# taz.de -- Kolumne Bitches in Baku #11: Der Erläuterer, der Analyst
       
       > Verschwörungstheorien und andere Hinweise in Sachen Aserbaidschan. Mit
       > dem Consultant Rashad Huseynli auf einem Stadtrundgang.
       
 (IMG) Bild: Die Uferpromenade in Baku.
       
       Nach zehn Tagen in Baku verfällt man auch in einen seltsamen
       Verschwörungsmodus. Dass das ZDF im Kabelangebot des Hotels nicht mehr
       empfangen werden kann – war das der Geheimdienst, weil die Regierung des
       Landes die deutsche Menschenrechtsberichterstattung geißelt und einer
       armenischen Einflüsterung zuschreibt?
       
       Oder warum kommt keine Taxe – sind die auch alle verhaftet worden wegen
       hooliganesker Fahrweisen? Oder warum weht es nun so stark – will das Regime
       nun auch noch beweisen, dass Stürmisches der ESC-Übertragung nichts anhaben
       kann?
       
       Ich treffe an meiner Herberge Rashad Huseynli, 34 Jahre alt, Bakuer. Ihn
       hat mir Sebastian Burger vermittelt, ein Bremer Architekt, der als erster
       in Deutschland über die Zerstörung von Häusern in Baku anlässlich des ESC
       berichtet hatte. Wir sind gleich per Du. Freundschaft! Rashad könnte mir
       die Stadt zeigen, frage ich – ja, gerne, das wollte er gern und sagte zu.
       Ja, der Bulvar, der sei mit dem ersten Ölboom des Landes, die Uferpromenade
       als größter Stadtpark Bakus, entstanden. Und dass es überhaupt in dieser
       knapp drei Millionen Einwohner zählenden Metropole Grünes gebe, liege an
       einer pfiffigen Idee im frühen 20. Jahrhunderts. Man importierte schwarze,
       fruchtbare Erde über die ins Kaspische Meer fließende Wolga – so wurde Baku
       auch über die UNESCO-geschützte Altstadt hinaus bewohnbar.
       
       Dass der Bulvar nun bis zur drei Uferkilometern entfernten Crystal Hall
       verlängert wird, freut die Community der Stadt – und im Norden gebe es auch
       schon Pläne, diesen Catwalk erheblich zu verlängern. Ja, Aserbaidschan
       weise Defizite im Menschenrechtlichen auf. Er ist genauso betrübt wie ich
       selbst über die Nachricht, dass am Tag zuvor bei einer Demonstration
       mehrere Dutzend Menschen geprügelt, in Gewahrsam genommen oder wenigstens
       in Angst und Schrecken versetzt worden sind. Rashad kommentiert die
       drakonische Auflösung der Demo nicht, überhaupt sagt er nichts explizit zur
       Willkür der Regierung gegen ihre außerparlamentarische Opposition.
       
       Ohne Regung nimmt er auch zur Kenntnis, dass der Sprecher des Präsidenten
       eben verkündete, dass armenische Kreise in Deutschland für die Kritik an
       Aserbaidschan verantwortlich seien. Dieser Mann, studierter Germanist mit
       perfektem Deutsch, stimmt der Überlegung zu, in seinem Land sei es in den
       Jahrzehnten der sowjetischen Zeit eine Entwicklungsdiktatur gewesen. Und
       jetzt – eine Modernisierungsdiktatur? Könnte man sagen, meint er, als wir
       eben am Jungfrauenturm, Zeichen, dass dort die Altstadt beginnt,
       vorbeischlendern.
       
       Dass der Islamismus in Aserbaidschan keine Chance habe, sei simpel zu
       erklären. Offiziell pflege man gute Beziehungen zu Teheran, in Wahrheit
       gebe es jede Menge Spannungen. Als wir diesen Vormittag gemeinsam
       verbringen, geht durch die Nachrichten, dass das theokratische Regime in
       Teheran die Regierung in Baku bezichtigt, durch den Eurovision Song Contest
       den Islam zu beschädigen, denn der ESC sei in Wahrheit eine Schwulenparade.
       Und eine solche sei unislamisch. Reichlich diplomatische Verwicklungen,
       Botschaftseinbestellungen und so weiter. Baku will nichts mit dem
       politischen Islam zu tun haben – das einigende Band ist Öl und immer weiter
       wachsender Wohlstand. Da soll jeder, so das Regime selbst nach dem Urteil
       ihrer Dissidenten, religiös glücklich werden wie er möchte. Synagogen,
       Kirchen, Moscheen – einerlei.
       
       Rashad sagt, jeder könne ein Auslandsstipendium bekommen für ein Studium,
       bloß müssten nach einem Abschluss dann ein jeder fünf Jahre seine
       Qualifikation in Aserbaidschan einsetzen – ein Werkzeug gegen den
       Braindrain von Hochqualifizierten. Anders als Lettland etwa, wo Ingenieure
       oder Ärzte in Riga ihre Ausbildung absolvierten und ihr Geld lieber in
       Großbritannien oder Schweden verdienten. Die Dissidenten, so sagt er, haben
       berechtigte Anliegen – aber eine Rebellionsstimmung im Lande gebe es
       einfach nicht.
       
       ## Er ist Analyst, kein Politiker
       
       Expertisen der umsichtigsten Art haben ergeben, dass Präsident Aliyev eine
       fast 80-prozentige Zustimmung genieße. Geschätzt werde, dass da einer nach
       dem Zerfall der Sowjetunion Ordnung in die Gesellschaft gebracht habe.
       Rashad betont, er habe nicht zu urteilen, aber er muss sich einen Reim
       machen auf das, was ist. Er ist Analyst, kein Politiker. Arbeitet auch für
       die Friedrich-Ebert-Stiftung. Er deutet die Zahlen sehr korrekter Umfragen:
       Das autokratische Regime genießt in Aserbaidschan sehr breites
       Einverständnis. Die Armutsrate sei nach internationalen Kriterien von 20
       Prozent vor zehn Jahren auf knapp sieben Prozent gesunken. Die Mindestrente
       liegt oberhalb jenes Betrags, der in der Slowakei garantiert werde – 250
       Euro. Die Mittelschicht ist auf dem Wege, zum tragenden Milieu des Landes
       zu avancieren.
       
       Rashad, der im Teehaus, das wir besuchen, selbstverständlich bezahlt, weil
       es, Ehrensache, so Sitte sei in seinem Land und die Gegeneinladung nach
       Berlin freundlich annimmt, verweist auf die vielen jungen Menschen in Baku,
       die gern auf ihr Land stolz sind. Es ist klein, so sagt er, es sucht seinen
       Platz in der Welt und muss mit bizarren Nachbarn auskommen. Weder will es
       iranisch werden noch wieder sowjetisch noch möchte es ein Appendix der
       Türkei werden. Man teile einfach nicht deren Verständnis vom Religiösen.
       
       Aserbaidschan, so sagt er, habe auch seine rückständigen Provinzen, aber
       dort ginge es nicht so archaisch zu wie in den letzten Gegenden Anatoliens.
       Er führt mich schließlich zur zweiten Altstadt, erbaut Anfang des 20.
       Jahrhunderts, Gründerzeit auf Aserbaidschan. Wie in Mitteleuropa sieht man
       prächtig verzierte Häuserfassaden bürgerlichen Selbstbewusstseins, zugleich
       gehen sie rott, an den Fassaden sieht man brüchige Elektrokabellagen. In
       den Hinterhöfen wohnen in italienisch anmutenden Szenen sehr viele Familien
       in kleinen Wohnungen – oft nur notdürftig sanitär ausgestattet. Neue
       Wohnhäuser gelten als attraktiv. Und doch, so Rashad, wollen viele nicht
       aus ihren Herbergen – so beengt sie auch sein mögen. Sie wollen in einem
       Quartier mit Seele leben, was nur um den Preis des Verzichts auf moderne
       Standards geht.
       
       Rashad Huseynli ist ein sehr freundlicher, kundiger und weiser Analyst und
       Erläuterter und Patriot seiner Heimat, seiner Stadt, seines Landes. Er
       wünschte, es würde so werden wie dort, wo er studiert hat. Aber in gewissen
       Zeiten, er traut es sich kaum zu formulieren, erwarte eine Gesellschaft
       einen starken Boss an der Spitze. Die Freiheit nach der sowjetischen Zeit
       hätten viele als Freiheit zum Schusswaffengebrauch, zum Faustrecht
       missverstanden. Eine gewisse Phase müsse jetzt womöglich in Kauf genommen
       werden, dass es nicht westlichen Standards entspreche.
       
       Aber er hegt starke Hoffnungen. Das werde schon alles, sagt er. Die
       Proteste gegen die aserbaidschanischen Menschenrechtsverletzungen mögen
       helfen. Hauptsache, sein Land werde nach der Eurovision Song Contest nicht
       genauso schnell wieder vergessen wie es einigen Kurzfristinteressierten in
       den Sinn gekommen sei. Wir geben uns die Hand. Danke!
       
       24 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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