# taz.de -- Sarrazin bei Jauch: Duell der Genossen
       
       > Er kam, sprach und verlor: Der Auftritt Thilo Sarrazins bei Günther
       > Jauch, von Warnungen und Protesten begleitet, geriet dank Peer Steinbrück
       > zu einem Zahlengestammel.
       
 (IMG) Bild: Peer Steinbrück und Thilo Sarrazin: „Wir siezen uns in dieser Sendung."
       
       Und der Verlierer heißt: Thilo Sarrazin. Gerade weil der Ex-Bundesbanker
       ganz er selbst blieb. Doch es reicht eben nicht, stockend Zahlen zu
       referieren und alle Gegenargumente als "gefühlig" abzutun, wenn man auf
       Peer Steinbrück trifft. Der ehemalige Finanzminister hat das Duell für sich
       entschieden.
       
       Das Streitgespräch fand bei Günther Jauch statt, der sichtbar stolz war,
       dass endlich einer seiner Sonntagstalks "von wütenden Protesten begleitet"
       war. Vor dem Berliner Studio reckten einige wenige Demonstranten Plakate
       mit "Halt's Maul"-Parolen hoch, und außerdem konnte Jauch unter anderem die
       grüne Spitzenpolitikern Renate Künast zitieren, die befunden hatte, dass
       "der nationalistische Unsinn von Sarrazin nicht zum Bildungsauftrag eines
       öffentlich-rechtlichen Senders passt."
       
       Denn Sarrazin hatte einmal mehr zu dem verkaufsfördernden Trick gegriffen,
       mit rechtspopulistischen Aussagen maximale mediale Aufmerksamkeit zu
       erheischen. Diesmal ging es darum, sein neues Buch "Europa braucht den Euro
       nicht" zu vermarkten.
       
       Es enthält auch den Satz, dass die Befürworter von europäischen
       Staatsanleihen "von jenem sehr deutschen Reflex getrieben sind, wonach die
       Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle
       unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben". So
       kommt das sperrige Thema Eurobonds dann auch bei den Stammtischen an.
       
       ## "Wir siezen uns in dieser Sendung"
       
       Und bei Günther Jauch. Mit seinem unnachahmlichen
       Schwiegersohn-Augenaufschlag säuselte er frontal in die Kamera, dass "eine
       Diskussion möglich sein" müsse. Damit bediente er genau das Kalkül von
       Sarrazin, der sich stets als ein Tabubrecher inszeniert, der endlich sagt,
       was sonst ängstlich verschwiegen wird.
       
       Natürlich war es kein Zufall, dass ausgerechnet Steinbrück geladen wurde,
       der wie Sarrazin der SPD angehört. Es sollte ein Duell der Genossen werden.
       Jauch hätte es gern gesehen, wenn sich die beiden öffentlich geduzt hätten.
       Medial ist nichts schöner, als wenn sich zwei Parteifreunde streiten.
       
       Doch Steinbrück verweigerte diese Rolle: "Wir siezen uns in dieser
       Sendung". Lange war dies sein einziger Satz, weil sich Jauch zunächst auf
       Sarrazin konzentrierte. Doch hatte Steinbrück schon mit diesem ersten Satz
       klar gemacht, dass er seinen Auftritt selbst definiert und nicht durch
       Jauch bestimmen lässt.
       
       ## Die Macht des Arguments
       
       In seinen Sendungen moderiert Jauch vor allem durch insinuierende Fragen,
       die als pseudo-naiv daher kommen. Bei den meisten Gästen funktioniert
       dieser Herrschaftstrick, doch diesmal kam Jauch damit nicht weit. Denn
       Sarrazin brauchte stets viel Zeit, bis er haspelnd einen Gedanken
       entwickelt hatte – und Steinbrück verfolgte seine eigene Strategie.
       
       Dies tat er offensiv. Schon gleich zu Anfang erläuterte Steinbrück, dass er
       Sarrazin nicht moralisch kommen würde, denn "Empörung ist meist folgenlos."
       Stattdessen ginge es um "begründete Widersprüche" und um eine "ganze Reihe
       von Fehleinschätzungen".
       
       Steinbrück setzte also aufs Argument und entging damit der Falle, die
       Sarrazin für seine Kontrahenten aufstellt. Denn Sarrazin inszeniert den
       angeblichen Tabubruch nicht nur, um seine Bücher am Stammtisch zu
       vermarkten – die provozierte Empörung soll auch verdecken, wie dürftig
       seine eigentlichen Analysen sind.
       
       Sarrazin hat vor allem drei Schwächen, wie sich in der Sendung zeigte. Die
       erste: Er nimmt Fakten nur selektiv wahr. Was nicht zu seiner Theorie
       passt, wird einfach ignoriert. Seine Zentralthese ist, dass die deutsche
       Wirtschaft den Euro nicht braucht, weil sie vor allem in den Nicht-Euroraum
       exportiert. Da stört es natürlich, dass befragte Unternehmer völlig anderer
       Ansicht sind. In Einspielern lobten sie den Euro, weil er das
       Wechselkursrisiko eliminiert hat. Sarrazin musste sich daher mit einer
       Verschwörungstheorie behelfen: Die Wirtschaftslenker würden sich "alle
       taktisch äußern".
       
       ## Blinder Fleck Zukunft
       
       Sarrazins zweite Schwäche: Er reduziert den Euro auf eine reine
       Kosten-Nutzen-Rechnung, die sich ökonomisch berechnen lässt. Steinbrück
       mahnte immer wieder an, die historische und politische Dimension zu sehen.
       Sarrazin sei "geschichtsblind". Ohne europäische Integration hätte es keine
       Wiedervereinigung gegeben, hätten die Nachbarn nicht zugestimmt, dass sich
       ein so großer "Klops" wie Deutschland in ihrer Mitte breit macht.
       
       Dies führt zu Sarrazins dritter Schwäche: Er denkt nicht in Prozessen. Er
       analysiert nur die Vergangenheit, hat aber über die Zukunft nichts zu
       sagen. Auf den rund 460 Seiten seines Buches beschreibt er, warum es aus
       seiner Sicht ein Fehler war, den Euro einzuführen. Doch welche
       Handlungsempfehlungen folgen daraus? "Ich kann nichts entdecken", höhnte
       Steinbrück. "Sollen wir den Euro aufgeben – ja oder nein?"
       
       Die Sendung dauert eine Stunde, doch schon vorher hatte sich das Thema
       Sarrazin erschöpft. Jedenfalls für Jauch. Lieber wollte er noch wissen, wie
       es denn mit der K-Frage steht. Aber dazu mochte sich Steinbrück nicht näher
       äußern. Also kam das nächste Thema dran, die Niederlage von Bayern München
       gegen Chelsea.
       
       Und so verläpperte diese Sarrazin-Sendung im Nichts. Was nur zeigt:
       Diskussionen müssen möglich sein, aber daraus folgt noch lange nicht, dass
       man alles diskutieren muss.
       
       21 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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