# taz.de -- Thilo Sarrazins neues Anti-Euro-Buch: Der milde Populist
       
       > Da ist es, das neue Buch von Thilo Sarrazin. Er plädiert für weiter
       > bestehende europäische Nationalstaaten. Wie beeinflusst es die
       > rechtspopulistische Agenda?
       
 (IMG) Bild: Liefert eine solide Begründung für Euro-Skeptiker: Thilo Sarrazin, hier bei Günther Jauch zu Gast.
       
       Der Prozeß der europäischen Einigung stockt. Doch während die einen dies
       ungeduldig kritisieren und für eine vertiefte, die Grenzen der
       Nationalstaaten überschreitende Demokratisierung werben, geht der hohe
       Integrationsgrad der EU und der Eurozone anderen schon heute zu weit.
       
       Thilo Sarrazin, dessen neues Buch heute erscheint, will wohl zunächst für
       einen mittleren Weg plädieren: für ein Europa der weiter bestehenden
       Nationalstaaten, die sich in strenger Auslegung des Maastricht Vertrages
       jeder finanziellen bzw. finanzpolitischen Unterstützung überschuldeter
       Länder der Eurozone enthalten und sich um eine gemeinsame Aussen-,
       Verteidigungs- und Umweltpolitik bemühen.
       
       Wer bei der Lektüre von „Europa braucht den Euro nicht“ auf einen weiteren
       Skandal hofft, wird zunächst enttäuscht sein. Anders als in seinem
       rechtspopulistischen Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“ ist der Autor
       jetzt weder aufs Dilettieren angewiesen, noch gezwungen, sich auf hastig
       angeeignete Lesefrüchte zu verlassen. Nein, in diesem Buch kann der
       erfahrene Wirtschafts- und Finanzpolitiker seine lebenslange Expertise
       einbringen, um Fragen zu erörtern, die tatsächlich nicht leicht zu
       beantworten sind. Freilich kommen ihm auch dabei Ressentiments, Vorurteile
       und ein gehöriger Schuss Nationalismus in die Quere.
       
       Von den Wahlen in Frankreich und Nordrhein-Westfalen bis zum G8-Gipfel in
       Camp David ist die Politik derzeit mit der Frage beschäftigt, wie die
       europäische Finanzkrise gelöst werden kann. Sarrazin geht diese Frage nicht
       direkt an, sondern zeichnet in einem wirtschaftshistorischen Rückblick
       nach, wie es überhaupt zu dieser Situation kommen konnte. War es ökonomisch
       sinnvoll, die europäische Einigung über den vermeintlichen Selbstläufer
       einer gemeinsamen Währung zu betreiben?
       
       Kern seiner ablehnenden Antwort auf diese Frage ist der – auch für den
       ökonomischen Laien – überzeugend erbrachte Nachweis, dass die Einführung
       des Euro nördliche Länder, zumal Deutschland, und südliche Länder der
       Eurozone im Blick auf Beschäftigung, Höhe des Bruttoinlandprodukts,
       Außenhandelsquote, Leistungsbilanzen und Haushaltsdefizit seit 1999 immer
       weiter auseinander getrieben hat.
       
       Doch Sarrazin erklärt nicht nur, sondern deutet, was politisch weise sei.
       Mit den konsequent gegen Buchstaben und Geist des Maastricht-Vertrages
       verstoßenden „Bail out“-Strategien der Europäischen Zentralbank (EZB),
       einer Politik, welche die Bonität einzelner Länder durch niedrigzinsige
       Kredite bzw. den politisch nach und nach erweiterten „Rettungsschirm“ zu
       mildern versucht, musste dieser Weg in jene Krise laufen, aus der jetzt
       kaum noch ein Ausweg sichtbar ist.
       
       ## Für Laien schlüssig
       
       Ursache dieser Politik sei die von Helmut Kohl – aus dem nationalen
       Schuldkomplex der NS-Zeit wegen – forcierte, wie Sarrazin schreibt,
       „deutsche Flucht nach Europa“ gewesen, ohne zu berücksichtigen, dass eine
       „Währungsunion“ keineswegs automatisch zu einer politischen Union führt.
       Als weitere Ursachen für das krisenfördernde Auseinanderdriften der
       nationalen Wirtschaften nennt Sarrazin vor allem ethnisch unterschiedliche
       Wirtschaftsstile.
       
       Dabei liegt ihm nichts ferner, als Deutschland eine Rolle als „Praeceptor
       Europae“ zu wünschen, vielmehr lässt er sich von ethnopluralistischer Milde
       leiten: „Die Völker sind unterschiedlich und sie sollen unterschiedlich
       sein dürfen. Warum sollen die Franzosen so viel arbeiten wie die Deutschen?
       Warum ist es schlimm, wenn dazu etwas mehr Inflation gehört?“ So hält er es
       mit Blick auf Griechenland nicht „für richtig, dass Deutschland oder
       Merkozy...einem am Rande Europas lebenden, orientalisch geprägten Volk
       Vorschriften macht?“.
       
       Griechenlands ökonomische Probleme hätten „sich in den 180 Jahren seit der
       Loslösung Griechenlands aus dem osmanischen Reich nicht wesentlich
       verändert. Offenbar sind sie tief in der Mentalität und den Traditionen der
       griechischen Gesellschaft verwurzelt. Mit Geld haben sie überhaupt nichts
       zu tun und können folglich auch nicht mit Geld geheilt werden.“ Doch ist
       auch Italien vor seinem kultursoziologischen Urteil nicht sicher, zeige
       doch „jahrzehntelange Erfahrung“, „dass vorausplanendes Nachdenken und
       rationale Argumentation nicht die wesentlichen Triebfedern dieser
       Gesellschaft und des gesamten politischen Systems sind, auch lassen sich
       nur wenige Entscheidungsträger dort von einem abstrakten Pflichtgefühl
       quasi intrinsisch leiten.“
       
       Diese Überzeugung treibt Sarrazin so sehr um, dass er sich eine bizarre
       Fußnote nicht verkneifen konnte, in der es um „nationale Unterschiede der
       Völker“ geht. Sein Beispiel ist der Untergang des Kreuzfahrtschiffes „Costa
       Concordia“ – offenbar Sarrazins Metapher für das Europa der Eurozone,
       geradeso, wie die Titanic inzwischen zur Metapher des alten Europa vor 1914
       geworden ist: „Einigermaßen undenkbar ist es, dass der deutsche Kapitän
       eines Kreuzfahrtschiffes Vorschriften zur Route missachtet, um seine
       irregulär an Bord befindliche blonde Freundin aus Moldawien zu beeindrucken
       und dem Schiffskoch eine Freude zu machen?“
       
       ## Raus aus der Zone
       
       Völker, genauer gesagt Staaten, die zu einem seiner Meinung nach rationalen
       Wirtschaften nicht in der Lage sind, mögen daher den Raum der Währungsunion
       verlassen. Dies aber werden sie nur dann tun, wenn sich die wirtschaftlich
       potenten Staaten der Währungsunion endlich wieder an den Buchstaben des
       Maastricht-Vertrages halten und künftig alle Rettungsversuche für
       überschuldete Staaten einstellen – Konjunktur und Wachstum hin, Verarmung
       von Teilen ihrer Bevölkerung her.
       
       Als methodischer Nationalist, der fest davon überzeugt ist, dass der
       Nationalstaat nicht überholt ist, sieht Sarrazin auch keine Gefahren für
       die Demokratie bei einem auch Auseinanderbrechen der Eurozone, wie er
       überhaupt das Ausmaß der jetzt schon bestehenden juristischen Integration,
       also der faktischen Bundesstaatlichkeit von EU- und Eurozonenländern
       überhaupt nicht berücksichtigt.
       
       Am Ende seiner vielfach treffenden ökonomischen Analysen ringt er sich zu
       einer kryptisch klingenden Empfehlung für Deutschland durch: „Entweder wir
       erfüllen das No-Bail-Out-Prinzip mit neuem Leben, oder wir müssen
       grundsätzlich andere Lösungswege beschreiten, die auch den Austritt aus der
       Währungsunion nicht ausschließen.“
       
       Thilo Sarrazin ist ein Autor, der die Krisenanfälligkeit des
       „demokratischen Kapitalismus“ (Wolfgang Streeck) sehr wohl erkannt hat: ihm
       ist „das stets lauernde Legitimationsproblem für die kapitalistische
       Wirtschaft“ durchaus bewusst. Doch so, wie er die Krise des deutschen
       Sozialstaats im Stile des nationalistischen Historikers Heinrich von
       Treitschke Immigranten zurechnete, schließt er jetzt an den ebenfalls dem
       neunzehnten Jahrhundert verhafteten Soziologen Werner Sombart an, der
       „kultursoziologisch“ über ethnische Wirtschaftsstile räsonnierte. Ethnische
       Mentalität als Ursache kapitalistischer Krisen!
       
       Gleichwohl täusche man sich nicht: allen Ressentiments zum Trotz dürfte
       Sarrazins Buch auf absehbare Zeit die solideste Begründung einer
       euroskeptischen bis rechtspopulistischen, ja nationalistischen Agenda
       bleiben. Es ist somit unerlässlich, sich mit diesem Buch ernsthaft
       auseinanderzusetzen. Indes: Viele werden es kaufen, eine Minderheit aller
       Leser es aber so gründlich durcharbeiten, wie seine Thesen und Statistiken
       es verlangen – dazu ist es im Genre des populären Sachbuchs denn doch zu
       detailliert und komplex gehalten.
       
       ## Thilo Sarrazin: "Europa braucht den Euro nicht. Wie uns politisches
       Wunschdenken in die Krise geführt hat". DVA, 2012, 461 S., 22,99 Euro
       
       22 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Micha Brumlik
       
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