen.
       
 (DIR) Kandidat Hollande besteht TV-Duell: Imagetest bestanden
       
       Hollande kann Präsident! Darin sind sich spätestens nach dem TV-Duell alle
       Beobachter einig. Sarkozy hingegen befindet sich nur noch in der Defensive.
       
 (DIR) Kommentar TV-Duell Frankreich: Sarkozy, das war einmal
       
       Der Herausforderer Francois Hollande hat gezeigt, dass er kein „Pudding“
       ist. Knallhart reagierte er mit Anschuldigungen. Sarkozy wurde immer
       nervöser.
       
 (DIR) TV-Duell zwischen Sarkozy und Hollande: Kampf um die Unentschlossenen
       
       Viele Franzosen geben an, nicht zu wissen, wen sie am Sonntag zum
       Präsidenten wählen wollen. In einem hitzigen TV-Duell am Mittwochabend
       wollten die Kandidaten das ändern.
       
 (DIR) Vor der Wahl in Frankreich: Kein Stich für Sarkozy am 1. Mai
       
       Die Gewerkschaften mobilisieren deutlich mehr Anhänger am Tag der Arbeit
       als der Präsident. Am Mittwoch liefern sich Sarkozy und Hollande ein
       letztes TV-Duell.
       
 (DIR) Wahl in Frankreich: Werben um die rechten Wähler
       
       Vor der zweiten Runde der Präsidentenwahl am 6. Mai sucht Amtsinhaber
       Sarkozy nach einer Strategie. Sein Rivale, der Sozialist Hollande, bleibt
       Favorit.