# taz.de -- Interview mit Berliner FDP-Chef: "Hören Sie mir auf mit Umfragen!"
       
       > Der neue Landeschef Martin Lindner soll die FDP zurück ins
       > Abgeordnetenhaus führen. Er warnt vor einem Linksruck im Senat und
       > verspricht für 2013 einen "Eins-a-Wahlkampf".
       
 (IMG) Bild: Bekannt für deutliche Ansagen: FDP-Landeschef Lindner.
       
       taz: Herr Lindner, wer von den beiden jüngst so erfolgreichen
       FDP-Wahlkämpfern wird das Vorbild für die Wiederbelebung der Berliner FDP:
       Wolfgang Kubicki oder Ihr Namensvetter Christian Lindner? 
       
       Martin Lindner: Vorbilder gibt es da nicht: Das Entscheidende in der
       Politik ist – und das war ja die Kunst von beiden –, den eigenen Weg zu
       finden und glaubwürdig dazustehen. Andere kopieren und ihnen nachhecheln,
       das bringt gar nichts.
       
       Es gibt nichts abzugucken, nichts zu lernen von der Art und Weise, wie die
       beiden binnen kurzer Zeit enorm viele Stimmen dazugewonnen haben? 
       
       Jeder von beiden hat seinen eigenen Weg gefunden – das sind ja völlig
       unterschiediche Repräsentanten unserer Partei. Und das ist, glaube ich, das
       Signal: dass man mit Persönlichkeit und eigenen klaren Aussagen Erfolg
       haben kann.
       
       Falls Sie das auch für sich selbst erhoffen: Der große Unterschied ist,
       dass Kubicki und Lindner zumindest qua Amt Landespolitiker sind, ihren
       eigenen Kurs fahren und sich von unpopulärer FDP-Bundespolitik distanzieren
       können. Das geht bei Ihnen als Fraktionsvize im Bundestag nicht. 
       
       Na ja, Christian Lindner hat ja noch vor nicht langer Zeit zwei Jahre lang
       diese Bundespolitik als Generalsekretär an besonders herausgehobener Stelle
       geprägt und repräsentiert. Geschadet hat es ihm nicht gerade …
       
       Er hat diese Vergangenheit im Wahlkampf aber erfolgreich zur Seite gedrückt
       und voll auf Landespolitiker gemacht. 
       
       Also, wenn man als früherer Generalsekretär erfolgreich Landtagswahlkampf
       machen kann, dann sind andere Ämter auch kein Hindernis für einen
       selbstständigen Kurs im Landesverband. Eine vollkommene Loslösung vom Bund
       geht ohnehin nicht. Wir werden als eine Partei wahrgenommen und müssen
       damit auf allen Ebenen unsere Aufgaben erledigen und gegebenenfalls
       Probleme lösen.
       
       Was heißt das eigentlich für Sie, dass Gesichter statt Programme die Wahlen
       zu entscheiden scheinen? Das war ja auch in Berlin so mit Klaus Wowereits
       Gefühlswahlkampf. 
       
       Das stimmt nicht ganz – das kann man aus den Umfragen ablesen, wenn die
       Leute direkt nach derf Stimmabgabe gefragt werden. Da haben zwar bei
       Kubicki drei Viertel der FDP-Wähler gesagt, sie hätten die Partei
       seinetwegen gewählt und nur ein Viertel wegen des Programms. In
       Nordrhein-Westfalen aber war das Ergebnis genau anders herum.
       
       Und welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus? 
       
       Ich glaube, man muss eine Einheit bilden zwischen Programm und
       Persönlichkeit. Ich nehme da mal ein Beispiel aus einer anderen Partei:
       Diejenige, die uns in der FDP recht fern liegt, ist Claudia Roth. Die halte
       ich aber für die Grünen für extrem wichtig: Die ist super authentisch, da
       stimmen die Aussagen mit Typ, Programm und Wähler überein. Das ist
       erfolgreich in der Politik.
       
       Kommen wir mal zu Ihnen. Wie wollen Sie denn konkret den Trend bei der
       Berliner FDP drehen? Fakt ist: 1,8 Prozent bei der Abgeordnetenhauswahl,
       kaum mehr als die Tierschutzpartei, und derzeit in Umfragen überhaupt nicht
       mehr erfasst. 
       
       Ach, hören Sie mir doch auf mit Umfragen viereinhalb Jahre vor der nächsten
       Berlin-Wahl – das ist doch schade ums Geld. In Nordrhein-Westfalen und
       Schleswig-Holstein lag die FDP im Januar noch bei nur 2 bis 3 Prozent.
       Maßgebend ist, dass die Partei dann startbereit ist, wenn zur Wahl
       aufgerufen wird.
       
       Mit der Einstellung könnten Sie noch vier Jahre Pause machen. 
       
       Quatsch, dann wären wir gerade nicht startbereit! Die Vorbereitung geht
       selbstverständlich jetzt schon los. Wir haben uns im Landesvorstand neu
       aufgestellt, dieser hatte bereits eine große Klausurtagung mit vielen
       Ergebnissen. Zum Beispiel mehr Transparenz der Vorstandsarbeit, engere
       Verzahnung der Fach- und Führungsebene, starke Kooperation mit dem
       Landesverband Brandenburg. Am Samstag sind wir mit unserer
       Wachstumskampagne auf der Straße.
       
       Sie haben ja auch nicht wirklich Zeit bis 2016, denn schon die
       Bundestagswahl 2013 ist ja schicksalhaft: Wenn Sie da kein Mandat mehr
       bekommen, kein Bundestagsbüro als Schaltzentrale mehr hätten, ist die
       Berliner FDP – schon jetzt ohne Landtagsfraktion und Minigeschäftsstelle –
       organisatorisch komplett am Ende. 
       
       Darum werden wir dieses Jahr auch nutzen. Auch bei Landesthemen wie beim
       Flughafen BBI. Da gibt es ja im Abgeordnetenhaus gar keine echte Opposition
       gegen Wowereit – jedenfalls keine, die an einem Flughafen interessiert ist.
       Da bin ich auch persönlich mit einer guten Portion Erfahrung aus der
       Landespolitik immer noch ganz ordentlich dabei.
       
       Und sonst? Das ist ja kein wahlkampffüllendes Programm. 
       
       Bei der Bundestagswahl nächstes Jahr geht es erst mal nicht um
       Landespolitik, sondern um die Zukunft Deutschlands! Da muss sich der
       Landesverband so weit vorbereitet haben, dass wir einen Eins-a-Wahlkampf
       führen können.
       
       Aber dann? 
       
       Lassen Sie uns doch schauen, wie es mit diesem Senat weiterläuft. Wenn sich
       das bei der SPD so weiter entwickelt, wird bald der Linksaußen Stöß
       Regierender Bürgermeister sein und mit den Grünen regieren. Bis 2016 gibt
       es noch so viele Unwägbarkeiten …
       
       Aber die zeigen eben, was gerade jetzt Sache ist und von wo sich die FDP
       hocharbeiten muss: von ganz unten nämlich. 
       
       Im Moment ist alles in Bewegung. Erinnern Sie sich doch mal daran, dass vor
       einem Jahr die Grünen mit 30 Prozent als neue Volkspartei auf Augenhöhe mit
       der CDU gefeiert wurden. Ich wette eine anständige Flasche Rotwein: Die
       kämpfen nächstes Jahr darum, überhaupt zweistellig zu bleiben.
       
       Die Wette ist angenommen. Aber wenn es eine Lehre aus der NRW-Wahl gibt,
       dann doch: Wer eine Partei in eine Landtagswahl führt, muss sich auch voll
       zur Landespolitik bekennen, wenn er nicht wie Norbert Röttgen von der CDU
       enden will. Machen Sie das bei der Berlin-Wahl? 
       
       Wenn diese Frage in voraussichtlich vier Jahren ansteht, werden wir das
       gemeinsam entscheiden. Und nicht heute! Aber richtig ist: Halb machen kann
       man eine solche Sache nicht.
       
       18 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
       
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