# taz.de -- Kommentar Wahl in Frankreich: Merkel ist kein Naturgesetz
       
       > Die deutsche Alleinherrschaft in Europa ist vorbei: Die französischen
       > WählerInnen haben dafür gesorgt, dass wieder verhandelt werden muss.
       
       Ein Sozialist ist an der Macht. Oh Gott! Sofort mucken die Börsen auf, der
       Euro purzelt und die Konservativen beschwören gemeinsam mit vielen, vielen
       MedienvertreterInnen das Schlimmste. Chaos, Streit, Schulden,
       Wirtschaftskrise stünden jetzt bevor. Aber ist diese dunkle Prophezeiung
       nicht längst Gegenwart?
       
       Doch, natürlich. Deshalb waren sich vor der Wahl in Frankreich ja so gut
       wie alle einig, dass es so nicht weitergehen könne. Sparen allein helfe
       vielleicht doch nicht, das Raunen schwoll an, blieb aber in der Tabuzone.
       Niemand traute sich ernsthaft, von Angela Merkel zu fordern, staatliche
       Investitionen nicht länger als Teufelszeug zu brandmarken. Das wird sich
       jetzt ändern. Für Panik ist das kein Grund, im Gegenteil.
       
       Denn mit der Wahl von François Hollande kommt kein Schwenk ins
       linksradikale Lager, das Establishment muss sich kein Herz fassen, der
       Kapitalismus bleibt unangetastet. Stattdessen wird nur das Offenkundige
       salonfähig, das heißt debattierbar: Die Austeritätspolitik von
       Merkel/Sarkozy hat als Rettungsmodell nicht funktioniert.
       
       Ab jetzt werden sich die Kanzlerin und ihre Entourage Fragen und Kritik auf
       Augenhöhe gefallen lassen müssen. Die Zeit der deutschen Alleinherrschaft
       in Europa ist vorbei. Es muss wieder verhandelt werden, es müssen wieder
       Kompromisse gefunden werden. Das allein ist eine gute Nachricht, denn damit
       kehrt die Demokratie zurück in die Europapolitik. Womöglich ebnet der
       Machtwechsel in Frankreich der CDU-Chefin sogar den huppeligen Weg in die
       große Koalition. Denn wenn sie Kurskorrekturen dem bösen Paris anlasten
       kann, wäre sie ja aus dem Schneider. Die Empörung der Konservativen ist
       also mit Vorsicht zu genießen.
       
       Auch noch offen ist, ob Hollande sich mit seinem Konzept, den Arbeitsmarkt
       mithilfe von Steuergeldern von unten wiederzubeleben, auch nur in
       Frankreich wird durchsetzen können. Die Konservativen im eigenen Land sind
       längst nicht geschlagen, genauso wenig wie die von Sarkozy gepäppelten
       Rechtsradikalen. Letztlich werden erst die französischen Parlamentswahlen
       im Juni über den Machtstatus von François Hollande und seine
       Alternativvorschläge entscheiden. Und damit auch über die Zukunft der
       Europäischen Union.
       
       Schon jetzt aber kann niemand mehr behaupten, der deutsche Weg sei
       alternativlos. Merkel ist kein Naturgesetz. Das gezeigt zu haben, ist das
       große Verdienst der französischen WählerInnen.
       
       7 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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