# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: „Sie blockieren meinen Speicherplatz!“
       
       > Spam-Beantworter sind dusselige Menschen. Wenn man sie aber zu einem
       > Massendialog verdrahtet, kann es ziemlich lustig werden.
       
       Regelmäßig werden Statistiken veröffentlicht, wie viele Lebensstunden die
       Menschheit mit dem Sichten und Löschen von Spammails verschwendet.
       Inzwischen hat man sich auf rund 100 Milliarden Stunden pro Jahr geeinigt
       (was in etwa die Hälfte der aufgewendeten Zeit für das Erstellen und Lesen
       von Lebenszeitstudien ist).
       
       Wobei „verschwenden“ Definitionssache ist. Immerhin liefert Spam wichtige
       Produktinformationen! Dann ist Spamaussortieren eine gute Fingerübung der
       eigenen Filterfähigkeiten: Schnell mal 20 Mails weggeklickt, danach schiebt
       man ohne Skrupel auch Babyfotos, LinkedIn-Einladungen oder verbitterte
       taz-Leserpost nur durch Betreffzeilen-Lesen in den Papierkorb. Nebenbei hat
       man das Gefühl, furchtbar viel zu geschafft zu haben.
       
       Ein neuer Spam-Benefit tat sich vor ein paar Wochen für mich auf. „Dear
       Friend“ meldete sich Katie Johnson von einer Londoner Bank. Sie habe ein
       proposal zu discussen. Das Übliche. Doch dann kam – eine Antwort: „Bitte um
       was geht es?“, fragte jemand. Dieser Jemand hatte auf „An alle antworten“
       geklickt und damit auch der Adresse geschrieben, an die Katie Jonsons
       Spammail ging. Und diese Adresse war ein – für Spam ungewöhnlich – noch
       aktiver Mailverteiler. Wer ihm schrieb, erreichte automatisch auch
       zigtausende Spamopfer.
       
       Im Minutentakt stiegen weitere Leute ein. Schon die dritte Mail wurde
       härter: „Sollte ich noch einmal von Ihnen per E-Mail belästigt werden,
       werde ich eine Anzeige erstatten.“ Freundlicherweise mit
       Empfangsbestätigung. Das konnte lustig werden. Zeit, sich Popcorn zu holen.
       
       Schnell teilten sich die Teilnehmer der Spamdiskussion in drei Gruppen. Die
       Wütenden versuchten es mit Drohungen, Großbuchstaben und pampigem Tonfall
       („Adresse aus dem Verteiler nehmen bitte! PRONTO!“). Die Verzweifelten
       waren vor allem planlos („Ist das denn nötig, allen immer die Antworten zu
       schicken???“, „Bitte darum auch uns aus dem Verteiler zu loeschen.
       Schliesslich haben wir zu Arbeiten“, „Sie blockieren meinen Speicherplatz!“
       oder bloß „Unsubscribe“). Die Erklärer erklärten, dass man mit Antworten
       nur seine Mailadressen bei den Spammern verifiziere, aber nicht für ein
       Ende sorge. Natürlich hörte ihnen keiner zu. Zwischendurch meldete sich
       noch ein Mitarbeiter des Computermagazins c't mit „Test, please ignore.“
       
       Es ist 2012, und Menschen haben keine Spamkompetenz. Ein
       Unterschichtenproblem? Von wegen: Unter den Beteiligten waren
       Diplom-Designer, Mediaberater und Anwälte, auch Mitarbeiter der Deutschen
       Welle, einer Medizin-Akademie, der DAAD-Außenstelle Tiflis und der
       Sparkasse Bregenz machten mit.
       
       Am zweiten Tag schaltete sich mit „Voll Depp“ ein Troll ein und schrieb
       alberne Antworten („Würden Sie bitte aufhören, mich in BCC auf Ihre
       dämlichen E-Mails zu nehmen?“ – „Im To und Cc ist aber in Ordnung, oder?“).
       Abends schickten erste Trittbrettfahrer Werbung und Stellengesuche über den
       Verteiler. Neu im Boot waren auch überforderte Kundendienstmitarbeiter, die
       glaubten, dass sie gemeint seien. Und dazwischen blökten alle anderen
       Parteien weiter rum, als hätte es die Dutzenden Vorredner nicht gegeben.
       
       3 Tage, 25 Minuten und 142 Mails dauerte das an. Dann war Stille. Spam als
       soziales Experiment in Form eines Gruppendialogs – ja, ich glaube, genau
       dafür wurde das Internet erfunden.
       
       11 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Brake
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Nullen und Einsen: Als ich einen Balrog erschuf
       
       Von Likehuren, Hitlerkatzen, Kaffeetrends und dem Mario-Barth-Humor des
       Internets. Braucht ihr noch mehr Buzzwords? Jetzt klickt schon, ihr Luder!
       
 (DIR) Kolumne Nullen und Einsen: Mensch-Maschine in den Bergen
       
       Wenn nur die Internetverbindung langsam genug ist, hat man endlich Zeit,
       sich Gedanken zu machen. Und googlen muss man dann eben wieder zu Hause.
       
 (DIR) Kolumne Nullen und Einsen: Der große Flauschangriff
       
       Das Internet hat die Liebe entdeckt. Flausch ersetzt Rumgetrolle. Happiness
       auf Zuckerwattespeed, juchu! Oder doch bloß digitales Soma?
       
 (DIR) E-Mail-Chaos im Bundestag: Babette, Kürschner, Grüße an Mutti
       
       Eine Bundestagsmitarbeiterin wollte ein neues Nachschlagewerk und
       verschickte die Bitte an den gesamten Verteiler. Nun antworten andere auch
       "an alle" und sorgen für ein Riesenchaos.
       
 (DIR) Kolumne Fernsehen: Wie zu kolumnieren sey
       
       Fernseh-Kolumnen schreiben ist gar nicht schwer! Eine praktische
       Handreichung für jedermann, in acht handlichen Absätzen.